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Stadt St.Gallen
03.09.2022
21.06.2025 21:17 Uhr

«Die Frau mit dem Köfferli», Teil 4: Gäste aus aller Welt

Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli
Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli Bild: Archiv
Stadtführerin Maria Hufenus erinnert sich in ihren Memoiren «Die Frau mit dem Köfferli» an so manche Episode aus rund einem halben Jahrhundert Führungen durch die Gallusstadt. stgallen24 stellt jede Woche exklusiv ein neues Kapitel vor. Heute: Gäste aus aller Welt.

«Ich machte auch Führungen für den Kanton. Nach der Führung wurden die Gäste in der Regel im Pfalzkeller zu einem Apéro mit Mostbröckli oder zu einem Zmittag mit einer Bratwurst samt Püürli eingeladen. Meistens hiess es dann: „Frau Hufenus, Sie sind selbstverständlich miteingeladen. Sie müssen diese Zeit für uns reservieren.“

Aber oft hiess es nach einer Führung auch: „Vielen Dank, Adie, Frau Hufenus.“ Ich fragte mich dann: „Was habe ich dieses Mal falsch gemacht?“ Daraufhin schaute ich die Führungen des Kantons genauer an und siehe da: Immer, wenn die Führung fremdsprachig war, wurde ich eingeladen, nach deutschen Führungen jedoch nicht! Vorbildlich, wie der Kanton so Steuergelder für einen Dolmetscher sparen konnte.

Als Lord Mayor Anne Terence Mallinson zum Essen eingeladen wurde, bekam sie auf einem Teller, in Papier gewickelt die Bratwurst mit einem „Püürli“. Die Regierungsräte baten mich: „Frau Hufenus, erklären Sie ihr, wie das hier so lustig zu und her geht.“ Die Engländerin sagte darauf hin bloss: „Oh, how nice.“ In Schaffhausen, in der „Fischerzunft“, einem der besten Restaurants der Schweiz, wurde sie mit einem „lovely meal“ solenn gastiert.

Maria Hufenus (schwarzes Oberteil) Ende der 1990er-Jahre Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Einmal führte ich die Schumacherzunft aus Zürich. St.Gallen war Gast beim „Sechseläuten“ gewesen. Der Zunftmeister fragte: „Kommen Sie auch zum Essen; ich hätte noch einige Fragen.“ Die Führung war deutschsprachig, und ich lehnte sofort ab: „Ihr wollt doch unter Euch sein.“ Regierungsrat Karl Mätzler wollte ihn begrüssen. Der Zunftmeister schob mich vor und sagte: „Sie hat eine top Führung gemacht; ich würde gerne beim Essen mit ihr diskutieren.“ Ich lehnte noch einmal dankend ab; aber Mätzler hüstelte sauersüss: „Chömed Sie nu, äs hätt schono äs Würschtli für Sie.“ Das wurde dann zu Hause zu einer steten Redensart!

Eines Tages hörte ich auf dem Telefonbeantworter: „Her Majesty wird die Stiftsbibliothek und die Kathedrale besuchen.“ Ich rief sofort zurück, als sich niemand meldete, glaubte ich an einen Scherz. Dann rief mich Cornel Dora an. Er sollte besagte Führung am 24.Mai 1998in der Stiftsbibliothek machen und ich in der Kathedrale. Der Bischof und ich hätten eine Prinzessin aus Thailand am Eingang begrüssen sollen. Der Bischof weilte aber damals in Rom. An seiner Stelle wartete Generalvikar Anton Thaler mit mir auf die Prinzessin. Sie kam in einem Cadillac mit grosser Entourage.

