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Stadt St.Gallen
15.07.2025

«Ein Traum von einem Ballkleid» – Kunst der Psychiatrie erstmals öffentlich

Béatrice Schweizer (1936–2013) Ohne Titel (Mandala mit Grotesken), 1998 Kreide auf Papier, 23.5 x 33.5 cm, UPK Basel  Kunstarchiv, Schenkung Benny Schweizer
Béatrice Schweizer (1936–2013) Ohne Titel (Mandala mit Grotesken), 1998 Kreide auf Papier, 23.5 x 33.5 cm, UPK Basel Kunstarchiv, Schenkung Benny Schweizer Bild: zVg
Die Reihe Verborgene Schätze aus Schweizer Psychiatrien des Open Art Museum wird durch die Ausstellung «Ein Traum von einem Ballkleid» vom 28. August 2025 bis 22. Februar 2026 erweitert. Erstmals werden künstlerische Arbeiten aus dem Bilderlager der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel öffentlich gezeigt.

Mit einer Vernissage am 27. August 2025 um 18:30 Uhr eröffnet das Open Art Museum die Ausstellung «Ein Traum von einem Ballkleid», die bis zum 22. Februar 2026 den Blick auf öffentlich unbekannte Sammlungen und künstlerische Konvolute aus dem Bilderlager der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel lenkt.

Dabei sollen auch neue Perspektiven der Healing Art und kreative Wege der mentalen Gesundheitsförderung eröffnet werden. Nach der Präsentation in den UPK Basel zwischen Dezember 2024 und März 2025 ist die Ausstellung nun im Open Art Museum, dem Zentrum für schweizerische Outsider Art, Art Brut und Naive Kunst zu sehen – ergänzt um zusätzliche Werke, die den Einblick in den Bestand vertiefen.

Vera Geigy *(1937–?) Ohne Titel (Interieur mit Jagdtrophäe und Uhr), undatiert Bleistift und Farbstift auf Papier, 29.5 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

«Dieses Wandern aus den UPK in das Open Art Museum gibt den Werken noch mal einen ganz anderen Rahmen. Hier wird die künstlerische Seite betont. Und das ist etwas, was mich ausserordentlich freut. Dass dieses Stigma, das einen Menschen mit einer psychischen Erkrankung umgibt, ein Stück weit abgestreift werden kann und diese Menschen in ihrer Künstlerpersönlichkeit sichtbarer werden.» (Annetta Neyenhuys, Dipl. Kunsttherapeutin an den UPK Basel)

Einblick in den Kopf von Patienten

Die gezeigten Arbeiten wirken als gesellschaftliche Seismografen. In ihnen spiegelt sich die Wahrnehmung der Welt zu unterschiedlichen Zeiten auf eine persönliche, direkte Weise. Die meisten künstlerischen Arbeiten aus dem Bilderlager der UPK Basel entstanden von Patienten vor Ort in den Jahren 1960 bis 1990. Zum ersten Mal sind diese nun öffentlich zu sehen. Nur die in den UPK entstandenen Gemälde von Adelheid Duvanel wurden zuvor gezeigt.

«Hier wird nicht das Laute, nicht das Spektakuläre, nicht das Schrille gefunden. Wir werden vielmehr hineingeführt in eine leise Welt. In eine Welt, die sich für viele reduziert hat. Wir erhalten Einblick in Wahrnehmungen und Empfindungen von Personen aus einer Welt, die uns oft unzugänglich ist. Wir kennen psychiatrische Kliniken meist nur, wenn wir selbst betroffen sind. Ansonsten sind das Orte, von denen wir nahezu nichts wissen. Aber dort wird eben auch gelebt. Und das lässt sich in dieser Ausstellung finden. Wir können durch diese ausgestellten künstlerischen Arbeiten Eintritt nehmen in ein Klinikleben. Aber auch die Psychiatrie öffnet sich nach aussen hin und wird dadurch transparenter. Es ist eine Tür in beide Richtungen.» (Museumsleiterin Dr. Monika Jagfeld)

Kunst in der Psychiatrie

Die Geschichte der Art Brut beginnt mit dem grossen Interesse aufgeschlossener, psychoanalytisch interessierter Psychiater und avantgardistischer Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts an künstlerischen Arbeiten aus psychiatrischen Kliniken und Heil- und Pflegeanstalten. Sahen die Ärzte in den Werken vor allem einen diagnostischen Zugang und die positiven Auswirkungen kreativer Tätigkeit auf Patienten, suchten die Künstler den befreiten künstlerischen Ausdruck.

