In Paragraph 16 seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral von 1840 kommt Schopenhauer zur „Nachweisung der wahren, allen Handlungen von ächtem moralischen Werth zum Grunde liegenden Triebfeder“. Eine der „Grund-Triebfedern“ ist das Mitleid, das allein „die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller ächten Menschenliebe“ ist. „Nur sofern eine Handlung aus ihm entsprungen ist, hat sie moralischen Werth.“[i]
Der Paragraph 17 behandelt „Die Tugend der Gerechtigkeit“ und 18 „Die Tugend der Menschenliebe“. Gerechtigkeit und Menschenliebe sind für Schopenhauer Kardinaltugenden, wobei die Gerechtigkeit „die erste und grundwesentliche Kardinaltugend“ ist.[ii] In den Parerga und Paralipomena von 1851 schrieb er, selbst Platon (427-347 v. Chr.) kenne „keine höhere Tugend als die Gerechtigkeit, welche sogar nur er allein unbedingt und ihrer selbst wegen“ empfehle.[iii]
Schopenhauers Grundsatz der Gerechtigkeit lautet: „Neminem laede; imo omnes, quantum potes, juva.“ (Verletze niemanden; vielmehr hilf allen, soviel du kannst.) Das bedeutet: „Die Rechte eines Jeden zu achten, sich keinen Eingriff in dieselben zu erlauben, sich von dem Selbstvorwurf, die Ursache fremder Leiden zu seyn, frei zu erhalten und demnach nicht die Lasten und Leiden des Lebens, welche die Umstände Jedem zuführen, durch Gewalt oder List auf Andere zu wälzen, sondern sein beschiedenes Theil selbst zu tragen, um nicht das eines Andern zu verdoppeln.“[iv]
[i] D, 3, S. 675, 678. Arthur Schopenhauer: Über das Mitleid, hg. und mit einem Nachwort von Franco Volpi, München 2005.
[ii] D, 3, S. 682, 696, 700, 730.
[iii] D, 3, S. 696; D, 5, S. 376; Pandectae, S. 278.
[iv] D, 3, S. 607, 869, 684.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.