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Sport
02.04.2024
02.04.2024 14:31 Uhr

Frauenfussball zwischen Kiwis, England und Rugby

Ali Riley liess ihren Emotionen freien Lauf, als sie mit ihrem Team Neuseelands ersten Gewinn eines WM-Spiels realisierte
Ali Riley liess ihren Emotionen freien Lauf, als sie mit ihrem Team Neuseelands ersten Gewinn eines WM-Spiels realisierte Bild: newshub.co.nz
Am 20. Juli 2023 war alles anders als sonst: An diesem Tag wurde die Rugby- kurzzeitig zur Fussballnation. Das neuseeländische Frauennationalteam, die «Football Ferns», gewann gegen Norwegen. Das 1:0 war viel mehr als eine WM-Eröffnung, weiss stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg.

Es war ein Heimspiel, es war ein Fest vor Fussball-Rekordpublikum und es war Neuseelands erster Sieg an einer WM überhaupt – geschlechterübergreifend. An diesem Tag kam alles zusammen für den neuseeländischen Fussball.

England hatte die Finger im Spiel

Das Fussballfieber erreichte die Neuseeländerinnen vor etwas mehr als hundert Jahren. Während des Ersten Weltkriegs kickten Frauen in Benefizspielen, um Spenden für Soldaten zu sammeln, und nach Kriegsende bildeten sich in den drei grössten Städten Frauenclubs, die gegeneinander antraten. Neben Fussball gab es auch Cricket-, Landhockey- und Lacrossepartien.

Neuseelands Position im britischen Commonwealth ermöglichte und begrenzte diesen Aufschwung. Einerseits fungierten die zahlreichen immigrierten Engländerinnen, die in ihrer Heimat Sport an öffentlichen Schulen getrieben hatten, als treibende Kraft. Andererseits setzte sich das Verbot der englischen Föderation (FA) für Frauenfussball auf öffentlichen Plätzen 1921 alsbald durch.

«Stösse und Stürze können Mädchen verletzen, die das Spiel energisch spielen. Wenn es nicht energisch gespielt wird, ist es kein ‹Fussball›, und das ist die reine Wahrheit.»
Männliche Doktoren waren sich einig, was von Fussballerinnen zu halten sei.

Kurz vor 1960 kehrten die Frauen– erneut für ein Benefizspiel – auf den Platz zurück. An ihrer jahrzehntelangen Absenz änderte weder die starke öffentliche Unterstützung einer Ärztin noch die Ansicht, dass Fussball immerhin ein weniger ruppiges Spiel als Rugby sei, nichts.

Die Weltbühne im Sturm erobert

Regionale Frauenfussballverbände bildeten sich Anfang der 1970er-Jahre, als der offizielle Bann aufgehoben wurde. Landesweite Liga- und Ausscheidungswettbewerbe wurden gerade erstmalig durchgeführt, als Neuseeland 1975 zur Asienmeisterschaft in Hongkong eingeladen wurde. Tatsächlich fanden sich allein dadurch das erste Kader sowie auch der nationale Verband zusammen – die drei bestehenden Verbände mussten ihre Rivalitäten beiseitelegen.

Die Ferns hinterliessen sogleich tiefe Spuren auf dem ganz grossen Parkett. Ungeschlagen marschierten sie durch die Gruppenphase und sicherten sich im Final vor 12’000 Leuten den Titel. Treibende Kraft hinter dem Erfolg war der Engländer Roy Cox.

Der damalige Verbandsgründer und -präsident, den die Kiwis stolz als Vater des Frauenfussballs in ihrem Land sehen, hatte im Vorfeld alle möglichen Pläne geschmiedet, um das nötige Geld für die Reise nach Hongkong zu beschaffen. So wurde beispielsweise eine Spielerin von ihrem Arbeitgeber, einer kleinen lokalen Bäckerei, gesponsert.

Zehn Jahre lang mass sich Neuseeland mit den Besten. Es war dreimal am Vorgängermodell der WM in Taiwan dabei und klassierte sich jedes Mal in den Top vier. Dort erspielten sich die Ferns 1987 auch ihren berühmtesten Sieg im Spiel gegen die USA, das Team mit Fussballgrössen wie Mia Hamm und Michelle Akers. Zu dieser Zeit startete der Ozeanien-Nationen-Pokal, den Neuseeland zweimal gewann und sich deswegen für die erste FIFA Frauen-WM im Jahr 1991 qualifizierte. Dort schied es mit einem einzigen Torerfolg aus.