Vera Geigy *(1937–?) Ohne Titel (Interieur mit rotem Sessel), undatiert Bleistift und Farbstift auf Papier, 29.5 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Losgelöst und unbeeinflusst von gesellschaftlicher und kultureller Indoktrination seien diese Werke entstanden und damit Ausdruck einer «echten» und «ursprünglichen» Kunst, in der sich die «unbewussten Komponenten […] fast rein verkörpern» (Hans Prinzhorn, 1922). So formulierte 1945 der Künstler Jean Dubuffet im Begriff «l’art brut» ausdrücklich eine subversive Gegenbewegung zur «l’art culturel».

Bis heute hält jene Sehnsucht nach einer existentialistischen Form des Ausdrucks an. Positionen der Art Brut und der weiter verstandenen Outsider Art sind an jeder Biennale in Venedig und documenta einbezogen. Aktuell wird in den internationalen Medien über den französischen Sammler Bruno Decharme berichtet, dessen Werkschenkungen an das Centre Pompidou unter dem Titel Art Brut. Dans l’intimité d’une collection im Grand Palais in Paris bis zum 21. September zu sehen sind.

Verborgene Schätze aus Schweizer Psychiatrien

Jenseits solcher grossen Schauen mit international bekannten Künstlern, schlummern bis heute noch viele ungesehene Werke und kaum beachtete Sammlungen in den psychiatrischen Kliniken und Staatsarchiven. Diesen will das Open Art Museum mit der Reihe Verborgene Schätze aus Schweizer Psychiatrien eine Bühne geben.

In der Basler Ausstellung wurden zu den Werken aus dem Bilderlager Arbeiten aus der Sammlung des Open Art Museum aus psychiatrischem Kontext gegenübergestellt. Die St.Galler Ausstellung konzentriert sich hingegen auf den Bestand des Bilderlagers der UPK.

Abraham Siegelbaum-Soberski (1908–1981) «ch = ך, z = צ«, undatiert Farbstift auf Papier, 44.3 x 55.4 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Aus der eigenen Sammlung sind lediglich Zeichnungen von Peter Wirz (1915–2000) beigefügt, der ebenfalls Patient in den UPK Basel war. Adelheid Duvanel (1936–1996), die wiederholt in den UPK Schutz suchte und dort erneut zu zeichnen begann, wird ab dem 9. November 2025 im Open Art Museum eine Einzelausstellung gewidmet.

Werke ausgewählter Künstler

«In creation you are created.» (C. G. Jung) Die in den psychiatrischen Kliniken entstandenen künstlerischen Arbeiten sind einerseits ein Spiegel der Gesellschaft und des damaligen Verständnisses von Psychiatrie und mentaler Gesundheit. Andererseits sind sie unmittelbare Zeugnisse einer individuellen und oft intensiven Auseinandersetzung mit persönlichen Lebensmotiven und eines steten Ringens um die passende Ausdrucksweise, Form und das richtige Material.

Viele der Werke eröffnen uns einen Blick auf das alltägliche Leben in der Klinik, einem Alltag, den die Patienten weitestgehend von der Aussenwelt abgeschnitten verbrachten. Die Werke sind aus einer tief empfundenen Dringlichkeit geschaffen. Sie sind bildnerischer Ausdruck der Suche nach Halt, Orientierung und nach Sinnstiftung. Sie formulieren eine Annäherung an das, was ist, und offenbaren die Sehnsucht nach dem, was verloren oder verborgen ist und erträumt wird.

Vera Geigy *(1937–?) Ohne Titel (Interieur mit Bett), undatiert Bleistift und Farbstift auf Papier, ca. 21 x 29.7 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Im Prozess der Erkundung eines schöpferischen Ich gestaltet, entwickelt und erkennt sich zugleich das Ich. Viele Werke sind signiert, einige betitelt und gedeutet für das mitgedachte Publikum. Die Patienten suchen die Öffentlichkeit und kennzeichnen selbstbewusst ihre Autorschaft.

Diesen Anspruch auf eine Künstleridentität erheben sie auch als künstlerisch Ungeübte. Fotografien von Adolf Wölfli oder Heinrich Anton Müller und anderen zeigen diese in stolzer Künstlerpose neben ihrem Werk. Das Versprechen der Kunst ist gross, als Kunstschaffende einen neuen, anerkannten Platz in der Gesellschaft zu finden. 

