GÄSTE AUS PARIS
Nach der Besichtigung von Bibliothek, Kathedrale und Altstadt, besuchte ich einmal mit Gästen aus Paris „Drei Weieren“. Ich erklärte von Dreilinden aus die Sicht auf Bodensee und Stadt, bis ich merkte, dass die Pariser nicht auf Stadt und See blickten, sondern interessiert den fressenden Kühen zuschauten. Etwas irritiert fragte ich: „Was sehen Sie da Besonderes?“ Da sagten sie: „Die Kühe beissen das Gras ja gar nicht ab; die umschlingen es mit der Zunge und reissen es aus; das haben wir noch nie gesehen!“
GÄSTE AUS BULGARIEN
Kunstturner aus Bulgarien und St.Gallen trugen einst einen Freundschaftswettkampf aus. Im kulturellen Teil stand das „Weltkulturerbe“ auf dem Programm. Der Trainer behauptete, er könne gut Englisch und sei bereit zu übersetzen.
Ich schätze übersetzte Vorträge und Führungen nicht, weil man nicht kontrollieren kann, ob richtig verstanden und übersetzt wird. Ich hatte darum einige todsichere Lacher eingebaut, um zu kontrollieren, ob richtig übersetzt und dem Interesse der Gäste entsprochen wurde. Ich merkte aber sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich fragte den Dolmetscher, ob er alles verstehe und ob ich langsamer sprechen solle. „Alles okay,“ meinte er. Ich merkte, dass dem nicht so war. Vielleicht kein Interesse, müde? Deshalb kürzte ich die Führung stark.
In der Kathedrale fragte dann der Trainer: „Nicht wahr, Moncs sind doch die Tiere, die im Urwald von Baum zu Baum springen?“ Ich war am Boden zerstört! Die ganze Führung unter dem Aspekt, dass Affen das Wissen der Antike aufgeschrieben, Musik komponiert, gedichtet, wunderschöne Initialen geschrieben und verziert haben. Die Kunstturner dachten wahrscheinlich: „Nur die Dame nicht reizen, sonst wird sie noch gefährlich!“ Das war zusammen mit einer Gruppe von Kantonsschülern, die Kaugummi kauend, mit Knöpfen in den Ohren im Takt zur Musik wippten, die frustrierendste Führung.
FÜHRUNGEN MIT SCHÜLERN
Die eben erwähnte Gruppe Kantonsschüler aus der Stadt St.Gallen verliess ich übrigens nach kurzer Zeit, weil ihr Kauen ziemlich geräuschvoll und sie wegen ihrer Stöpsel in den Ohren mich ohnehin nicht hören konnten. -- Ihre geniale Lehrerin hatte die Gruppe mir übergeben mit dem Hinweis, sie gehe jetzt „schoppen“ und die Herrschaften seien ja keine „Kindergärtler“ mehr. Sie hielt mich offensichtlich für eine „Viehhüterin“!
Glücklicherweise gab es auch andere Gymnasiasten: Aus der Klosterschule Disentis kamen einmal interessierte und gut vorbereitete junge Leute. Als ich den althochdeutschen Psalter erklärte, kam ich auf Notker den Deutschen zu sprechen und sagte: „Ohne ihn müsstet ihr heute noch Latein lesen und schreiben.“ Ein junger Schüler antwortete lächelnd: „Sie, der Lateinlehrer steht direkt hinter ihnen!“ Dieser bestätigte meine Aussage freundlich.
Eine Führung mit Schülern steht und fällt mit dem Lehrer. Eine Gymnasialklasse aus Zürich bestellte einmal eine Führung in der Stiftsbibliothek und im Lapidarium für zwei Stunden. Meiner Erfahrung nach war das zu lange. Die Lehrerin aber sagte: „Doch, meine Schüler machen da sicher mit.“ Ich schlug ihr vor, nach einer Stunde zu fragen, ob ich weiterfahren solle. Nach einer Stunde schwärmten die Schüler: „Nur weiter, das ist so spannend.“ Diese Gymnasiasten schrieben dann einen Bericht für die „Frankfurter Allgemeine“ Zeitung, der dann sogar gedruckt wurde.
