Wenn Schopenhauer schreibt, Tiere seien «kein Fabrikat zu unserem Gebrauch», dann denkt er an jene Stelle im Alten Testament, wo steht: «Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde! Furcht und Schrecken vor euch komme über alle Tiere der Erde, über alle Vögel des Himmels, über alles, was auf Erden kriecht, und über alle Fische im Meer: in eure Hand sind sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das Kraut, das grüne, gebe ich euch alles.» (1. Mose, 9, 1-3; vgl. auch 1. Mose, 1, 26, 28.)
Zwischen diesen Kapiteln aus dem ersten Buch Moses stellt Schopenhauer einen Zusammenhang her zu den «absurden und sehr oft empörenden Sätze» der Moralphilosophie des Philosophen Baruch de Spinoza (1632-1677). In dessen «Ethik» steht, er leugne keineswegs, «daß die Tiere Empfindung haben; wohl aber bestreite ich, daß es deswegen nicht erlaubt sein sollte, für unseren Nutzen zu sorgen und sie nach Belieben zu gebrauchen und so zu behandeln, wie es uns am besten paßt».
Nach Spinoza existiert in der Natur ausser dem Menschen nichts, was zu schonen wäre, und unsere Vernunft lehrt uns, die «Einzelwesen in der Natur», also die Tiere, je nach deren «verschiedenen Brauchbarkeiten zu schonen, zu zerstören oder auf jedwede Weise unserem Gebrauche anzupassen».
Dass dem Tierfreund Schopenhauer solche Sätze missfallen mussten, ist verständlich. In seinem Hauptwerk «Die Welt als Wille und Vorstellung» heisst es dazu, absurd und abscheulich zugleich sei Spinozas «Verachtung der Thiere, welche auch er, als bloße Sachen zu unserm Gebrauch, für rechtlos erklärt». Gar kein Verständnis hatte der «Philosoph des Mitleids» für die Tierquälereien, welche Spinoza «zu seiner Belustigung und unter herzlichem Lachen, an Spinnen und Fliegen zu verüben pflegte»; sie entsprächen, urteilte Schopenhauer, nur zu sehr den von ihm «gerügten theoretischen Sätzen, wie auch besagten Kapiteln der Genesis».
Ebenfalls im Hauptwerk steht dann aber doch: «Bei dem Allen bleibt Spinoza ein sehr großer Mann.»