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Stadt St.Gallen
11.02.2023
10.04.2023 19:27 Uhr

Arthur Schopenhauer als Menschenfreund: Von der Askese

Ernst Ziegler
Ernst Ziegler Bild: stz.
Der ehemalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler beschäftigt sich nicht erst seit seiner Pensionierung mit Arthur Schopenhauer. Den stgallen24.ch-Lesern stellt Ziegler den grossen deutschen Philosophen als Menschenfreund vor. Heute: Von der Askese.

Unter Askese verstand Schopenhauer im engeren Sinne die „vorsätzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens“.[i]

Arthur Schopenhauer war weder „Bonvivant“ noch Asket. Er lebte, wie erwähnt und wie er selber schrieb, von den Zinsen seines Erbteils „höchst bequem und anständig“. Zudem trugen ihm in seinen letzten Lebensjahren die neuen Auflagen seiner Schriften, für die er früher kaum Gratisverleger gefunden hatte, „Erkleckliches“ ein, so dass er noch zum „Erwerbsmanne“ wurde.[ii]

Seine Wohnungen waren einfach. Ein Besucher schrieb 1857 von einer bescheidenen Stube mit einer ärmlichen Einrichtung, „der man höchstens etwa einen armen Studenten als Insassen zugetraut hätte“.[iii] „Erst nach seinem fünfzigsten Jahre schaffte er sich eigenes Mobiliar an. Für feineren Komfort und ästhetische Ausschmückung seiner Umgebung hatte er wenig Sinn.“ Mit dem Umzug von der Schönen Aussicht Nr. 17 in die Nr. 16 konnte er ein „wirklich würdiges Logis“ beziehen und seine dreitausend Bände umfassende Bibliothek darin aufstellen.[iv]

Der Philosoph arbeitete jahrelang täglich nur am Vormittag und bloss drei bis vier Stunden. Er hatte, wie er 1858 Friedrich Arnold Brockhaus schrieb, seit 25 Jahren die unverbrüchliche Maxime, „direkt für den Druck nicht anders, als die ersten 2 Morgenstunden hindurch zu schreiben; weil nur dann der Kopf Alles ist, was er seyn kann. Die übrigen Stunden sind brauchbar zum Nachschlagen und Lesen angezogener Stellen etc.“.[v] Seine Mahlzeiten nahm er „im billigen Abonnement an der Table d'hôte“ im „Englischen Hof“ ein, weil seine Haushälterin nicht kochen konnte. Seinen Kaffee bereitete er selber zu.[vi] Der Philosoph erfreute sich eines „starken Appetits“, liebte die Freuden der Tafel und wusste „einen guten Tropfen zu schätzen“.[vii]

[i] D, 1, S. 463.
[ii] GBr (1978), S. 46. Gespr, S. 386.
[iii] Gespr, S. 304-305.
[iv] Gwinner, 1922, S. 193. Angelika Hübscher, S. 287, 266.
[v] GBr (1978), S. 432. Gwinner, S. 528.
[vi] Gwinner, S. 528-529. Angelika Hübscher, S. 287.
[vii] Gwinner, S. 530, 533. Schopenhauers Anekdotenbüchlein, S. 34.

Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.

Zum Autor

Ernst Ziegler (Jg. 1938) war bis 2003 Stadtarchivar in St. Gallen. Er ist Privatdozent an der Universität St. Gallen, Historiker und Paläograph. Bei C.H. Beck in München hat er drei Bände von Schopenhauers Handschriftlichem Nachlass herausgegeben, die Senilia, die Specilegia und die Pandectae sowie die Schopenhauer-Textsammlungen Die Kunst, sich Respekt zu verschaffen, Die Kunst am Leben zu bleiben und Über den Tod. Im Schwabe Verlag zu Basel erschien 2015 die Anthologie Burckhardt und Schopenhauer. Bei Königshausen & Neumann in Würzburg erschienen 2017 die beiden Bände Cogitata und Cholerabuch, 2018 Et in Arcadia ego — Arthur Schopenhauer in Italien und 2019 die Philosophari. Im Oktober 2019 begann er Schopenhauer e la vispa Teresa (L`Italia, le donne, le avventure) von Anacleto Verecchia (2006) ins Deutsche zu übertragen. In der Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ sind erschienen Magie und Hexerei bei Arthur Schopenhauer, Schopenhauer und Spinoza, Arthur Schopenhauer und Giordano Bruno sowie Arthur Schopenhauer und Dante Alighieri.

Bibliographische Hinweise

 

Arthur Schopenhauers sämtliche Werke, hg. von Paul Deussen, München 1911 ff.