Innen und Draussen 

Vera Geigy (1937–?) gibt neben einzelnen Szenen im Klinikgarten immer wieder Einblicke in Interieurs. Der Blick nach aussen bleibt durch die kleinen Fenster verwehrt. Fensterkreuze unterstreichen die Verschlossenheit des Raumes. Auffällig ist Vera Geigys Zuschreibung der Bedeutungsgrössen: Die Möbel, das Bett erhalten gigantische Ausmasse, in denen die winzigen Figuren regelrecht verschwinden.

Vera Geigy *(1937–?) Ohne Titel (Frauenportrait), undatiert Bleistift und Farbstift auf Papier, 29.5 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Sie verweisen wie auch die im Klinikgarten riesengross gestalteten Blumen auf den besonderen Stellenwert, den diese Motive für die Künstlerin haben. Es ist immer dieselbe Frauenfigur, die Vera Geigy zeichnet, vermutlich ein Selbstporträt.

«Ein Traum von einem Ballkleid»

 Bei E. W. (*1934) findet sich eine ähnliche Interieurszene. Die kleine Frauenfigur steht sehnsuchtsvoll am Fenster, ihre Arme halten den Fensterrahmen wie ein Gemälde und das Aussen wird zu einem imaginierten Bild. Auf DIN-A4-Blättern versammelt sie alle ihre – vermutlich verlorenen – Besitztümer. Es sind Dinge des Alltags, auch ganz banale Dinge, die hier aufgereiht, gezeichnet und erinnert werden.

Masken und ein Kreuzkettchen aus der Kindheit, Schuhe, Krawatten, Kleidungsstücke, Orangen, die der Vater gegessen hat, eine aufbewahrte Kindslocke und das Spitzenkleid der Grossmutter.

E. W. *(1934) «4 Nylon Nachthemden mit SG und Slips zu tragen», 1966 Farbstift auf Papier, 21 x 29.7 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Alles wird einfach skizziert, schnell festgehalten, damit es nicht auch aus der Erinnerung herausfällt und ganz verloren geht. Gedanken verflüchtigen sich, gezeichnet sind die Dinge auf Papier wieder materialisiert, sie werden zu Objekten, die neu besessen werden können. Der «Traum von einem Ballkleid» bleibt indes wohl unerreicht.

Bevorzugt: Ölfarbe und Leinwand

Auch Ruth Handschin (1921–?) bewegt sich im Innenraum. Doch sie öffnet die Fenster mit einem weiten Blick hinaus in die Landschaft. Sie zeigt nicht das Klinikinterieur, sondern häusliche Szenen mit üppigen Blumenstillleben und spielenden Kindern, die merkwürdig isoliert im Raum verteilt sind.

Alice Mantot, Ohne Titel (Portrait mit Zigarette), 1964 Gouache und Kreide auf Papier, 59.4 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

Ihr Umgang mit Farbe und Perspektive weist sie als geübte Malerin aus. Dafür spricht ebenso, dass sie die Einzige zu dieser Zeit ist, die mit Ölfarbe auf Leinwand malt – teure, professionelle Materialien, die den meisten Patienten in den UPK Basel nicht zur Verfügung standen.

«Riesenwerk des Himmels»

Abraham Siegelbaum-Soberski (1908–1981) sinniert über das «Riesenwerk des Himmels», so der Titel eines Blattes, über Naturereignisse und Himmelserscheinungen und weltumspannende Zusammenhänge. Seine Farbstiftzeichnungen und Gouachen sind gefüllt mit Symbolen und Zeichen, mit hebräischen Aufschriften, Zitaten und Gebeten. Es handelt sich um ein konzeptuelles Werk, das es noch zu erforschen gilt.

Die Darstellung einzelner vergleichbarer Himmelszeichen lässt eine Gegenüberstellung mit Zeichnungen von Peter Wirz zu. Die Krankenakte von Abraham Siegelbaum-Soberski wurde bis zu seinem Tod 1981 geführt.

braham Siegelbaum-Soberski (1908–1981) «Welcher Kommandant wird im Krieg das Heiligtum der Seele verteidigen», 1962 Farbstift auf Papier, 59.4 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv Bild: zVg

In diesem Zeitvakuum des Kliniklebens, hat er den Raum um himmlische Sphären erweitert, die er in Ruhe erforschen konnte: «Die Erde wurde besiegelt mit Kunstleuchtenden Wunder-Werken des Allmächtigen die die Kronen der Ewigkeit bedeuten (im Zwischenmass der Astronomie Gebete)».

