Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
17.09.2022
21.06.2025 21:17 Uhr

«Die Frau mit dem Köfferli», Teil 6: Solche und solche Gäste ...

Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli
Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli Bild: Archiv
Stadtführerin Maria Hufenus erinnert sich in ihren Memoiren «Die Frau mit dem Köfferli» an so manche Episode aus rund einem halben Jahrhundert Führungen durch die Gallusstadt. stgallen24 stellt jede Woche exklusiv ein neues Kapitel vor. Heute: Solche und solche Gäste ...

Im Jahr 1985 fand die sogenannte Genfer Gipfelkonferenz zwischen Amerika und Russland statt. Gastgeber war der Schweizer Bundespräsident Kurt Furgler. Er machte auf jede Art, vor allem auch sprachlich, „bella figura“. Die Journalistin Melanie Rietmann brachte einen der amerikanischen Unterhändler nach St.Gallen. Unser Vorurteil war: Amerikaner verstehen nichts von Kultur, verwechseln die Schweiz mit Schweden usw.

Um herauszufinden, auf welchem Niveau sich ein Gast befand oder was ihn interessierte, hatte ich immer einige Bemerkungen auf Lager, beispielsweise: Das älteste Manuskript der Stiftsbibliothek ist eine Abschrift des Vergil. Die älteste Abschrift der Vulgata befindet sich in St.Gallen. Als ich Vergil erwähnte, fragte der Amerikaner: „Was haben Sie, die Aeneis oder die Georgica?“ Nun wusste ich, auf welchem Bildungsstand der Mann war. Wie viele Europäer würden diese Gegenfrage stellen?

Der Gast war dann ganz begeistert von unsern Schätzen. In der Kathedrale erzählte ich ihm von dem in der Barockzeit imitierten Marmor. Das konnte er kaum glauben: „I don't belive it!“ Ich zeigte ihm dann eine Stelle, wo man genau sah, wie ein Stück abgeschlagen war und sagte: „Es ist gut, dass Sie nicht alles glauben, was man ihnen erzählt; aber das dürfen Sie glauben.“ Er war immerhin Spezialist für „nuclear and space arms“. Schliesslich fügte ich noch bei: „Die Wurzeln ihres beträchtlichen technischen Wissens sind zum Teil hier in St.Gallen!“

Er schrieb mir später in einem beeindruckenden Brief, er komme auf der ganzen Welt herum und sehe vieles; aber diese Bibliothek sei etwas ganz Besonderes und er sei froh, dass er endlich wisse, wo er seine Wurzeln habe.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

GÄSTE AUS PARIS

Nach der Besichtigung von Bibliothek, Kathedrale und Altstadt, besuchte ich einmal mit Gästen aus Paris „Drei Weieren“. Ich erklärte von Dreilinden aus die Sicht auf Bodensee und Stadt, bis ich merkte, dass die Pariser nicht auf Stadt und See blickten, sondern interessiert den fressenden Kühen zuschauten. Etwas irritiert fragte ich: „Was sehen Sie da Besonderes?“ Da sagten sie: „Die Kühe beissen das Gras ja gar nicht ab; die umschlingen es mit der Zunge und reissen es aus; das haben wir noch nie gesehen!“

GÄSTE AUS BULGARIEN

Kunstturner aus Bulgarien und St.Gallen trugen einst einen Freundschaftswettkampf aus. Im kulturellen Teil stand das „Weltkulturerbe“ auf dem Programm. Der Trainer behauptete, er könne gut Englisch und sei bereit zu übersetzen.

Ich schätze übersetzte Vorträge und Führungen nicht, weil man nicht kontrollieren kann, ob richtig verstanden und übersetzt wird. Ich hatte darum einige todsichere Lacher eingebaut, um zu kontrollieren, ob richtig übersetzt und dem Interesse der Gäste entsprochen wurde. Ich merkte aber sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich fragte den Dolmetscher, ob er alles verstehe und ob ich langsamer sprechen solle. „Alles okay,“ meinte er. Ich merkte, dass dem nicht so war. Vielleicht kein Interesse, müde? Deshalb kürzte ich die Führung stark.

