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Stadt St.Gallen
02.12.2020
02.12.2020 18:41 Uhr

«St.Gallen muss selbstbewusster werden»

Maria Pappa am Tag ihrer Wahl (29.11.20) im Athletikzentrum (Bild: Marlies Thurnheer)
Maria Pappa am Tag ihrer Wahl (29.11.20) im Athletikzentrum (Bild: Marlies Thurnheer) Bild: Marlies Thurnheer
«Mehr miteinander» ist das Hauptziel von Maria Pappa, um der Gallusstadt zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Ein Porträt der neu gewählten Stadtpräsidentin.

Die Stadt St.Gallen wird zum ersten Mal in der Geschichte von einer Frau präsidiert – und zum zweiten Mal hat die SP das Präsidium inne. Maria Pappa ist offen, authentisch und sucht den Kontakt mit der Bevölkerung. Nicht von ungefähr hat die 49-Jährige nach der Wahl denn auch betont, dass sie sich für die Interessen der Menschen in der Stadt einsetzen werde – notabene Interessen, die zum Teil weit auseinanderliegen.

Direktionswechsel offen

Dass St.Gallen ab Januar 2021 von einer Frau im Stadtpräsidium geführt wird, macht für Maria Pappa vor allem von der Aussenwahrnehmung her einen Unterschied. «Die Stadtbevölkerung zeigte sich bei den Wahlen offen für Frauen, für Menschen mit einem Migrationshintergrund – und der war nicht mal Thema im Wahlkampf.» Die Mehrheit zeigte sich auch offen für eine sozialgeprägte Politikerin. «Ich bekam nach der Wahl viele Reaktionen im Sinne von ‘Wow, St.Gallen macht vorwärts’», sagt Pappa. Dass sie sich im Wahlkampf ums Stadtpräsidium durchsetzte, hat für sie auch damit zu tun, dass ihr Leistungsausweis der letzten vier Jahre als Baudirektorin Beachtung fand.

Traditionellerweise liegt in St.Gallen die Direktion Inneres und Finanzen in den Händen des Stadtpräsidums. «Ob ich die Direktion wechsle, ist derzeit noch offen. Falls man die Baudirektion anders aufstellen würde, könnte ich mir gut vorstellen, die Direktion zu behalten», sagt Pappa. Aktuell seien in dieser Direktion aber so viele Aufgaben konzentriert, dass man nicht zusätzlich noch die Aufgaben des Präsidiums übernehmen könne. Gut möglich also, dass Pappa aufgrund dieser Ausgangslage morgen Donnerstag bei der Verteilung der Direktionen die Baudirektion abgibt.

Unterschätzte Hauptstadt

St.Gallen ist zwar die Kantonshauptstadt – im Gegensatz zu anderen Hauptstädten in der Schweiz hat sie jedoch nur schon innerhalb des Kantons einen schweren Stand und wird nicht als Metropole wahrgenommen. «Vieles im Kanton ist geografisch verteilt, deshalb wird St.Gallen nicht als Zentrumsstadt wahrgenommen», erklärt Maria Pappa. Gerade ländliche Regionen hätten ein schwieriges Verhältnis zur Hauptstadt. «In anderen Kantonen ist man stolz auf die Hauptstadt», hält Maria Pappa fest.

«Auch von aussen werden wir unterschätzt», stellt sie fest. Hier gelte es, St.Gallen noch besser als innovativen Wohn- und Wirtschaftsstandort zu positionieren – gerade auch die Innenstadt, deren Geschäfte derzeit infolge der Corona-Krise noch zusätzlich zu kämpfen haben. Hier wurde bereits 2016 das Projekt «Zukunft St.Galler Innenstadt lanciert» und daraus zehn Massnahmen abgeleitet – zusätzlich erfolgte diesen Sommer eine Kommunikationskampagne.

«Die Gassen waren diesen Sommer sehr belebt», stellt Pappa fest, «und auch in den letzten zwei bis drei Monaten waren am Wochenende trotz Corona sehr viele Menschen in der Innenstadt.» Für Pappa ein Zeichen, dass sich hier bereits eine Wirkung zeige. «Viele Städte beobachten dieses Projekt und holen sich Tipps», sagt Pappa. Auch bei ökologischen Themen sei St.Gallen gut auf Kurs, so erarbeitete die Stadt in den letzten Jahren verschiedene nachhaltige Konzepte – Stichwort Umwelt, Mobilität oder jüngst die Baumstrategie.