«Ein Zwischenreich für Nichtfunktionierer»

Ein Œuvre ragt unter allen heraus. Im Bilderlager der UPK Basel sind auch Arbeiten der Schauspielerin und Zeichnerin Béatrice (Bea) Schweizer (1936–2013) bewahrt. Ihr künstlerisches Werk umfasst rund 600 Bilder, klein- wie grossformatige, und nimmt in der Sammlung der UPK den grössten Umfang ein. Auch formal und inhaltlich handelt es sich um ein eigenwilliges Werk. Es ist vielseitig und zeigt ihr Können. Es liegt nahe, dass Béatrice Schweizer eine künstlerische Ausbildung absolviert haben könnte.

Béatrice Schweizer (1936–2013) «5’ nach Pertranquil/ bewegt sich», undatiert Kugelschreiber auf Papier, 33 x 30 cm, UPK Basel Kunstarchiv, Schenkung Benny Schweizer Bild: zVg

Eine Werkgruppe steht im Zentrum der Ausstellung: Zarte Zeichnungen mit schwarzer Tinte auf Registerpapier für EEG-Diagramme. Béatrice Schweizer nutzt den Verlauf der nervösen Kurven der gemessenen elektrischen Aktivität des Gehirns mit ihren unterschiedlichen zackigen Ausschlägen. Sie folgt den Kurven, fährt in rasanten Bewegungen darüber hinaus, verdichtet ihre Striche zu eingeschwärzten Partien, aus denen sich Figuren entwickeln. Beherrscht wird ihr Werk von Motiven des Dämonischen.

In den Zeichnungen erscheinen sie wie in das Diagramm eingeschrieben, als würden sie aus den eigenen Hirnströmen herausfliessen und auf dem Papier Gestalt annehmen. Es lässt sich nur mutmassen, mit welchen inneren Dämonen Béatrice Schweizer kämpfte. Ein Dämon ist der Alkohol. Im Film Selbstbildnis Béatrice S. (1974) spielt sie ihre eigene Sucht. Der Film ist ein Porträt, aber keine Dokumentation, er folgt vielmehr den autobiografischen Aufzeichnungen der Künstlerin.

Probleme seit der Geburt

Hier äussert Béatrice Schweizer, ihre Probleme hätten schon seit ihrer Geburt bestanden, sie wollte nicht atmen, später nicht gehen. Das Magazin Der Spiegel bezeichnete den Film damals als «Versuch eines therapeutischen Wiedererlebens». «Ich bin unbrauchbar geworden», sagt sie einmal. 1968 begibt sich Béatrice Schweizer erstmals und freiwillig in psychiatrische Behandlung – um ihre Ehe zu retten, wie sie sagt. Die Ehe mit dem deutschen Filmproduzenten und Regisseur Heinz Schaefer (1963 bis 1970) habe sie gebrochen, gibt sie an.

Die Schauspielerei habe sie auf Wunsch ihres Mannes aufgegeben. Es folgen Alkoholismus, eine wachsende Abhängigkeit von Medikamenten und ein On-Off in und aus der Psychiatrie. Diese nennt Béatrice Schweizer «Bewahranstalten», wo «wir seltsamen Menschen, die nicht in die Norm der Leistungsgesellschaft passen», ruhiggestellt und Drogen gegen Drogen eingesetzt werden – «ein perfekter, barbarischer Apparat». Und «ich will mich doch ansiedeln in der Gesellschaft, aber wo?».

«Zwischen Glück und Angst»

Der Spiegel schreibt: «Sie möchte gleichzeitig selbstbewusst und untauglich sein dürfen. Beatrice S. wüsste einen Ort für sich: ‘Ein Zwischenreich, ein Spielplatz für Nichtfunktionierer in dieser sogenannten Wirklichkeit.’» Sie wird schwanger, freut sich, ist hin und her gerissen zwischen Glück und Angst, der Situation nicht gewachsen zu sein. Die Ärzte, denen sie schliesslich folgt, raten zum Schwangerschaftsabbruch und zur Sterilisation.

Béatrice Schweizer (1936–2013) «Schwermütiges Naturkind», 1985 Tusche auf Papier, 59.5 x 42 cm, UPK Basel Kunstarchiv, Schenkung Benny Schweizer Bild: zVg

Als Baslerin ist Béatrice Schweizer mit der Fasnacht aufgewachsen, das Bild und die Kraft des Dämonischen sind ihr vertraut. In Selbstbildnis Béatrice S. sagt sie: «Lassen wir die Dämonen auch in dem Film ihr Wesen treiben. Ich will zeigen, dass es sie gibt. Damit bin ich kein mittelalterlicher Spinner, sondern Avantgarde! Es bestehen doch eindeutige Anzeichen für eine Wiederkehr und Wiedererkenntnis der hellen und dunklen Kräfte, gerade wenn sie aus dem eigenen Hirn stammen. Irgendwie müssen sie doch hineingekommen sein.»