In der Kathedrale fragte dann der Trainer: „Nicht wahr, Moncs sind doch die Tiere, die im Urwald von Baum zu Baum springen?“ Ich war am Boden zerstört! Die ganze Führung unter dem Aspekt, dass Affen das Wissen der Antike aufgeschrieben, Musik komponiert, gedichtet, wunderschöne Initialen geschrieben und verziert haben. Die Kunstturner dachten wahrscheinlich: „Nur die Dame nicht reizen, sonst wird sie noch gefährlich!“ Das war zusammen mit einer Gruppe von Kantonsschülern, die Kaugummi kauend, mit Knöpfen in den Ohren im Takt zur Musik wippten, die frustrierendste Führung.

FÜHRUNGEN MIT SCHÜLERN

Die eben erwähnte Gruppe Kantonsschüler aus der Stadt St.Gallen verliess ich übrigens nach kurzer Zeit, weil ihr Kauen ziemlich geräuschvoll und sie wegen ihrer Stöpsel in den Ohren mich ohnehin nicht hören konnten. -- Ihre geniale Lehrerin hatte die Gruppe mir übergeben mit dem Hinweis, sie gehe jetzt „schoppen“ und die Herrschaften seien ja keine „Kindergärtler“ mehr. Sie hielt mich offensichtlich für eine „Viehhüterin“!

Glücklicherweise gab es auch andere Gymnasiasten: Aus der Klosterschule Disentis kamen einmal interessierte und gut vorbereitete junge Leute. Als ich den althochdeutschen Psalter erklärte, kam ich auf Notker den Deutschen zu sprechen und sagte: „Ohne ihn müsstet ihr heute noch Latein lesen und schreiben.“ Ein junger Schüler antwortete lächelnd: „Sie, der Lateinlehrer steht direkt hinter ihnen!“ Dieser bestätigte meine Aussage freundlich.

Eine Führung mit Schülern steht und fällt mit dem Lehrer. Eine Gymnasialklasse aus Zürich bestellte einmal eine Führung in der Stiftsbibliothek und im Lapidarium für zwei Stunden. Meiner Erfahrung nach war das zu lange. Die Lehrerin aber sagte: „Doch, meine Schüler machen da sicher mit.“ Ich schlug ihr vor, nach einer Stunde zu fragen, ob ich weiterfahren solle. Nach einer Stunde schwärmten die Schüler: „Nur weiter, das ist so spannend.“ Diese Gymnasiasten schrieben dann einen Bericht für die „Frankfurter Allgemeine“ Zeitung, der dann sogar gedruckt wurde.

Ich merkte, wenn ich Führungen mit Schülern machte, dass Lehrer ein anspruchsvoller und wichtiger Beruf ist, vor allem dann, wenn Eltern und Politiker beim Erziehen „mithelfen“. Eine erfahrene Lehrerin brachte es auf den Punkt: „Wenn früher der Schüler zu Hause erzählte, der Lehrer habe gesagt, der Rhein fliesse aufwärts, hätten die Eltern gesagt: Wenn das der Lehrer gesagt hat, wird es schon stimmen. Wenn jedoch heute die Lehrerin sage, der Rhein fliesse abwärts, würden die Eltern dagegen Rekurs machen.“

Eine Lehrerin sagte den Schülern: „Wenn ihr während der Matheklausur das Handy benutzt, nehme ich es euch weg und verwahre es.“ Ein erwischter Schüler kam am nächsten Tag mit seinem Vater und einem Rechtsanwalt daher, welcher der Lehrerin erklärte, dazu hätte sie kein Recht. Die Lehrerin schlug dann vor, den Mathematikunterricht seines Sohnes doch selbst zu übernehmen.

