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Stadt St.Gallen
27.03.2024
16.07.2024 14:30 Uhr

Eine Uniform aus Holz

Ein nachdenklicher Mensch mit einer musikalischen Ader – Gabriel Imhof, hier beim Jubiläumsanlass im Blumenmarkt St.Gallen mit Eoghan Konstantin.
Ein nachdenklicher Mensch mit einer musikalischen Ader – Gabriel Imhof, hier beim Jubiläumsanlass im Blumenmarkt St.Gallen mit Eoghan Konstantin. Bild: Kenji Jäger
Zwischen Ende April und Ende Mai lassen sich fünf Menschen für eine Woche in die Wiborada-Zelle an der St.Mangenkirche einschliessen. Einer dieser Inklusen ist Gabriel Imhof. Im Interview mit stgallen24.ch spricht er über Mystiker, Psalmen und grosse Fragen.

«Ich bin ein neugieriger Mensch», sagt Gabriel Imhof über sich selbst. So ist für den 32-jährigen Religionspädagogik-Studenten aus St.Gallen das Wiborada-Projekt eine grosse Faszination. Vom Projekt erfahren hatte der regelmässige Gottesdienstgänger bei einer Predigt in der Kathedrale.

Wiborada – eine Mystikerin

Die beinahe unbekannte Stadtheilige hat Imhof schnell in ihren Bann gezogen. «Ich fand krass, welchen Einfluss sie zu ihrer Zeit hatte. Dass man damals auf eine Frau wie sie hörte und man ihre Ratschläge ernst nahm, das ist nicht selbstverständlich.»

Für ihn ist Wiborada in erster Linie eine Mystikerin. «Mystik, die Fragen 'Was tut dem Menschen gut?' oder 'Was ist meine Aufgabe in der Welt?', das zieht mich an.» Mystiker haben für Gabriel Imhof etwas Befreiendes. «Sie waren grundsätzlich unbequeme Menschen, die gegen den Strom schwammen. Und das gibt vielen Menschen Hoffnung.»

Auf das Herz hören

Auch Wiborada schwamm gegen den Strom. Eine Szene findet Imhof besonders prägend: Wiborada stammte aus einer wohlhabenden Familie. Bei einem Gottesdienstbesuch an einem Festtag sollte sie in vornehmen Kleidern auf dem Pferd zur Kirche reiten. Offenbar sollte sie an diesem Tag verkuppelt werden – im Alter von 14 Jahren.

Da soll Wiborada auf einmal starke Kopfschmerzen bekommen haben, worauf sie sich die fürstlichen Kleider vom Leib riss und fortan zu Fuss ging. «Wiborada wollte nicht einfach verheiratet werden, weil es so der gesellschaftlichen Norm entspricht. Sie hat auf ihr Herz gehört», sagt Imhof. «Das sollten wir viel öfter auch machen, denn es ist wichtig für die menschliche Gesundheit. Sich die Fragen zu stellen, was passt mir nicht und was muss ich ablegen.»

«Wir sollten mehr auf unser Herz hören», sagt Gabriel Imhof. Bild: Gabriel Imhof

Vertreter von Wiboradas Werk

Gabriel Imhof hofft, in der Woche, dem Geist Wiboradas näherzukommen. Er sieht darin aber auch eine gewisse Verantwortung. «Die Zelle ist wie eine Uniform. Ich trete in eine Tradition ein, die grösser ist als ich, die auch etwas mit mir macht, ich mich in diese auch hineingeben darf und nicht einfach wie der Gabriel Imhof bin, dem man normalerweise auf der Strasse begegnet.»

Einige Leute hätten ihn bereits auf seine Teilnahme angesprochen. «Viele sagen mir, sie hätten grossen Respekt, dass ich da mitmache. Ich empfinde es aber gar nicht so. Für mich ist es eine grossartige Möglichkeit, mich mehr mit mir selbst auseinanderzusetzen.»

Heilsame Psalmen

Und auch eine Möglichkeit, ein Projekt weiterzuführen, das Imhof bereits angefangen hat: Er schreibt nämlich in seiner Zelle Psalmen aus dem Alten Testament von Hand ab. «Psalmen haben etwas Heilsames. Sie decken den ganzen psychischen Aspekt des Menschen ab und bringen manchmal zu Wort, was man nicht ausdrücken kann.»

Neben Psalmen schreibt Gabriel Imhof aber auch eigene Gedanken auf. «Ich werde Tagebuch führen in der Zelle. Vielleicht kann ich die beiden Schreibarbeiten auch kombinieren, die Psalmen mit meinen Gedanken.»

Gabriel Imhof findet Heilung in den Psalmen. Bild: Gabriel Imhof

Nachdenklicher Mensch

Imhof bezeichnet sich selbst als nachdenklichen Menschen. «Wer bin ich? Was mache ich auf dieser Welt? Was geschieht nach dem Tod? Das sind Fragen, die ich mich stelle.» Die Antwort darauf sucht er im Meditieren. «Meditieren ist wie Kauen und Verdauen», sagt er schmunzelnd.

Die Einsamkeit und Ruhe sollte also kein Problem sein für den 32-Jährigen. «In der Stille kann man Gott finden. Und trotzdem sollte man sich der Welt nicht verschliessen. Genauso hat es Wiborada auch getan.»

Im Du zum Ich werden

Der Welt öffnen wird sich Gabriel Imhof, wenn zweimal pro Tag das Fenster zur Stadt offen steht. «Ich freue mich sehr auf diese Begegnungen. Ich mag den Rückzug, aber gehe auch gerne auf Menschen zu.» Er zitiert den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: «Der Mensch wird im Du zum Ich.»

Imhof hofft aber auch, dass ihn einige Bekannte besuchen kommen. «Wenn da niemand käme, den ich kenne, wäre ich schon etwas enttäuscht.» Die Botschaft, die Imhof seinen Besuchern mitgeben möchte, ist aber klar: «Jeder soll etwas recherchieren über Wiborada. Jeder soll mehr über diese wundersame und mystische Frau erfahren.»

stgallen24 begleitet alle fünf Inklusen bei ihrer Teilnahme am Wiborada-Projekt. Was hat die Personen zu ihrer Teilnahme motiviert? Wie ticken sie? Wie verbringen sie die Zeit in der Zelle? Wir stellen Ihnen die Teilnehmer genauer vor.

Jonas Schönenberger
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