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Stadt St.Gallen
07.09.2022
21.06.2025 21:17 Uhr

«Die Frau mit dem Köfferli», Teil 5: Zu jung oder zu alt?

Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli
Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli Bild: Archiv
Stadtführerin Maria Hufenus erinnert sich in ihren Memoiren «Die Frau mit dem Köfferli» an so manche Episode aus rund einem halben Jahrhundert Führungen durch die Gallusstadt. stgallen24 stellt jede Woche exklusiv ein neues Kapitel vor. Heute: Zu jung oder zu alt?

1997: „Ungarbesuch - diesmal friedlich.“

So steht es in der Zeitung. Einige Zeit vorher kam eine Delegation aus Bern, um den Besuch zu besprechen. Da ich einen Teil der Führung übernehmen musste, war ich dabei. Die erste Frage war, wo und in welchem Raum empfangen wir den Staatspräsidenten? Und weiter ging es: Wie lange dauert der Besuch? In welcher Sprache? Mit Dolmetscher? Das Ergebnis war: Wenig Zeit für die Begrüssungen, Besichtigungen, Stiftbibliothek, Kathedrale, Apéro.

Kurios war der Vorschlag zur Begrüssung: Bundespräsident Arnold Koller, Landammann Hans Ulrich Stöckling, Stadtpräsident Heinz Christen, Bischof Ivo Fürer, der ungarische Präsident Arpad Göncz - und das bei wenig Zeit! Da ich in diesen Dingen Erfahrung hatte, mischte mich ein und schlug als Begrüssungsort den mit Blumen dekorierten Musiksaal vor. Der Gast kam aus Budapest und selbst der schönste Raum St.Gallens wird ihn kaum beeindrucken, behauptete ich. Wichtig seien Bibliothek und Kathedrale. Nach langem Hin und Her schlug ich vor: Die beiden Präsidenten und der Landammann sprechen kurz. Nachher zeigen wir unsere Schätze, die es mit der ganzen Welt aufnehmen können. Und so wurde es dann auch gemacht.

Im Lapidarium sagte ich als Übergang von der Geschichte zum Apéro: „Als die Ungarn nach St.Gallen kamen, waren die Mönche mit ihren Schätzen, den Büchern und dem guten Wein geflohen, sodass die Ungarn nur noch sauren Wein vorfanden. Ich denke, es ist an der Zeit, den ungarischen Gästen nun einen anständigen Wein anzubieten.“ Der Gast hatte noch eine Frage. Noldi Koller kam mit ihm zu mir. Ich schaute einen Berner an mit der Frage: „Darf i no öppis säge?“ - Ich durfte. Ein aus Bern mitgereister subalterner Beamter hatte nämlich während der Führung immer wieder gezischt: „Geit`s no lang?“

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Auch der Stadtrat von St.Gallen engagierte mich früher gelegentlich für Führungen. Bekanntlich wird alle Jahre wieder in unserer Stadt die OLMA „gefeiert“. Nun hatte der Stadtschreiber Otto Bergmann die gute Idee, Behörden der jeweiligen Hauptstadt des Gastkantons, am Tag vorher zu einer Führung und einem Nachtessen einzuladen.

Die ersten Gäste kamen aus Bern. In der Stiftsbibliothek führte Peter Ochsenbein, in der Kathedrale und in der Altstadt durfte ich führen. In der Bibliothek kam der Stiftsbibliothekar vom Hundertsten ins Tausendste -- bis der Stadtammann leise zu mir sagte: „Frau Hufenus, wie stoppt man den?“

Die Gäste schienen eher gelangweilt, worauf ich etwas Humor, Pfeffer und Salz einbrachte. Auch eine Führung über moderne Kunst an der Universität überzeugte offensichtlich nicht. Vermutlich deshalb wurde ich für die folgenden Gästeführungen alleine eingesetzt. Lustig war der Besuch von Appenzell: Wenn ich gegen die „Innerrödler“ witzelte, lachten die „Ausserrödler“ und umgekehrt.

Wenn ich gegen unsere St.Galler Stadträte spöttelte, lachten alle. So hatte ich die Lacher immer auf meiner Seite. Als ich einen happigen Witz gegen das „Dorf“ Appenzell losliess, meinte einer: „Jetz mömme ös aber näse wehre!“ Worauf Stadtrat Peter Schorer antwortete: „Probieren Sie es lieber nicht!“

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Als Luzern zu Gast war, meinte Heinz Christen, ich könnte am Anfang, bei Kaffee und Kuchen, etwas aus dem alten St.Gallen vortragen. Die Stadtrepublik hatte in früheren Zeiten ab und zu den Fürstabt zu einer „Gasterei“ eingeladen. Das Stadtarchiv verwahrt Dokumente, die aufzeigen, wieviel und was, wie aufgetragen wurde. Zwei Torten mit dem fürstäbtischen Wappen und dem

Stadtwappen standen während des ganzen Essens auf der Tafel. Das Gastmahl bestand aus fünf Hauptgängen mit vielen Speisen, von Anschössli über geräucherten Aal bis zu weissen Trüffeln aus Alba und Türmen aus Früchten. Ein Grossteil des jährlichen Steuereinkommens wurde bei einem solchen Anlass „verfressen.“ Um aber zu sparen, durften dann die „Stubendiener“ und die aufwartenden Frauen, Reste und Kerzenstummel „antiquarisch“ kaufen. Und am andern Tag konnten die Honoratioren der Stadt die Resten verspeisen.