Ich merkte, wenn ich Führungen mit Schülern machte, dass Lehrer ein anspruchsvoller und wichtiger Beruf ist, vor allem dann, wenn Eltern und Politiker beim Erziehen „mithelfen“. Eine erfahrene Lehrerin brachte es auf den Punkt: „Wenn früher der Schüler zu Hause erzählte, der Lehrer habe gesagt, der Rhein fliesse aufwärts, hätten die Eltern gesagt: Wenn das der Lehrer gesagt hat, wird es schon stimmen. Wenn jedoch heute die Lehrerin sage, der Rhein fliesse abwärts, würden die Eltern dagegen Rekurs machen.“
Eine Lehrerin sagte den Schülern: „Wenn ihr während der Matheklausur das Handy benutzt, nehme ich es euch weg und verwahre es.“ Ein erwischter Schüler kam am nächsten Tag mit seinem Vater und einem Rechtsanwalt daher, welcher der Lehrerin erklärte, dazu hätte sie kein Recht. Die Lehrerin schlug dann vor, den Mathematikunterricht seines Sohnes doch selbst zu übernehmen.
Da erstaunt es nicht, wenn ein ergrauter Lehrer seine Schüler ohne Führung in den Barocksaal der Stiftsbibliothek schickt, wo sie dann „schlittschüelen“ und Kämpfe austragen, während der Lehrer für sich die Ausstellung geniesst. Als ich selbigen zur Rede stellte, weil seine Schüler meine Führung störten, sagte er bloss: „Ich kann nicht mehr; ich habe es aufgegeben.“ Später gab es dann Aufsichtspersonal, das solche Schüler weggewiesen hätte.
Zum Glück gab und gibt es auch andere, wie jene Primarlehrerin, die in einem Schulhaus der Stadt St.Gallen unterrichtete, das vor allem von fremdsprachigen Kindern besucht wird. Sie hatte ihre Klasse gut vorbereitet und „voll im Griff“. Ich freute mich immer auf sie und ihre Klasse, wenn sie jedes Jahr kam. Oder beispielsweise Remo Wäspi, Lehrer am Gymnasium der „Unteren Waid“, ein ruhiger, freundlicher Mann mit anständigen und gut vorbereiteten „Kindern“. Er kam jedes Jahr mit seinen Klassen an eine Führung. Nach seiner Pensionierung bewarb er sich übrigens bei der Stiftsbibliothek als Führer. Er fand jedoch beim neuen „Head of Museum Management“ bzw. „Head of Museum Operations“, einer Dame aus dem schöne Wien, leider keine Gnade.
Andere „Schüler“ waren die Polizeiaspiranten, die ebenfalls jedes Jahr kamen. Sie sollten eine Ahnung von der Geschichte der Stadt St.Gallen erhalten und die Bedeutung des Weltkulturerbes erfahren. Lustig war, wenn später ein Polizist bei einem Personenschutz kurz den Knopf aus dem Ohr nahm, um mich schnell zu grüssen.
Ich treffe noch heute immer wieder Männer und Frauen, die mir gestehen, den Beruf aufgegeben zu haben, weil sie, wie die Lehrer, von den Politikern und Juristen im Regen stehen gelassen werden. Wenn der Polizist heute einen Drogendealer festnimmt, der zufällig schwarz ist, wird er angepöbelt, und der Dealer umgehend freigelassen. Sogar Helfer von Nummer 144 oder Feuerwehrleute werden ja heute oft angegriffen.
Aber auch eine andere Meinung zu haben, ist oft nicht mehr erlaubt. Das geht so weit, dass ich manchmal sogar angegriffen werde, wenn ich bei einer Führung aus einer tausendjährigen Chronik zitiere. Da antworte ich dann gerne mit einem Diktum das Voltair zugeschrieben wird: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst!“ Eine schöne Aussage findet sich auch bei Schopenhauer: „Voltair : Alle Jahrhunderte gleichen sich durch die Bosheit der Menschen. (Ich (Schopenhauer) füge hinzu: und durch ihre Dummheit.)“