Das Bilderlager der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel

Rund 5‘000 Arbeiten umfasst das Bilderlager der UPK Basel. Sie entstanden von Patienten vor Ort in den 1960er- bis 1990er-Jahren und der Grossteil gehört zur historischen Sammlung. In vielen Fällen sind die Arbeiten wohl einfach dortgeblieben, aber Patienten wurden auch aktiv um Schenkungen gebeten. In den 1950er-Jahren kam zur üblichen Arbeitstherapie als heiltherapeutische Massnahme die Beschäftigungstherapie auf – die heutige Ergotherapie.

Deren vorrangige Aufgabe, neben der Verbesserung und Wiederherstellung funktionaler Fähigkeiten, auch Raum bot für Ablenkung, u.a. im ausdruckszentrierten Arbeiten, Malen, Gestalten. Parallel nahm das psychiatrische Interesse an Patientenarbeiten noch einmal zu. Man sammelte und archivierte sie, möglicherweise auch in Hinblick auf eine diagnostische Auswertung.

Kunsttherapie als eigenständiges und ergänzendes Therapieangebot dürfte gegen Ende der 1980er-Jahre eingeführt worden sein und war u.a. in der Psychotherapeutischen Tagesklinik der UPK ein integraler Bestandteil des Therapieangebotes. Zwar wurden Ergotherapie und kreatives Gestalten vermehrt noch als Beschäftigungstherapie verstanden, so haben Ärzteschaft und Therapeuten die Patienten doch mit Wertschätzung und auch professionellem Interesse zur künstlerischen Arbeit ermutigt.

Kunst in der Psychiatrie

Dieser Zeit des Aufbaus des Bilderlagers gingen die in den 1930er-Jahren unter dem Direktor John E. Staehelin (1928–1959) angelegten Kunstgewerbeateliers voraus. Dort wurde auch künstlerisch gearbeitet – ob begleitet oder unbegleitet, ist unklar.

Überrascht liest man die Aussage des Arztes Ludwig Blankart, der im Juni 1935 im Behandlungsprotokoll einer Patientin berichtet, dass diese, obwohl inzwischen zu Hause, «tagsüber ins Malatelier» kam. Die klare Benennung eines Malateliers spricht für ein institutionalisiertes Verständnis künstlerischer Tätigkeit in den UPK.

Kunst gehört heute zum kulturellen Engagement der UPK Basel. Kunst unterstützt den Gedanken des kulturellen Verständigens und leistet einen Beitrag zur Öffnung der Psychiatrie. Deshalb finden in den UPK Basel in regelmässigen Abständen Kunstausstellungen statt. Sie zeigen vielfältige Aspekte gestalterischer Ausdrucks- und Kunstformen und stehen in Korrespondenz mit Themen der Gesellschaft sowie der Psychiatrie und Klinik. 

Klinikalltag und Lebensgeschichten in den UPK Basel

Die heutigen Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel sind seit ihrer Gründung auch unter den Namen Irrenanstalt Basel (1886–1898), Kantonale Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt (1899–1960) und Psychiatrische Universitätsklinik (bis 2005) bekannt.

Erst 1954 wurden die Mauern, die das Gelände umgaben, abgerissen und mit der Einführung von Psychopharmaka und neuen symptomreduzierenden Ansätzen in der Behandlung der Patienten die Gitter vor den Fenstern entfernt.

Bis dahin war das Areal der Psychiatrie ein in sich geschlossener Kosmos. Behandlungsmethoden und Therapien entsprechen dem Wissen und der Entwicklung der jeweiligen Zeit. Seit 2013 setzen die UPK Basel das Konzept der «Open door policy» konsequent um.

Wie war der Klinikalltag in der Psychiatrie, wie haben Menschen die Hospitalisierung empfunden?

Das persönliche Erleben der zwischen 1960 und 1990 oft langzeithospitalisierten Patienten ist mittels Einträgen in den Krankenakten nachvollziehbar. Das Historische Museum Basel hat im Rahmen seiner Ausstellung «verrückt normal» (September 2024 bis Juni 2025) zur Geschichte der Psychiatrie in Basel einen Podcast zu neun Fallgeschichten produziert, der in «Ein Traum von einem Ballkleid» integriert wird.

