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Stadt St.Gallen
17.12.2022
10.04.2023 19:31 Uhr

Arthur Schopenhauer als Menschenfreund: Von Gerechtigkeit und Menschenliebe

Ernst Ziegler
Ernst Ziegler Bild: stz.
Der ehemalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler beschäftigt sich nicht erst seit seiner Pensionierung mit Arthur Schopenhauer. Den stgallen24.ch-Lesern stellt Ziegler den grossen deutschen Philosophen als Menschenfreund vor. Heute: Von Gerechtigkeit und Menschenliebe.

In Paragraph 16 seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral von 1840 kommt Schopenhauer zur „Nachweisung der wahren, allen Handlungen von ächtem moralischen Werth zum Grunde liegenden Triebfeder“. Eine der „Grund-Triebfedern“ ist das Mitleid, das allein „die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller ächten Menschenliebe“ ist. „Nur sofern eine Handlung aus ihm entsprungen ist, hat sie moralischen Werth.“[i]

Der Paragraph 17 behandelt „Die Tugend der Gerechtigkeit“ und 18 „Die Tugend der Menschenliebe“. Gerechtigkeit und Menschenliebe sind für Schopenhauer Kardinaltugenden, wobei die Gerechtigkeit „die erste und grundwesentliche Kardinaltugend“ ist.[ii] In den Parerga und Paralipomena von 1851 schrieb er, selbst Platon (427-347 v. Chr.) kenne „keine höhere Tugend als die Gerechtigkeit, welche sogar nur er allein unbedingt und ihrer selbst wegen“ empfehle.[iii]

Schopenhauers Grundsatz der Gerechtigkeit lautet: „Neminem laede; imo omnes, quantum potes, juva.“ (Verletze niemanden; vielmehr hilf allen, soviel du kannst.) Das bedeutet: „Die Rechte eines Jeden zu achten, sich keinen Eingriff in dieselben zu erlauben, sich von dem Selbstvorwurf, die Ursache fremder Leiden zu seyn, frei zu erhalten und demnach nicht die Lasten und Leiden des Lebens, welche die Umstände Jedem zuführen, durch Gewalt oder List auf Andere zu wälzen, sondern sein beschiedenes Theil selbst zu tragen, um nicht das eines Andern zu verdoppeln.“[iv]

[i] D, 3, S. 675, 678. Arthur Schopenhauer: Über das Mitleid, hg. und mit einem Nachwort von Franco Volpi, München 2005.
[ii] D, 3, S. 682, 696, 700, 730.
[iii] D, 3, S. 696; D, 5, S. 376; Pandectae, S. 278.
[iv] D, 3, S. 607, 869, 684.

Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.

Zum Autor

Ernst Ziegler (Jg. 1938) war bis 2003 Stadtarchivar in St. Gallen. Er ist Privatdozent an der Universität St. Gallen, Historiker und Paläograph. Bei C.H. Beck in München hat er drei Bände von Schopenhauers Handschriftlichem Nachlass herausgegeben, die Senilia, die Specilegia und die Pandectae sowie die Schopenhauer-Textsammlungen Die Kunst, sich Respekt zu verschaffen, Die Kunst am Leben zu bleiben und Über den Tod. Im Schwabe Verlag zu Basel erschien 2015 die Anthologie Burckhardt und Schopenhauer. Bei Königshausen & Neumann in Würzburg erschienen 2017 die beiden Bände Cogitata und Cholerabuch, 2018 Et in Arcadia ego — Arthur Schopenhauer in Italien und 2019 die Philosophari. Im Oktober 2019 begann er Schopenhauer e la vispa Teresa (L`Italia, le donne, le avventure) von Anacleto Verecchia (2006) ins Deutsche zu übertragen. In der Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ sind erschienen Magie und Hexerei bei Arthur Schopenhauer, Schopenhauer und Spinoza, Arthur Schopenhauer und Giordano Bruno sowie Arthur Schopenhauer und Dante Alighieri.

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