Da erstaunt es nicht, wenn ein ergrauter Lehrer seine Schüler ohne Führung in den Barocksaal der Stiftsbibliothek schickt, wo sie dann „schlittschüelen“ und Kämpfe austragen, während der Lehrer für sich die Ausstellung geniesst. Als ich selbigen zur Rede stellte, weil seine Schüler meine Führung störten, sagte er bloss: „Ich kann nicht mehr; ich habe es aufgegeben.“ Später gab es dann Aufsichtspersonal, das solche Schüler weggewiesen hätte.

Zum Glück gab und gibt es auch andere, wie jene Primarlehrerin, die in einem Schulhaus der Stadt St.Gallen unterrichtete, das vor allem von fremdsprachigen Kindern besucht wird. Sie hatte ihre Klasse gut vorbereitet und „voll im Griff“. Ich freute mich immer auf sie und ihre Klasse, wenn sie jedes Jahr kam. Oder beispielsweise Remo Wäspi, Lehrer am Gymnasium der „Unteren Waid“, ein ruhiger, freundlicher Mann mit anständigen und gut vorbereiteten „Kindern“. Er kam jedes Jahr mit seinen Klassen an eine Führung. Nach seiner Pensionierung bewarb er sich übrigens bei der Stiftsbibliothek als Führer. Er fand jedoch beim neuen „Head of Museum Management“ bzw. „Head of Museum Operations“, einer Dame aus dem schöne Wien, leider keine Gnade.

Andere „Schüler“ waren die Polizeiaspiranten, die ebenfalls jedes Jahr kamen. Sie sollten eine Ahnung von der Geschichte der Stadt St.Gallen erhalten und die Bedeutung des Weltkulturerbes erfahren. Lustig war, wenn später ein Polizist bei einem Personenschutz kurz den Knopf aus dem Ohr nahm, um mich schnell zu grüssen.

Ich treffe noch heute immer wieder Männer und Frauen, die mir gestehen, den Beruf aufgegeben zu haben, weil sie, wie die Lehrer, von den Politikern und Juristen im Regen stehen gelassen werden. Wenn der Polizist heute einen Drogendealer festnimmt, der zufällig schwarz ist, wird er angepöbelt, und der Dealer umgehend freigelassen. Sogar Helfer von Nummer 144 oder Feuerwehrleute werden ja heute oft angegriffen.

Aber auch eine andere Meinung zu haben, ist oft nicht mehr erlaubt. Das geht so weit, dass ich manchmal sogar angegriffen werde, wenn ich bei einer Führung aus einer tausendjährigen Chronik zitiere. Da antworte ich dann gerne mit einem Diktum das Voltair zugeschrieben wird: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst!“ Eine schöne Aussage findet sich auch bei Schopenhauer: „Voltair : Alle Jahrhunderte gleichen sich durch die Bosheit der Menschen. (Ich (Schopenhauer) füge hinzu: und durch ihre Dummheit.)“

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

STUDENTEN AUS KONSTANZ

Stadtarchivar Ernst Ziegle, der an der Universität Konstanz Paläografie unterrichtete, kam jeweils mit seinen Studenten nach St.Gallen. Als Teilnehmerin in seinen Kursen zeigte ich jeweils in der Stiftsbibliothek nicht nur die Ausstellung, sondern im Lesesaal auch Dokumente, die wir durchgenommen hatten. Die Ortsbürgergemeinde St.Gallen lud dann die Studenten jeweils in ein Restaurant ein, beispielsweise in den „Scheitlinsbüchel“.

VEREIN FÜR GESCHICHTE DES BODENSEES UND SEINER UMGEBUNG

Der Verein für Geschichte des Bodensee und seiner Umgebung wurde längere Zeit vom Stadtarchivar von St.Gallen präsidiert. Die Vorträge und Führungen in der Schweiz wurden jeweils rege besucht. Einmal musste ich meine Führung sogar dreimal nacheinander anbieten. Zu den Ausflügen und Veranstaltungen nach Vorarlberg und Deutschland wurden wir gewöhnlich zusammen mit Stiftsbibliothekar Johannes Duft eingeladen, der lange Zeit die Stiftsbibliothek im Bodensee-Geschichtsverein vertrat.

