Auf seiner grossen Reise durch Europa von 1803 bis 1804 besuchte der junge Schopenhauer im April 1804 mit seinen Eltern auch den Hafen von Toulon und sah dort die Galeerensklaven. In einem langen Eintrag in seinen Reisetagebüchern dachte er über das Elend dieser bedauernswerten Menschen nach.[i] Jahre später notierte er dann 1832 im Cholerabuch: „In meinem 17ten Jahre, ohne alle gelehrte Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte.“[ii]
Schopenhauer war Student, als er 1811 Christoph Martin Wieland (1733-1813) in Weimar besuchte. Der Dichter riet ihm ab, „lediglich Philosophie zu studieren“, weil das doch kein „solides Fach wäre“. Schopenhauers tiefsinnige Antwort bleibt in Erinnerung: „Das Leben ist eine mißliche Sache, ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.“[iii]
Über das Leben als eine „mißliche Sache“ nachdenken konnte er vermutlich auch in der „melancholischen Station“ der Berliner Charité, die er während seines Studiums im Winter 1812/13 wiederholt besuchte. Dort sollen zwei unglückliche Insassen „sein Interesse“ erregt haben. Nach Wilhelm Gwinner (1825-1917) waren sie sich „ihrer Geistesstörung vollkommen bewusst, ohne darüber Herr werden zu können, und theilten Schopenhauer, in Erwiderung des von ihm werkthätig bezeugten tiefen Mitleids, Gefühle und Gedanken mit“.[iv] Einer der Patienten verehrte Schopenhauer einige Niederschriften und Verse:
„Nur soviel, daß ich mässig leben,
Und dem beträngten, ärmern Mann
Etwas von meiner Gaabe geben,
Und ihn zufriedner machen kan!!!
Berlinische Charité, September, 1812.
Traugott Schultze.
In Statione Melancholicorum.
Und zwar im 10ten Jahre
eines disfallsigen Schicksals.
Dem Edlen, welcher hold erscheint
auch dem, der in der Zelle weint! —
Der leidende Menschenfreund.“
Im Februar 1813 schenkte Schopenhauer einem Kranken eine Bibel mit folgender Widmung: „Zum Andenken von Arthur Schopenhauer, Berlin d 2t Februar 1813.“ Der so Beschenkte teilte als Dank Schopenhauer einige Aufsätze mit, um ihn vom „unerschöpflichen Inhalt der Heiligen Schrift“ zu überzeugen.[v]
In einem seiner Manuskripte notierte Schopenhauer dann 1815: „Wen der Anblick fremder Leiden schmerzt so gut als seine eignen, wer dadurch bewegt wird, jene Leiden zu heben mit Aufopferung der Mittel durch die er seinen eignen Willen befriedigen, seine eigne Existenz erhalten kann: der ist seelig, ist tugendhaft.“[vi]
[i] Die Reisetagebücher von Arthur Schopenhauer, Zürich 1988, 144-145. Gwinner, S. 29.
[ii] Cholerabuch, S. 77.
[iii] Gespr, S. 22.
[iv] Gwinner, S. 105. Gespr, S. 25.
[v] Angelika Hübscher, S. 102-103.
[vi] HN I, S. 294.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.