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Stadt St.Gallen
20.03.2024
16.07.2024 14:30 Uhr

«Eine Woche mit mir selbst»

Cathrin Legler vertritt den Kanton Thurgau beim Wiborada-Projekt.
Cathrin Legler vertritt den Kanton Thurgau beim Wiborada-Projekt. Bild: Cathrin Legler
Zwischen Ende April und Ende Mai lassen sich fünf Menschen für eine Woche in die Wiborada-Zelle an der St.Mangenkirche einschliessen. Eine dieser Inklusen ist Cathrin Legler. Im Interview mit stgallen24.ch spricht sie über eine eigenständige Frau, eine abwechslungsreiche Woche und den Respekt vor der ersten Nacht.

Begegnungen können auf viele Arten geschehen. Ob man zusammen abmacht oder sich zufällig auf der Strasse trifft, jede Begegnung ist auf ihre Art eigenartig. Ganz besonders speziell sind Begegnungen jedoch, wenn man eine Woche in einer kleinen Holzzelle lebt. Und wie Cathrin Legler hofft, begegnet man da mitunter auch sich selbst.

Spannende Frauengestalt

Wiborada war der 49-jährigen Pfarrerin aus Kreuzlingen schon lange vor ihrer Teilnahme am Wiborada-Projekt ein Begriff. «Ich fand sie schon immer eine faszinierende Person. Sie ist eine unglaublich spannende Frauengestalt.»

Am meisten fasziniert sie ihre Eigenständigkeit. «Sie hat sich unter anderem auch gegen ihre Familie gestellt. Und das im 10. Jahrhundert. Sie war sehr gefestigt in ihrer Spiritualität und ihrem Glauben. Sie führte ein sehr radikales Leben.»

«Ausprobieren, wie das auf mich wirkt»

Wiborada wusste bereits in jungen Jahren, dass sie als Inklusin in einer Zelle eingemauert werden wollte. Und zumindest für eine Woche wird nun auch Cathrin Legler zur Inklusin.

Bereits als das Projekt 2021 zum ersten Mal durchgeführt wurde, hatte sie davon gehört. Für dieses Jahr hat sie sich beworben. «Ich wollte selber einmal ausprobieren, wie das auf mich wirkt. Ich freue mich sehr auf diese Erfahrung, auch wenn ich mir überhaupt nicht vorstellen könnte, mein Leben so zu verbringen wie Wiborada.»

Cathrin Legler hofft, wertvolle Erfahrungen machen zu dürfen. Bild: Cathrin Legler

Strukturierter Tagesablauf

Ihre Zeit in der Zelle möchte Legler etwas strukturieren. «Ich werde mir einen Tagesablauf aufschreiben und hoffe, dass ich mich daran halten kann.» Auf ihrem Plan steht unter anderem Stricken, denn jeder Inkluse muss eine Handarbeit mitnehmen, wie es Wiborada auch getan haben soll.

Legler möchte sich aber auch Zeit für Gebet und Meditation nehmen. «Ich habe mich in der Vergangenheit bereits mit den Exerzitien von Ignatius von Loyola beschäftigt. Diese möchte ich auch teilweise durchführen.» Die sogenannten Ignatischen Exerzitien sind meditative Übungen, die der baskische Jesuit Ignatius von Loyola im 16. Jahruhundert verfasste und die in Abgeschiedenheit zu einem Dialog zwischen Gott und Mensch führen sollen.

Zeitvertrieb? – Nicht nötig

Auch das Tagebuchschreiben gehört zum Pflichtprogramm in der Zelle. «Ich werde mir da Zeit nehmen, um zu schreiben, was mir durch den Kopf geht. Auch sonst schreibe ich gerne meine Gedanken auf.»

Dass sie sich die Zeit in der Zelle vertreiben muss, glaubt Legler nicht. «Da ist immer wieder etwas los. Am Morgen das Gespräch mit der Seelsorgerin, und dann zweimal die Gespräche durch das offene Fenster. Ich glaube, da vergeht die Zeit schnell.»

Trotz des kleinen Raums erwartet Cathrin Legler eine abwechslungsreiche Woche. Bild: Urs Bucher

Interessante Gespräche

Auf die Gespräche ist Legler auch schon sehr gespannt. «Da werden vielleicht einige Fragen zur Kirche oder zum Glauben kommen. Es könnte auch sein, dass einige die Chance nutzen werden, um jemandem etwas zu erzählen, das sie schon lange bewegt.»

Wiederum andere werden die Frage nach dem «Warum?» stellen. «Auch in meinem Umfeld haben sich viele gefragt: 'Wäre das auch etwas für mich oder gar nicht?' Möglicherweise werden nicht alle verstehen, warum ich das mache. Meine Kinder finden es auch ziemlich schräg», sagt sie mit einem Lächeln.

Respekt vor der ersten Nacht

Ihre Kinder werde sie während der Woche vermissen, sagt sie selbst. «Auch die Bewegung an der frischen Luft wird mir fehlen. Ich habe schon vor einigen Dingen Respekt, wie beispielsweise vor der ersten Nacht.» Legler nennt es aber bewusst Respekt und nicht Angst. «Wenn ich Angst hätte, würde ich es nicht machen.»

Und trotzdem freut sich Cathrin Legler auf die Woche in der Zelle. «Ich bin sehr gespannt, was diese Woche mit mir machen wird. Ich freue mich auf die Begegnungen. Mit den Menschen am Fenster und mit mir selbst.»

stgallen24 begleitet alle fünf Inklusen bei ihrer Teilnahme am Wiborada-Projekt. Was hat die Personen zu ihrer Teilnahme motiviert? Wie ticken sie? Wie verbringen sie die Zeit in der Zelle? Wir stellen Ihnen die Teilnehmer genauer vor.

Jonas Schönenberger
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