Dabei widerfuhr mir einmal die Gnade, mit „Seiner Königlichen Hoheit“ Ferdinand Herzog von Württemberg (1925-2020) an einem Tisch zu tafeln. Bei solchen Anlässen lernte ich auch andere „Hoheiten“, Minister und dergleichen kennen, die ich natürlich für St.Gallen gewinnen wollte, was auch oft gelang.

SELBSTÄNDIGE STADTFÜHRERIN

Unterdessen waren Ernst Ziegler und ich liiert, was niemand wusste, aber einige ahnten. Der neue Direktor des Verkehrsbüros, Alberto Vonesch, meldete sich eines Tages bei Ernst Ziegler mit dem Wunsch: „Helfen Sie mir neue Führerinnen ausbilden; die jetzigen sind alles alte Weiber.“ Der Stadtarchivar war aber der Meinung, Führerinnen bräuchten umfassendes Wissen, Erfahrung und Empathie. Junge „Bibeli“ könnten Touristen im Linsebühl finden, wenn sie das nötig hätten. Als Ernst mir das erzählte, kündigte ich sofort, was Vonesch nicht zur Kenntnis nahm.

Erst als Stadtammann Heinz Christen reklamierte, weil er mich für eine Führung engagieren wollte, erhielt ich einen Anruf des Verkehrsdirektors mit der Bemerkung: „Frau Hufenus, Sie sind da Wiibergschnorr aufgesessen.“ „Nein, Herr Vonesch, kein Wiibergschnorr, ein Mann äusserte das, er steht dazu.“ Seine Antwort: „Ich meinte ja nicht Sie; Sie sind ja die Jüngste.“ Darauf kündigte ich, weil Alter kein Vergehen ist, sondern eine Bereicherung sein kann. Ich fragte dann noch: „Herr Vonesch, Sie sind gleich alt wie ich, wann gehen Sie?“ Es blieb bei der Kündigung, denn nach diesem Dialog wäre eine Zusammenarbeit nicht mehr sinnvoll gewesen, und ich begann als „selbstständige Stadtführerin“.

Mir war immer wieder vorgeworfen worden, ich würde die Gäste überfordern. Diese Überforderung wurde nun meine Nische: Gäste, die überfordert sein wollten. Zahlreiche Dankesbriefe geben mir recht. Zugleich hatte mich „die Eidgenossenschaft“ entdeckt, und ich führte, wie einige Beispiele zeigten, viele „erlauchte Gäste“. In der Stiftsbibliothek war man zudem froh, wenn bei fremdsprachigen Führungen, bei Krankheiten des Stiftsbibliothekars oder seines Stellvertreters auf mich zurückgegriffen werden konnte.

FINANZIELLE PROBLEME

Eines Tages hatte mein Exmann beschlossen, die Alimente nicht mehr zu bezahlen. Ich ging voller Hoffnung aufs Arbeitsamt. Zwei abgeschlossene Lehren, vier Sprachen, Universitätsstudium in Geschichte und Kunstgeschichte sollten für eine Anstellung kein Problem sein. Dem war aber nicht so. Ich war nun fünfzig Jahre alt und somit offensichtlich „nicht mehr vermittelbar“ -- wobei auch Toilettenreinigung in diesem Alter scheints nicht mehr gefragt war. Ich hatte zwar einen Teilzeitjob im Stadtarchiv. Aber von Januar bis Ende April erhielt ich zu wenig Führungen, um davon leben zu können. Das bedeutete eine viermonatige „Durststrecke“.

Ein Hilferuf meinerseits auf dem städtischen Amt erledigte der zuständige Beamte mit der Feststellung: „Sie hätten sich halt nicht scheiden lassen sollen!“ Hilfe erhielt ich dann von Frauen, mit denen ich beruflich verbunden war. Ich tröstete mich schliesslich mit einer Aussage des Sokrates, der bei einem Gang durch den Markt ausgerufen haben soll: „Was gibt es doch alles, was ich nicht brauche!“

HOHER BESUCH AUS BERN

Während dieser „Durststrecke“ erreichte mich ein Telefonanruf aus Bern. Ein Beamter der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) meldete sich und sagte, er habe gehört, dass ich ausgezeichnete Führungen mache, und er komme mit einem Ehepaar aus Bangladesch für eine Besichtigung des Stiftsbezirks und der Stadt St.Gallen. Wir besprachen alle Details, und dann nannte ich den Preis für meine Arbeit. Der Beamte war allerdings der Meinung, ich könnte doch diese Führung gratis machen, handle es sich doch um Gäste aus einem Entwicklungsland.

