In den Spicilegia notierte Schopenhauer Gedanken über „das Elend der untersten Volksklasse“, und er schrieb, „Arbeit, Plage, Mühe und Noth“ seien „ihr ganzes Leben hindurch, das Loos fast aller Menschen“.[i] In den Parerga und Paralipomena lesen wir sodann, „durch richtigste und sorgfältigste Benutzung aller Naturkräfte und jedes Landstriches“ könnte „das Elend der untersten Volksklassen“ verringert werden. Allerdings würde dadurch „die Zahl dieser überaus treffend so genannten Proletarier zunehmen und dadurch das Elend sich immer von Neuem einstellen“.[ii]
„Proletarier“ nannte man zur Zeit Schopenhauers die besitzlosen Lohnarbeiter, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebten. Die Feststellung in den Spicilegia von 1851, „Arbeit, Plage, Mühe und Noth“ seien das ganze Leben hindurch „das Loos fast aller Menschen“, bezog sich vor allem auf die sogenannten „Proletarier“.[iii] Aber er dachte vielleicht auch an die Lastträger, die er seinerzeit in Venedig und in Neapel gesehen hatte.
Er betrachtete sie als Beispiele des besinnungslosen Daseins, und er schrieb, man überblicke deren Lebensläufe, vom Anbeginn bis zum Ende. „Getrieben von der Noth, getragen durch die eigene Kraft, dem Bedürfniß des Tages, ja, der Stunde, abhelfend durch die Arbeit, viel Anstrengung, steter Tumult, manche Noth, keine Sorge auf morgen, erquickliche Ruhe nach der Erschöpfung, viel Zank mit Andern, keinen Augenblick Zeit zum Bedenken, sinnliches Behagen im milden Klima und bei erträglicher Speise, dazu endlich, als metaphysisches Element, etwas krassen Aberglauben aus der Kirche: im Ganzen also ein ziemlich dumpf bewußtes Treiben oder vielmehr Getriebenseyn. Dieser unruhige und konfuse Traum macht das Leben vieler Millionen Menschen aus.“[iv]
Schopenhauer empfand nicht nur für Lastträger, Geschichtenerzähler und venezianische Goldschmiede, die „mit 30 Jahren blind würden“, Erbarmen, sondern er verteilte auf seinen Reisen nach Italien immer wieder reichlich Trinkgelder an Postillons, Bergführer und Lohnbediente.[v]
[i] Spicilegia, 1843, 1851, S. 373, 579. D, 5, S. 319.
[ii] D, 5, S. 167.
[iii] Spicilegia, S. 579-580. D, 5, S. 319. HN IV (2), S. 108.
[iv] D, 5, S. 656-657. Ziegler: Schopenhauer und Italien, S. 24; S. 13 über die Goldschmiede in Venedig; S. 24 über die Geschichtenerzähler in Venedig und Neapel.
[v] D, 5, S. 615. Ziegler: Schopenhauer und Italien, S. 68, 70, 71 usw.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.