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Gast-Kommentar
Sport
30.01.2024
27.02.2024 10:32 Uhr

Was Arsenal von Potsdam unterscheidet

Lia Wälti bei Arsenal
Lia Wälti bei Arsenal Bild: Archiv
stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg analysiert in ihrem aktuellen Beitrag, worin sich die Clubs von Spitzenfussballerin Lia Wälti unterscheiden – und warum das so ist. Sie wirft dabei auch einen Blick auf die beiden Fussballnationen England und Deutschland.

Als Lia Wälti 2013 zu Turbine Potsdam stiess, war das Team zum vierten Mal in Folge Deutscher Meister geworden und sein zweiter Champions-League-Titel (UWCL) lag erst drei Jahre zurück. Da steckte der Frauenfussball noch in den Kinderschuhen.

2018 tauchte Wälti in die Welt von Arsenal und der englischen Liga ein, dem heutigen Epizentrum des Frauenfussballs. Seither erlebte sie dort den unaufhaltsamen Aufstieg des Sports hautnah mit.

Im Podcast «Team Lisa» lässt die Kapitänin der Schweizer Nati ihre zehnjährige Auslandserfahrung sprechen und nennt die Faktoren, warum sich England vom Rest der Fussballwelt – konkret im Vergleich mit dem deutschen Verein Turbine Potsdam – abhebt.

Im Profiumfeld dank Technik

Mittlerweile tummelt sich der reine Frauenverein Potsdam in der zweiten Stärkeklasse, zu Wältis Zeit war er noch in der engeren Spitze der Bundesliga. Und dennoch war am Anfang von Professionalität nichts zu sehen. Weder GPS-Tracking noch Brustgurt gehörte zur Ausrüstung. Gepusht durch die Clubs rundherum, entwickelte sich Potsdam weiter. «Es wurde schon professioneller, wir arbeiteten mit GPS und im Regenerationsbereich», sagt Wälti.

So sei Deutschland im Jahr von Wältis Wechsel auf die Insel in einigen Punkten gleichauf gewesen, aber: «Es ging in England so schnell vorwärts.» Mit einem klaren Plan, wohin man will, kam Arsenal von 12 auf mehr als 25 Staffmitglieder heute, setzt auf drei statt einen Athletiktrainer.

Auf 16 Feldern absolvieren Arsenals Spielerinnen akribisch geplantes und auf exakte Laufmeter gesteuertes Training. «Wir sind jetzt so weit, dass die Athletiktrainer mit dem iPad auf dem Trainingsplatz stehen und dem Trainer auch einmal sagen: ‹Jetzt sind die Mädels genug gerannt.› Und dann ist die Einheit vorbei.»

Lia Wälti lief fünf Jahre in Potsdams Farben auf. In dieser Zeit ohne die heutigen Spielübertragungen, Berichterstattungen und (fast) ohne Social Media fiel es nicht nur den Fans schwer, verschiedene Ligen zu verfolgen: «Ich hatte kaum die Möglichkeit, über die eigene Liga hinauszusehen. Umgekehrt kannten auch die Engländerinnen die halbe deutsche Liga nicht.»

England ist eine Fussballnation

Dass der Fussball im Mutterland des Fussballs so ist, wie er ist, ist dem Mutterland des Fussballs selbst massgeblich zuzuschreiben. Die englische Kultur bot und bietet eine optimale Umgebung, sodass dieser Sport sich entfalten kann. Darum sagt Wälti: «Mit anderen Ländern kann und darf man die Situation nicht vergleichen.»

Für den Nicht-Briten ist schwer nachvollziehbar, dass Fussball einen Stellenwert hat wie sonst nichts im Land. Wälti erlebt das in ihrer Wahlheimat so: «Wenn man hier durch die Stadt läuft, ist fast jede Person Fan von irgendeinem Fussballverein. Und zwar, seit die klein sind – damit wachsen sie auf.»

Wenn man also die englische Methode in Deutschland oder in der Schweiz kopieren würde, wäre das Ausmass niemals so gross, ist die 30-Jährige überzeugt. Schliesslich teilt sich der Fussball hierzulande Bühne und Wichtigkeit mit vielen anderen Sportarten.