Ich erklärte ihm, dass ich von meiner Arbeit leben müsse, bot ihm aber an, eine Kollegin zu suchen, die damit einverstanden wäre. Dass meine damalige Tagesverpflegung aus einem Brötchen, einem Apfel und einem halben Liter Milch bestand, verschwieg ich dem Berner „Sesselfurzer“. Er bestand auf einer Führung durch mich, mit der Bemerkung: „Ja, wenn Sie nicht grosszügig sein können, werde ich halt bezahlen müssen.“ Ich holte dann die Gäste auf dem Bahnhof ab. Aus dem Wagen erster Klasse stieg ein Herr mit der Bemerkung: „Die Gäste kommen mit dem Auto.“ Das Ehepaar kam in einem Cadillac mit Chauffeur. Es waren sehr gebildete, liebenswürdige und gnädige Leute.

ENTWICKLUNGSHILFE

An diesem Besuch lernte ich, was „Entwicklungshilfe“ bedeutet: Entwicklungshilfe ist, wenn arme Menschen reicher Länder Geld spenden für reiche Leute armer Länder.

Ein Afrikaner sagte mir einmal, man solle endlich mit unserer Art Entwicklungshilfe aufhören, weil das unwürdig sei: „Wir müssen aus eigener Kraft aus unserer Misere herauskommen (ohne Handelsbarrieren z. B.)!“ Einer Gruppe hochgebildeter Afrikaner sagte ich einst im Laufe einer Führung, die Schweiz sei jahrhundertelang das ärmste Land Europas gewesen. „You are making a joke“, war die Antwort. Als ich meine Aussage bekräftigte, fragte er: „How did you get out of it?“ „Hard work“, war meine Antwort.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

DIE QUMRAN-AUSSTELLUNG 1999 IN ST.GALLEN

Die Qumran-Ausstellung kam mir schliesslich zu Hilfe. Ich hatte in England auch ein Semester Theologie studiert, bei einem Jesuiten und einem Rabbiner. Das theologische Kolloquium der Pädagogischen Hochschule St.Gallen, die meine Tochter besuchte, plante eine Studienreise nach Israel mit Besuch von Qumran. Daran durfte ich teilnehmen.

Der Theologe Xaver Bischof vermittelte mir die besten Bücher zu diesem Thema. Der Sekundarlehrer und Führer in der Stiftsbibliothek Erich Oberholzer, Paul Oberholzer, damals noch Student und ebenfalls Bibliotheksführer (später Jesuit), und ich waren sicher am besten vorbereitet. Die anderen Führerinnen hatten nur einen Glaubenskurs absolviert, was Paul einen „theologischen Kindergarten“ nannte, sowie einen ganz kurzen Einführungskurs besucht.

Cornel Dora kannte meine schwierige finanzielle Situation und stellte mich deshalb als Kassiererin und Beraterin beim Buchverkauf an. Man brauchte mich dann aber dringend für Doppelführungen mit Qumran und Stiftsbibliothek, und zwar besonders für fremdsprachige Führungen. Ich verfasste auch französische und italienische Handzettel, denn es gab nur deutsche Unterlagen.

Auf meine Anregung hin bestellte man schliesslich in Glasgow englische Flyer. Man musste dann nur noch die Vitrinennummern ändern. Die Ausstellung wurde in Europa nur in Glasgow, Köln und St.Gallen gezeigt, wobei die St.Galler Organisatoren den riesigen Ansturm kaum bewältigen konnten .