Arealentwicklung vorantreiben

Hinsichtlich der Arealentwicklung für die Neuansiedlungen von Unternehmen und Neuzuzügern gibt es in St.Gallen indes noch Luft nach oben. Hier gibt es seitens Wirtschaft und Verbänden immer wieder Kritik, dass der Stadtrat zu zögerlich sei oder zu wenig für die Interessen der Stadt lobbyiere – etwa beim Kanton für ein besseres S-Bahn-Netz oder bei der Arealentwicklung.

Dem widerspricht Maria Pappa energisch: «Bei der Arealentwicklung sind wir auf sehr gutem Weg», erklärt sie. In St.Gallen habe es in den letzten Jahren einen Zuwachs an Firmen gegeben – und im Gegensatz zu anderen Städten habe St.Gallen auch Potenzial für eine wirtschaftliche Entwicklung mit mehreren Arealen. «Aktuell sind wir zusammen mit dem Kanton und der Stadt Gossau an der Arealentwicklung in St.Gallen West», so Maria Pappa. Das Areal ist eines der grösseren zusammenhängenden Gebiete für Arbeitsplätze im Kanton St.Gallen und ist im kantonalen Richtplan als wirtschaftliches Schwerpunktgebiet taxiert.

Smarte Stadt

Eine Führungsrolle soll St.Gallen auch als «Smarte Stadt» einnehmen. «Zusammen mit dem Kanton haben wir es geschafft, dass der Innovationspark zustande kommt», erklärt Maria Pappa. «Hier wollen wir innovativ und stark werden und deshalb hat die Stadt auch einen ‘Chief Digital Officer’, der die strategische digitale Gesamtausrichtung der Stadt verantwortet. Hier gehören wir zu den führenden Städten schweizweit», erklärt sie. Im medizinischen Bereich strebe St.Gallen ähnliches an mit dem geplanten Medtech-Cluster im Gebiet zwischen Olma und Kantonsspital.

Zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort gehören auch gesunde Finanzen – und die waren in St.Gallen schon rosiger – die Stadt ist steuerlich nahe am Ausgleich. Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich die Situation weiter verschärft. «Wir entschieden im Sommer im Stadtrat, kurzfristige Sparmassnahmen einzuleiten. Schon früher überprüften wir ausserdem, wie die Verwaltung noch effizienter werden kann, und wie bei der Infrastruktur kostengünstig und doch nachhaltig gebaut werden kann», sagt Pappa.

Miteinander für eine lebendige Stadt

Anfang 2021 legt der Stadtrat die Legislaturziele für die nächsten vier Jahre fest. «Mir persönlich ist es wichtig, dass wir die vorhandene Kreativität und das grosse Potenzial, das in dieser Stadt «bereitsteht», noch mehr nutzen können. Die gemeinsame Entwicklung der Stadt soll noch mehr ins Zentrum gerückt werden», erklärt Maria Pappa. Gerade bei Projekten, die zur Wohn- und Lebensqualität der Stadt beitrügen, so etwa bei der Wohnraumstrategie, sei ein Miteinander der verschiedenen Akteure sehr wichtig. «Wir möchten Innovation fördern, vielfältiges Wohnen, vor allem auch für junge Familien.» Die Stadt selber hält aktuell nur zwei Prozent aller Wohnungen. «Auch hier geht es darum, mit den Wohnraumakteuren zusammenzuarbeiten, damit die Stadt als attraktiver Wohnraum wahrgenommen wird.»

«Ich erlebte in den letzten vier Jahren als Baudirektorin sehr häufig, dass die Meinungen sehr weit auseinandergingen – ein Beispiel ist die Neugestaltung des Marktplatzes», illustriert Pappa. Hier galt es, im Gespräch herauszufinden, was man gemeinsam wollte, welches die wichtigen Punkte waren. «Hier hilft es mir, dass ich ursprünglich von der sozialen Arbeit komme und mich auf Konfliktmanagement spezialisiert hatte», so Pappa. «Ich bin überzeugt, dass wir auch beim Gebiet Ruckhalde, wo aktuell zwei Interessengemeinschaften verschiedene Lösungen anstreben, eine gute Lösung finden, in dem wir zunächst mal an einen Tisch sitzen.»

Pappas Vision von St.Gallen ist eine Stadt, die sich wieder ihren Stärken bewusst ist und ihrer Einzigartigkeit – und von aussen als solche wahrgenommen wird. Ob «yes, we can», auch für St.Gallen gilt, werden die nächsten Jahre zeigen.

Tanja Millius, stgallen24
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