Ich schilderte alles sehr ausführlich und fügte schliesslich bei: „Jetzt freut ihr euch sicher auf das Nachtessen, wo ihr nun wisst, wie es die St.Galler früher trieben.“ Am nächsten Tag rief mich der Luzerner Stadtpräsident an: „Also, es gab nicht Dutzende von Speisen; aber die Bratwurst war wirklich gut.“

Zum Apéro kam auch „die Presse“. Der Luzerner Stadtpräsident wollte mich vorne hinstellen mit der Bemerkung: „Sie muss in der Mitte stehen; sie hat eine tolle Führung gemacht.“ Heinz Christen stellte sich vor mich hin mit der Bemerkung: „Nein, das geht nicht, jetzt sind dann Wahlen...“ Mir war das egal; ich musste ja nicht gewählt werden.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Heinz Christen wünschte jeweils zur Einstimmung kleine Episoden oder Anekdoten aus dem Stadtarchiv. Ein Bürgermeister aus Deutschland, den Christen auf einer Ferienreise kennengelernt hatte, kam mit seinem Gemeinderat zu uns auf Besuch.

Im alten St.Gallen wurde der Amtsbürgermeister mit „Ihro Vorsicht und Weisheit“ und weiteren Ehrentiteln angeredet.

Mit dieser und weiteren Floskeln konnte ich aber den deutschen Gast nicht begrüssen, weil es eindeutig zu lang geworden wäre. Für den Bürgermeister der Stadt St.Gallen, meinte ich dann, würde „Ihre Vorsicht“ genügen. Die deutsche Gruppe lachte herzhaft und die St.Galler lächelten. Als ich dann solche frechen Bemerkungen weggelassen habe, waren alle enttäuscht.

Nach dem Tod von Otto Bergmann wurde ich nicht mehr engagiert, weil die Kolleginnen vom Verkehrsbüro die Führungen gratis anboten... Nur als Franz Hagmann Stadtammann war, konnte ich noch einmal eine Führung für Gäste der Stadt machen, weil er nicht sagte: „Da choscht aber...“

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Zu jung, zu alt?

Als ich mit meinen Führungen anfing, hatte ich eine Gruppe aus Deutschland. Ich hörte wie einer sagte: „Die ist doch zu jung; die weiss doch nichts.“ Es waren alles Geschichtsprofessoren. Ich wurde etwas nervös, war aber dank Professor Duft gut vorbereitet, und ich liess viele humorvolle Bemerkungen am Anfang weg, bis ich merkte, die nehmen mich ernst. Die Gruppe schickte mir dann ein Buch mit einer schönen Widmung.

Das Gegenteil erlebte ich viel später mit einer Gruppe aus Schaffhausen. Die Gäste kamen eine Stunde zu spät. Darum erklärte ich, dass ich die Führung stark kürzen müsse, weil ich anschliessend noch eine Gruppe hätte. Die Reiseleiterin war empört und beanstandete zudem meine kurzen grauen Haare, was für sie offenbar eine Zumutung war. Sie allerdings trug die Haare lang und schlecht gefärbt.

Mitarbeit im Stadtarchiv

Ab 1998 konnte ich im Stadtarchiv selbstständig das Kirchenarchiv St. Otmar und das Theaterarchiv ordnen. Das Theaterarchiv war besonders spannend während der Zeit des Nationalsozialismus. Was gab es da für Schicksale. Künstler, die aus Nazideutschland fliehen mussten und unsere Kultur sehr bereicherten. Ich bearbeitete danach über 800 Mandate und Gesetze der freien evangelischen Stadt und Republik St.Gallen.

Die Stadtarchivare glaubten, ich könne sehr vieles für meine Führungen brauchen, und so war es: Ich weiss, wie die St.Galler lebten, welche Kleider, welches Essen erlaubt waren; Hochzeiten, tanzen und „butzen“, das Benehmen in der Kirche, Ehebruch, vorehelichen Verkehr und anderes mehr. Das Wichtigste: Man erliess im alten St.Gallen Gesetze, damit niemand der Obrigkeit zur Last falle.

Wenn ein Gesetz nicht funktionierte, änderte man es innerhalb von wenigen Wochen. Man hatte angestellte Aufseher, die kontrollierten, ob alles eingehalten werde. Zuwiderhandlungen wurden gebüsst. Die Verzeiger, die sogenannten „Socken“, bekamen die Hälfte der Busse und durften nicht verraten werden. Man kennt heute noch den Ausdruck: „Du bisch än blöde Sockä!“

Den ersten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den zweiten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den dritten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den vierten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.

Maria Hufenus im Web: stadtfuehrungen.sg

Maria Hufenus, St.Gallen
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