Lia Wälti bei Turbine Potsdam Bild: Archiv

Das erste Frauentrikot

Wie sieht es indes strategietechnisch aus, dass sich ein einzelnes Land so signifikant abheben kann? Arsenal besticht mit unermüdlichen Investitionen ins Marketing. Wird ein ausverkauftes Stadion zum Saisonstart als Ziel gesetzt, dann setzt der Verein alles daran, dieses bestmöglich zu erreichen. Und so kamen mehr als 54’000 Fans zur ersten Partie 2023/24 – neuer Ligarekord.

Arsenals Marketing geht über Posts und Videos in den sozialen Medien hinaus. Die gesamte Saison 2022/23 über folgte eine Kameracrew dem Team und gewährte mit der Serie «Togetherness» einen Blick hinter die Kulissen. «Erst war das extrem ungewohnt, überall Kameras und Mikrofone zu haben», berichtet Wälti. «Mit der Zeit gewöhnt man sich daran – aber vor 15 Jahren war das für uns noch unwahrscheinlich gewesen.»

Bis anhin genauso undenkbar: Lia Wältis Team bekam im Oktober 2023 zum ersten Mal ein eigenes Trikot. Ein wirklich eigenes, separat von den Männertrikots gestaltetes Shirt. Arsenal, ein Verein, bei dem sich so viel um die Männermannschaft dreht, setzte ein klares Statement. Das zeigt Wälti, wie der Verein und die Investoren interessiert sind und die Fussballerinnen ernst nehmen.

Mehr als fünf Teams mit Topbedingungen

Arsenal ist in der Women’s Super League nicht alleiniger Trendsetter in Bezug auf Marketing und Engagement. Auch der amtierende Meister Chelsea drehte eine Serie über das Team. Zudem gründete Manchester United vor fünf Jahren ein Frauenteam, das heute Titelambitionen hat. Und das ist der springende Punkt: In England zieht die gesamte Liga mit.

Wo die deutsche Liga in den frühen 2010er-Jahren noch das Mass aller Dinge war, legte England vor etwa vier Jahren den Schalter um – und es ging blitzschnell vorwärts. Hingegen ziehen in Deutschland zu wenig Vereine mit. Laut Wälti sind dort zwei Clubs vorneweg und dann kommen drei, vier Teams, die langsam investieren. «Aber in England ist es eben wirklich explodiert – da ist es schon schwierig für andere Länder, mitzuhalten.»

«Wenn man in den grossen Stadien spielt, ist es sogar fast normal, dass viele Leute kommen», sagt Wälti. «Das war vor vier Jahren nicht so.» Selbstverständlich spielte bei diesem Aufschwung auch der EM-Heimsieg der Engländerinnen eine Rolle. Die Lionessess brachten 2022 den Fussball endlich wieder nach Hause und damit eine Reform ins Land: «Fussball löst in England so viel aus, egal ob bei Männern oder Frauen.»

So trägt die englische Liga das Siegel der besten Liga der Welt. Es zieht aktuell die besten Spielerinnen dorthin, weil sich eben sechs bis sieben – statt bloss zwei Teams wie in Deutschland oder Spanien – als Topvereine mit Topbedingungen auszeichnen. Und Wälti weiss: «Das ist nicht selbstverständlich für uns Spielerinnen.»

Schliesslich rechneten selbst Fussballerinnen, die jahrelang konstant auf erstklassigem Niveau gespielt hatten, nicht mit dem eindrucksvollen Wachstum ihres Sports.

Der fif-a.blog von stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg beschäftigt sich mit Frauen iFussball. Die aktive Spielerin (FC Frauenfeld) schreibt über «Spannendes von gestern, Interessantes von heute und Entwicklungen von morgen».

Das «a» im Titel stehe für vieles, so Rüegg: unter anderem für «Allgemeines zum Thema», für «Abseits des Rampenlichts» – oder schlicht und einfach für die weibliche Seite des Fussballs.

Simea Rüegg, fif-a.blog
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