Aus dem Auto kamen zuerst zwei Turnschuhe, dann eine Frau in einfachem Jackettkleid und schliesslich Männer, die um den Wagen herum rannten und ihr in ein Rucksäckli halfen. Thaler stiess mich an mit der Bemerkung: „Du, ist das eine Prinzessin?“ Diese war dann jedoch sehr interessiert und machte Notizen. Am Schluss schenkte sie uns einen Kugelschreiber. Thaler flüsterte etwas irritiert: „Sind wir in Afrika?“ Als ich später eine neue Mine brauchte, sagte die Verkäuferin: „Sie, tragen Sie dem Sorge, der ist aus Gold und trägt das Wappen des thailändischen Königshauses.“

Einige Zeit später kam der Aussenminister von Thailand nach St.Gallen, den ich im Restaurant „Gallusplatz“ abholen musste. Als ich dorthin kam, sagte Hans Sistek: „Die haben eine Rangordnung; da müssen Sie sich durchsetzen. Der oberste Chef trinkt Château Mouton Rothschild, der unterste Wasser.“ Sofort kam eine Sekretärin: „Are you the guide? We are a little bit late; just have a cup of tea.“ Der Wirt jedoch kam mit einem Glas auf einem Tellerchen mit Spitzendeckeli: „O, we know her; I bring her a Glass of Champagne.“

In der Bibliothek erklärte ich, dass alle Pantoffeln tragen müssten, worauf der Botschafter befahl: „Not him!“ Ich schlüpfte dann in meine Pantoffeln mit der Bemerkung: „Everybody, even me!“ Der Minister schlüpfte ohne Umstände zu machen in die Pantoffeln. So war es immer: Die Nummer Eins war nett und unkompliziert; die Nummern zwei und drei waren oft eklig. Beim Einschreiben ins Gästebuch, sah der Minister auf meinem Kugelschreiber das königliche Wappen, was mir drei Verbeugungen einbrachte.

Mary Robinson, die Präsidentin Irlands, war 1994 nach St.Gallen gekommen, um den Freiheitspreis von Max Schmidheiny entgegen- zunehmen. Ihr lang gehegter Wunsch, die Stiftsbibliothek zu besuchen ging dank der Organisatoren der internationalen Management - Gespräche in Erfüllung. Einer der Mitbegründer des „St.Gallen Symposium“ war Wolfgang Schürer, der immer wieder Gäste nach St.Gallen brachte, beispielsweise die Partner der Nobelpreisträger. Er leistete viel für die Kultur St.Gallens und tat viel für mich und meinen Mann.

Die irische Präsidentin Mary Robinson (Mitte) Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Ich durfte dann Mrs Mary Robinson und ihren Mann in der Stiftsbibliothek von Vitrine zu Vitrine führen. Sie erzählte mir zwischendurch von Büchern, die sie über die Beziehungen zwischen St.Gallen und Irland gelesen hatte; sie wusste darum auch über Details Bescheid.

Besonders interessierten sie die altgälischen Randbemerkungen in den St.Galler Manuskripten, zum Teil in Latein oder in Althochdeutsch, beispielsweise: „Gott sei Dank, es dunkelt“ oder „Wer nicht schreiben kann, wähnt, das sei keine Mühe, zwar schreiben nur drei Finger, doch der ganze Leib ist mit angestrengt.“

Ein irischer Mönch schrieb: „Raues Pergament, dünne Tinte; ich sage nichts mehr!“ Über die zahlreichen und ältesten Manuskripte in St.Gallen sagte die Irländerin: „Das ist Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit .“

Bundesrat Arnold Koller (2. v. l.) Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Unter dem Titel „Erholsames Ministertreffen in der Stiftsbibliothek“ schrieb Martin Läubli 1996 im „ St.Galler Tagblatt“: Da staunt der österreichische Innenminister, Caspar Einem: Nicht nur über die grossartigen Barockverzierungen in der St.Galler Kathedrale, sondern auch über die kühne Verknüpfung zwischen Architektur und Politik, die Stadtkennerin Maria Hufenus bei ihrer Führung vollzieht: „Es gibt keinen eigenen Barock in der Schweiz. Er wurde von aussen beeinflusst. Wir haben deshalb Europa schon lange, und darum hat das Schweizer Volk gegen den EWR-Beitritt gestimmt.“ -

Schmunzeln in den Reihen der kleinen Delegation, die am Donnertagnachmittag Kathedrale und Stiftsbibliothek besuchte. Nach gewagter Hypothese ein prüfender Blick zu Bundesrat Arnold Koller: „War das nicht erlaubt?“, fragte Maria Hufenus. Es herrsche doch Meinungsfreiheit, antwortete dieser.»

Den ersten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den zweiten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den dritten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.

Maria Hufenus im Web: stadtfuehrungen.sg

stgallen24/Maria Hufenus
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