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Stadt St.Gallen
05.12.2025
01.12.2025 15:00 Uhr

Wie ein Firmenkonkurs im 16. Jahrhundert ablief

Brief von Bürgermeister und Rat von St.Gallen an Georg Speth von Sulzburg, Bürgermeister und Rat zu Konstanz vom 6. Mai. 1554
Brief von Bürgermeister und Rat von St.Gallen an Georg Speth von Sulzburg, Bürgermeister und Rat zu Konstanz vom 6. Mai. 1554 Bild: StadtASG, Missive 730
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute begleiten wir den Fall des St.Galler Handelshauses der Gebrüder Rueger.

«Hans Ulrich und Bartolme Rueger, sendt verdorbenn ducaten 285.23». Diese Zeile aus dem Rechnungsbuch der Konstanzer Handelsgesellschaft Felix und Jakob Grimmel setzt 1560 den Schlussstrich unter einen Schuldprozess, der die Gemüter von St.Galler und Konstanzer Kaufleuten jahrelang erhitzt hatte.

Die Grimmel, in jener Zeit die bedeutendsten Kaufleute in Konstanz und im angrenzenden Allgäu, hatten einen Verlust von 285 Dukaten hinzunehmen, welcher das Resultat eines Konkurses der St.Galler Kaufleute Hans Ulrich und Bartholome Rueger war. Und dies, obwohl sie sich auf alle erdenklichen Arten um die Geldeintreibung bemüht hatten.

Die Grimmel waren auch nicht davor zurückgeschreckt, die höchsten Instanzen der Eidgenossenschaft und des römischen Reichs deutscher Nationen in den Eskalationsstrudel hineinzuziehen. 

Eine vergleichsweise geringe Summe hatte nicht nur die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Konstanz und St.Gallen getrübt, sondern auch einen grenzüberschreitenden, zwischenstaatlichen Konflikt provoziert. Wie konnte es so weit kommen?

Die Vorgeschichte: Bankrott und Gerücht

Drehen wir das Rad acht Jahre zurück. Ende Oktober 1552 war das im Leinwandhandel und in Finanzgeschäften tätige Handelshaus der Gebrüder Rueger zahlungsunfähig geworden. Und dies, obschon die Rueger bis dahin zu den reichen St.Galler Bürgern gehört und als Gesellschafter zum Notenstein, einer exklusiven Kaufmannsvereinigung, bestens vernetzt waren.

Da ein grosser Teil der Gläubiger ebenfalls Notensteiner waren, bemühte man sich um Schadensbegrenzung. Auf Weisung von Bürgermeister und Rat zu St.Gallen wurden alle noch vorhandenen Mobilien und Immobilien sowie Barbestände der Rueger an elf Notenstein-Gesellschafter übertragen.

Durch diesen Transfer sollte die Schuld getilgt und gleichzeitig den Ruegern die öffentliche Demütigung als Konkursiten erspart werden. Konkurse waren sehr schädlich für die Ehre der Betroffenen.

Kaufleutegesellschaften wie der St.Galler Notenstein hatten primär dem gesellschaftlichen und geschäftlichen Austausch unter den Kaufleuten gedient. Unter anderem wurden dort auch Wechsel- und Finanzgeschäfte zwischen Handelshäusern aufgegleist. Der Adelsgenossen zu St.Gallen Innungshaus Nothveststein. Nach alten Zeichnungen in Näfs Burgenwerk. Reproduktion in: Hardegger, Anton et al. (Hg.) Die Baudenkmäler der Stadt St.Gallen, 1922. S. 322 Bild: VadSlg GS O 2 C/6

Gerüchteweise erfuhr man auch in Konstanz von der prekären Finanzlage der Rueger und von der mutmasslichen Vermögensübertragung. Dadurch aufgeschreckt, intervenierten die Gebrüder Grimmel beim St.Galler Rat. Auch sie gehörten zu den Gläubigern und fürchteten durch diese intransparente Vermögensübertragung, um ihre Einlagen geprellt zu werden.

Das Stadtgericht von Konstanz sollte den Sachverhalt klären. Als Sicherungspfand beschlagnahmten Vertreter der Grimmel vorsorglich Vermögenswerte der Rueger in Konstanz, aber auch in Norditalien.

Ein solcher Haftungszugriff auf Personen oder auf Wertgegenstände von Bürgern einer anderen Stadt war zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches, liess aber den bereits bestehenden Konflikt vollends eskalieren.

Ein juristisches Tauziehen durch alle Instanzen war die Folge. Dabei stellte sich die St.Galler Obrigkeit bedingungslos hinter die Ansprüche der elf Notenstein-Mitglieder, die mit den Vermögenswerten der Rueger bedacht worden waren.