  • Erster Band D, 1 = Die Welt als Wille und Vorstellung, Erster Band, München 1911, 1924.
  • Zweiter Band D, 2 = Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, München 1911.
  • Dritter Band D, 3 = Der Satz vom Grunde, Über den Willen in der Natur, Die beiden Grundprobleme der Ethik, München 1912.
  • Vierter Band D, 4 = Parerga und Paralipomena, Kleine philosophische Schriften, Erster Band, München 1913.
  • Fünfter Band D, 5 = Parerga und Paralipomena, Kleine philosophische Schriften, Zweiter Band, München 1913.
  • Fünfzehnter Band D, 15 =Der Briefwechsel Arthur Schopenhauers, Zweiter Band, München 1933.

Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß, hg. von Arthur Hübscher; Frankfurt am Main 1966-1975.

  • Erster Band HN I = Frühe Manuskripte (1804-1818).
  • Zweiter Band HN II = Kritische Auseinander-setzungen (1809-1818).
  • Dritter Band HN III = Berliner Manuskripte ( 1818 -1830).
  • Vierter Band, Erster TeilHN IV ( 1 ) = Die Manuskript-bücher der Jahre 1830 bis 1852.
  • Vierter Band, Zweiter Teil HN IV ( 2 ) = Letzte Manuskripte, Gracians Handorakel.
  • Fünfter Band HN V= Randschriften zu Büchern.

Arthur Schopenhauer, Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler, München 2010, 2015, 2016; Würzburg 2017, 2019.

  • Senilia = Arthur Schopenhauer: Senilia, Gedanken im Alter, hg. von Franco Volpi und Ernst Ziegler, München 2010.
  • Spicilegia = Arthur Schopenhauer: Spicilegia, Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler unter Mitarbeit von Anke Brumloop und Manfred Wagner, München 2015.
  • Pandectae = Arthur Schopenhauer: Pandectae, Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler unter Mitarbeit von Anke Brumloop und Manfred Wagner, München 2016.
  • Cogitata = Arthur Schopenhauer: Cogitata, Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler unter Mitarbeit von Anke Brumloop, Clemens Müller und Manfred Wagner, mit einer Einleitung von Till Kinzel, Würzburg 2017
  • Cholerabuch = Arthur Schopenhauer: Cholerabuch, Philosophische Notizen aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler unter Mitarbeit von Anke Brumloop, Clemens Müller und Manfred Wagner, Würzburg 2017.
  • Philosophari = Arthur Schopenhauer: Philosophari, Zettelsammlung aus dem Nachlass, hg. von Ernst Ziegler unter Mitarbeit von Anke Brumloop und Jochen Stollberg, Würzburg 2019.

GBr (1978) = Arthur Schopenhauer, Gesammelte Briefe, hg. von Arthur Hübscher, Bonn 1978.

Gespr = Arthur Schopenhauer, Gespräche, hg. von Arthur Hübscher, Neue, stark erweiterte Ausgabe, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971.

Angelika Hübscher = Hübscher, Angelika: Arthur Schopenhauer, Leben und Werk in Texten und Bildern, Frankfurt am Main 1989 (insel taschenbuch 1059).

Gwinner = Gwinner, Wilhelm: Schopenhauer's Leben, Zweite, umgearbeitete und vielfach vermehrte Auflage, Leipzig 1878.

Gwinner, 1910 = Gwinner, Wilhelm: Schopenhauers Leben, Dritte, neugeordnete und verbesserte Ausgabe, Leipzig 1910.

Gwinner, 1922 = Gwinner, Wilhelm: Arthur Schopenhauer aus persönlichem Umgang dargestellt, Ein Blick auf sein Leben, seinen Charakter und seine Lehre, Kritisch durchgesehen und mit einem Anhang neu hg. von Charlotte von Gwinner, Leipzig 1922.

Kant, Band I bis XII = Immanuel Kant: Werkausgabe, Band I bis Band XII, Hg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1977 (suhrkamp taschenbücher wissenschaft).

Lindner, Frauenstädt = Arthur Schopenhauer, Von ihm, Ueber ihn, Ein Wort der Vertheidigung von Ernst Otto Lindner und Memorabilien, Briefe und Nachlassstücke von Julius Frauenstädt, Berlin 1863.

Schopenhauer-Handbuch = Schopenhauer Handbuch, Leben – Werk – Wirkung, Hrsg. Daniel Schubbe, Matthias Koßler, Stuttgart, Weimar 2014.

Wagner: Register = Wagner, Gustav Friedrich: Schopenhauer-Register, Neu hg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstadt 1960.

Ziegler: Schopenhauer und Italien = Ziegler, Ernst: Et in Arcadia ego – Arthur Schopenhauer und Italien. – Arthur Schopenhauer: Notizen aus Reisebuch, Foliant, Brieftasche, Quartant, Adversaria samt Aktenstücken, Hg. von Emst Ziegler, unter Mitarbeit von Anke Brumloop, Würzburg 2018.

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