Aussies gegen Kiwis

Das war zugleich der Abschied von der regionalen Spitze. Der grosse Nachbar und Rivale Australien übernahm. Die Matildas dominierten in der ozeanischen Föderation (OFC) und ergatterten sich Jahr für Jahr deren einzigen Startplatz für die Grossturniere. So schafften es die Ferns weder an Olympische Spiele noch an Weltmeisterschaften, und bei der Ozeanienmeisterschaft reichte es jedes Mal bloss für die Silbermedaille. Bis 2006.

Im Jahr 2006 wechselte Australien zum AFC, der asiatischen Föderation, und damit zu stärkerer Konkurrenz. Dadurch konnten die Ferns aufs höchste Niveau zurückkehren, mussten jedoch gleichzeitig als Ozeaniens Aushängeschild fungieren. Zu den verbliebenen zwölf Kontrahenten gehören Fidji, Papa Neuguinea, Tahiti, Tonga oder Kiribati.

Der neuseeländische Verband sah sich also gezwungen, in den Frauenfussball zu investieren, um eine wettbewerbsfähige Équipe zu stellen. Immerhin hatte das Nationalteam zuvor in viereinhalb Jahren nur fünf Spiele bestritten. Zudem stand am Horizont die U17-WM 2008 – mit Neuseeland als Gastgeber.

Die Ferns sind Weltenbummler

Eine neue Ära hatte begonnen. Seither ist das Kalenderjahr mit mindestens zehn Länderspielen gefüllt und die Ferns spielen in jeder Nationalteampause eine Partie. Für die heutige Generation ist das keineswegs selbstverständlich, wie Kapitänin Ali Riley aus eigener Erfahrung weiss.

Die 36-Jährige lief erstmals mit dem Farn auf der Brust auf, als Neuseeland sein U20-Team für die WM 2006 und damit für seine Rückkehr auf die Weltbühne stärkte. Dieser Einstand glückte insofern, als dass die Ferns fortan an jeder folgenden WM und Olympiaden spielten.

Neuseelands 28. Rang in der Weltrangliste (Schweiz: 22.) kommt nicht von ungefähr. Aus dem Kader mit zwei Profi- und einer Handvoll Collegespielerinnen zu Rileys Anfängen wurde ein Nationalteam, dessen Mitgliederinnen auf der ganzen Welt verteilt in den höchsten Ligen spielen. Virtuelle Teammeetings müssen heute dreimal abgehalten werden, um alle entsprechenden Zeitzonen abzudecken.

Denn wie alles, was in Verbindung zu Neuseeland steht, prägt die geografische Lage auch den Frauenfussball auf den zwei Inseln im Südwestpazifik. Davon können die Sportlerinnen dennoch profitieren: «Die Ressourcen des neuseeländischen Verbands sind definitiv limitiert. Wir sehen die Standards im Ausland. Das motiviert uns, zu Hause für mehr zu kämpfen», erklärt Ali Riley im Podcast «Snacks».

Neuseeland gestaltet die Zukunft jetzt

Rileys Wunsch sei, dass Fussballerinnen in Neuseeland ihren Sport als Beruf ausüben können. 1988 verliess die erste Athletin das Land, um in England professionell Fussball zu spielen. Damals stellten bei 8’000 fussballspielenden Frauen zwei Clubs praktisch das gesamte Kiwi-Nationalteam. Diese Vorherrschaft endete 2002. Auf das Turnierformat, wo sich die besten Teams einmal pro Jahr trafen, folgte ein wöchentlicher Ligabetrieb.

2010 wurde aus der «normalen» Liga eine U20-Liga, 2015 wurde die Liga wieder «normal». Spannend ist, wie Ali Rileys Traum jetzt immer näherkommt. Mittlerweile spielt das A-Team von Wellington Phoenix in der australischen, semi-professionellen und prominent besetzten Liga mit. Derweil nimmt das Phoenix-Reserveteam zu Hause in dem Spielbetrieb teil, aus dem Neuseeland seit 2023 eine vollständig vereinsbasierte Liga machen will – die WM-Euphorie des letzten Jahres hat im Kiwi-Frauensport definitiv Spuren hinterlassen.

 

Der fif-a.blog von stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg beschäftigt sich mit Frauen iFussball. Die aktive Spielerin (FC Frauenfeld) schreibt über «Spannendes von gestern, Interessantes von heute und Entwicklungen von morgen».

Das «a» im Titel stehe für vieles, so Rüegg: unter anderem für «Allgemeines zum Thema», für «Abseits des Rampenlichts» – oder schlicht und einfach für die weibliche Seite des Fussballs.

Simea Rüegg, fif-a.blog
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