Ansicht von Konstanz, aus dem Buch: Croniken und Geschichten mit Figuren und Pildnussen von Anbeginn der Welt bis auf dise unnsere Zeit von Hartmann Schedel, herausgegeben in Nürnberg 1493 Bild: VadSlg Inc 789. fol. CCLXv-CCLXIr

Ein Wirtschaftskonflikt erhält eine politische Dimension

Sowohl vor dem Konstanzer Stadtgericht als auch vor dem dortigen Rat als Berufungsinstanz erhielten die St.Galler Recht. Die Notensteiner seien mit der Vermögensübertragung rechtmässige Eigentümer geworden. Die später erfolgte Beschlagnahmung durch die Grimmel sei illegal und müsse umgehend rückgängig gemacht werden.

Die Grimmel machten jedoch keine Anstalten, klein beizugeben. Deshalb wurde mit einer Appellation an das Reichskammergericht auch noch das letzte Rechtsmittel, welches im Reich zur Verfügung stand, ausgeschöpft. Gegenseitige Vorwürfe beider Parteien füllen die dortigen Protokolle. Die Grimmel sprachen von Heimlichtuerei der St.Galler, diese wiederum von Erpressung.

Beiden gemein war, dass sie ihr Gesicht wahren wollten. Um die Verluste des Konkurses ging es nur noch am Rande.

Nun zogen auch die St.Galler die Schraube an. Sie brachten die eidgenössische Tagsatzung und damit die Politik ins Spiel. Auf höchster Ebene sollten jetzt ihre Ansprüche durchgesetzt werden.

Parallel dazu beschlagnahmten die St.Galler im Mai 1555 Leinentücher im Wert von 1300 Gulden, welche auf der Konstanzer Bleiche lagen und den Grimmel gehörten. Sie drohten damit, diese zu versteigern. Soweit kam es aber nicht, da auf Vermittlung des Abtes von Kreuzlingen wenige Monate später ein Vergleich zustande kam.

Die Appellation vor dem Reichskammergericht wurde zurückgezogen, die beschlagnahmten Vermögenswerte der Rueger und die Leinwand der Grimmel wurden zurückgegeben. Die Grimmel mussten die Schuldforderungen endgültig abschreiben – «sendt verdorben» – und sämtliche Prozesskosten tragen.

Vergleichsentwurf des Abts Georg von Kreuzlingen an Bürgermeister und Rat zu St.Gallen vom 19.08.1555 Bild: StadtASG, Missive 746

Hintergrund der Erfolglosigkeit der Gebrüder Grimmel

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, wäre da nicht die irritierende Machtlosigkeit der Gebrüder Grimmel. Warum hatte sich Konstanz nicht genauso für seine Bürger zur Wehr gesetzt, wie das St.Gallen getan hat? Zur Erinnerung: Zweimal verloren die Gebrüder Grimmel vor den städtischen Gerichten, und auch der St.Galler Handstreich auf die Leinwand blieb folgenlos.

Die Ursache findet man in den politischen Rahmenbedingungen: Seit 1548 stand Konstanz unter Habsburger Zwangsverwaltung. In dieser schwierigen Situation konnte der Stadt nicht daran gelegen sein, sich mit ihren Nachbarn und wichtigen Handelspartnern zu überwerfen.

Hinzu kam, dass die Gebrüder Grimmel zwar wirtschaftlich wichtig waren, politisch aber eine untergeordnete Rolle spielten. Deshalb konnten sich Justiz und Obrigkeit von Konstanz ohne Weiteres erlauben, zugunsten der St.Galler Ansprüche zu entscheiden.

Letztlich dokumentiert dieser Schuldprozess exemplarisch, in welchem juristischen, politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld sich Kaufleute bewegten und welchen Berufsrisiken sie ausgesetzt waren.

Die erwähnten Missiven Nr. 730 und Nr. 746 sind abrufbar unter:
missiven.stadtarchiv.ch/data/stasg_missiv_00730
missiven.stadtarchiv.ch/data/stasg_missiv_00746

Literatur

  • Göttmann, Frank: Bankrott und Gerücht in politischer, rechtlicher und moralischer Grenzlage. Ein Schuldprozess zwischen Konstanzer und St.Galler Kaufleuten im 16. Jahrhundert, in: Wüst, Wolfgang et. al. (Hgg.): Grenzüberschreitungen. Die Aussenbeziehung Schwabens in Mittelalter und Neuzeit (Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben, Bd. 100). Augsburg 2008, S. 493–514.
  • Guggenheimer, Dorothee: Kredite, Krisen und Konkurse. Wirtschaftliches Scheitern in der Stadt St.Gallen im 17. und 18. Jahrhundert (St.Galler Kultur und Geschichte 39), Dissertation Universität Augsburg, Zürich 2014.
Arman Weidenmann
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