Die ganze „Organisation“ war eine „verpasste“ Gelegenheit“: Am Anfang irrten interessierte Gäste in der Stadt herum auf der Suche nach der Ausstellung. Als das dann endlich korrigiert wurde, folgten grosse Mengen an Besuchern. Die standen aber manchmal bis zum „Blauen Haus“ in einer Warteschlange, ohne Tranksame, an der Sonne und ohne genügende Toiletten. An Sonntagen war kaum ein Restaurant geöffnet. Essen konnte man allenfalls in einem Hotel oder im Bahnhofbuffet. Reiseveranstalter planten deshalb ihre Besuche mit Mittagessen in der Schaukäserei in Stein oder in Appenzell.

Der Zufall wollte es, dass gleichzeitig eine Ausstellung von grossartigen Segantinigemälden im Kunstmuseum stattfand, die ebenfalls grosse Mengen an Besuchern anzog. Da das Stadttheater damals noch einen sehr guten Ruf hatte, schlug ich vor, „Kulturpakete“ für alle Ausstellungen und für eine Oper im Theater anzubieten. Die Antwort der „Organisatoren“ war kurz: „Machen Sie ihre Arbeit, wir machen unsere!“ Auch Führerinnen des Verkehrsbüros sahen die Probleme. So schlug die Stadtführerin Lisa Lichtensteiger unter anderem vor, Schüler oder Studenten anzustellen, die etwas zum Trinken verkaufen oder anbieten könnten. Aber auch da hiess es bloss: „Schuster bleib bein deinem Leisten!“ Und das machten wir dann halt auch...

Die Ausstellung war grandios und auch die Besucher waren grossartig. Wieviele schöne, katholische, reformierte oder jüdische Bekanntschaften habe ich machen dürfen! Wer jahrelang Führungen gemacht hat, merkt schnell, ob die Besucher nur kurze Informationen oder etwas mehr, ein wenig Philosophie oder gar diskutieren wollen. So habe ich zum Beispiel den folgenden Kommentar einer Schriftrolle meinerseits kommentiert. „Der Hosca-Text vergleicht die Beziehung zwischen Gott und Israel mit einem Mann und seiner untreuen Frau.“ Dazu bemerkte ich: „Wenn das eine Frau geschrieben hätte, wäre es eben ein treuloser Mann gewesen.“

Bei Übersetzungen ist zu bedenken, dass je umfangreicher ein Wörterbuch ist, desto mehr Worte stehen zur Auswahl. Da kommt es darauf an, für was sich der Übersetzer entscheidet. Wer die Bibel liest, muss an den Übersetzer denken.

Was mich in der Qumran-Ausstellung besonders faszinierte, war, dass die Juden aus Ehrfurcht vor Gott seinen Namen nicht aussprechen. Der hebräische Name für Gott lautet JHWH, Jawe oder Jehova (ich bin, der ich bin). Als der römische Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus 63 v. Chr. das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem betrat, um ein Bild oder eine Statue des jüdischen Gottes zu sehen, fand er darin, nach Tacitus, kein Götterbild, sondern nur „einen Leeren Raum“. (Jesaja 45,15: „Fürwar, du bist ein verborgener Gott.“)

Nach Führungen in dieser einmaligen Ausstellung bekam ich viele Komplimente, weil ich diese schwierige und für viele Besucher fremde Materie einfach und verständlich für verschiedene Religionen und Konfessionen erklären konnte. Aber es war auch unglaublich streng, jeden Tag sechs Stunden Führungen zu machen. Zudem war die Bezahlung zweifelhaft. Man erhielt für einstündige oder zweistündige Führungen jeweils bloss 100 Franken. Mich hat aber diese harte Zeit, während der ich nur zweistündige Führungen erhielt, finanziell gerettet. Cornel Dora schenkte mir dann für diese Ungerechtigkeit einen Einkaufsgutschein für 200 Franken.

Den ersten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den zweiten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den dritten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den vierten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den fünften Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.

Maria Hufenus im Web: stadtfuehrungen.sg

Maria Hufenus, St.Gallen
Demnächst