Für Leute, die noch nie eine Zeile von Arthur Schopenhauer (1788-1860) gelesen haben, gilt der Philosoph als „der Weiberfeind par excellence“.[i] Dass er ein Tierfreund war, habe ich mit einem kurzen Text über „Arthur Schopenhauer als Tierfreund“ publik gemacht. Dazu nur zwei Zitate: 1853 notierte Schopenhauer in den Senilia, seinen philosophischen Notizen: „Ich muß es aufrichtig gestehn: Der Anblick jedes Thiers erfreut mich unmittelbar und mir geht dabei das Herz auf; am meisten der der Hunde und sodann der aller freien Thiere, der Vögel, der Insekten, und was es sei.“
Und in seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral steht: „Mitleid mit Thieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch seyn.“[ii] — Aber der „zähe Pessimist“ aus Frankfurt ein „Menschenfreund“?[iii] Wer über Schopenhauer als Menschenfreund schreibt, wagt sich auf dünnes Eis; aber die Schicht trägt!
Über Religion
In Kapitel 15 „Ueber Religion“ im Zweiten Band der Parerga und Paralipomena, der kleinen philosophischen Schriften, steht der wunderschöne Satz: „Denn wie ein aus fernen, tropischen Gefilden, über Berge und Ströhme hergewehter Blüthenduft, ist im Neuen Testament der Geist der Indischen Weisheit zu spüren.“[iv] Über Jesus Christus lesen wir im Ersten Band des Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung, der Heiland des Christentums sei „jene vortreffliche Gestalt, voll tiefen Lebens, von größter poetischer Wahrheit und höchster Bedeutsamkeit, die jedoch, bei vollkommener Tugend, Heiligkeit und Erhabenheit, im Zustande des höchsten Leidens vor uns steht.“[v]
Im Neuen Testament steht beim Evangelisten Matthäus (7,12): „Alles nun, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun.“[vi] Der alte Reimspruch, die Goldene Regel, lautet: „Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu.“[vii] Man kann hier eine Ähnlichkeit oder eine Kurzfassung des Kategorischen Imperativs von Immanuel Kant (1724-1804) konstruieren: „Handle nur nach derjenigen Maxime (Leitsatz), von der du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen werde.“[viii]
[i] Hübscher, Angelika: Schopenhauer und „die Weiber“, in: Schopenhauer-Jahrbuch, 58. Band, 1977, S. 187-203.
[ii] Ziegler, Ernst: Arthur Schopenhauer als Tierfreund, in: stgallen24.ch, 21. November 2020. Senilia, S. 59. D, 3, S. 712.
[iii] Senilia, S. 19.
[iv] D, 5, S. 415.
[v] D, 1, S. 109.
[vi] Tobit, 4,15: Und was dir selbst zuwider ist, das tue niemandem an! Lukas, 6,31: Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun, ebenso sollt auch ihr ihnen tun.
[vii] Büchmann, Georg: Geflügelte Worte, Frankfurt am Main und Hamburg 1957, 1964, S. 23.
[viii] Kant, Band VII, S. 51ff., 84. D, 3, S. 611.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.