Katja Rehmann und Micha Gasser erzählen unter Verwendung von Pseudonymen die Geschichten von Menschen, die zwischen 1879 und 1984 in der Basler Psychiatrie waren. Anhand der historischen Fallgeschichten geht der Podcast auf den Klinikalltag ein, thematisiert frühere Therapieansätze und macht persönliche Schicksale greifbar. Sie stehen stellvertretend auch für die Patientenkünstler der Ausstellung, deren Lebensgeschichten, Namen und Identität aus Persönlichkeitsschutzgründen unbekannt, nicht öffentlich einsehbar und anonymisiert sind.

Die schützende Anonymisierung birgt ihrerseits allerdings ein Problem: Die in der Signatur ausdrücklich vertretene Autorschaft und Selbstermächtigung wird übergangen, der Mensch, entindividualisiert, ist in seiner Persönlichkeit und Weltsicht ausschliesslich über das Werk identifizierbar. Die für die Werkrezeption wichtigen Informationen zum Kontext und Entstehungszeitpunkt und zur Anbindung an die jeweils individuelle Lebensgeschichte fehlen.

Healing Art

Konzepte von Gesundheit und Krankheit unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel, wissenschaftlichen Erkenntnissen, politischen Aushandlungen von Norm und Abweichung sowie unserem Verständnis von Lebenskonzepten – die aktuell wieder stark verhandelt werden. Das Rahmenprogramm zur Ausstellung ist daher nicht auf ein defizitär verstandenes Krankheitsbild ausgerichtet. Der Fokus liegt auf mentaler Gesundheit.

Dabei sollen auch neue Perspektiven zu Healing Art und kreativen Wegen der mentalen Gesundheitsförderung eröffnet werden. Schon die Psychiater Ende des 19. Jahrhunderts wussten um die positive Wirkung des Kunstschaffens für die mentale Gesundheit, lange bevor Kunsttherapie angeboten wurde.

Die Idee «Museum auf Rezept» reagiert auf neue Erkenntnisse einer Studie, die eine nachhaltige positive Wirkung und des Wohlbefindens schon aufgrund der Kunstbetrachtung aufzeigt. In der Schweiz hat die Stadt Neuchâtel darauf reagiert.

Kuratorinnen

Dr. Monika Jagfeld, Museumsleiterin, Open Art Museum, St.Gallen Isabelle Zürcher MA, Sammlungskuratorin, Open Art Museum, St.Gallen In Kooperation mit Annetta Neyenhuys, Dipl. Kunsttherapeutin, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel

Vernissage

Mittwoch, 27. August 2025, 18:30 Uhr. Mit Apéro und einem Gespräch über das Bilderlager der UPK Basel mit Annetta Neyenhuys, Dipl. Kunsttherapeutin, und Prof. Dr. André Nienaber, Direktor Pflege, MTD, Soziale Arbeit.

Das Begleitprogramm im Überblick

  • Samstag, 13. September 2025, 18–24 Uhr: St.Galler Museumsnacht «verrückt» mit Auftritt von Isabelle la Belle (Buffpapier), Eintritt: 24 CHF für die ganze Nacht
  • Samstag, 15. November 2025, 15–17 Uhr: Nur die Bilder verlieren ihr Gedächtnis nicht. Was bewirkt Kunsttherapie? Workshop und Führung mit den Kunst- und Gestaltungstherapeutinnen Annetta Neyenhuys und Renate Rahn (UPK Basel). Der Workshop bietet die persönliche Erfahrung, wie künstlerische Prozesse angeleitet werden können und was das freie Gestalten in uns bewirken kann. 30 CHF (inkl. Ausstellungseintritt). Anmeldung: info@openartmuseum.ch
  • Sonntag, 18. Januar 2026, 11 Uhr: Selbst Bild Gestaltung. Ein Ausstellungsrundgang im Dialog mit der Basler Künstlerin Ursula Bohren. Sie hat den Aufbau des Bilderlagers miterlebt und einige Patientinnen als Künstlerinnen kennengelernt. Sie gehörte der Kunstkommission der UPK Basel an. 9 CHF (inkl. Ausstellungseintritt)
  • Donnerstag, 22. Januar 2026, 18 Uhr: Museum auf Rezept – wie sinnliche Erlebnisse die Gesundheit fördern Stadträtin Julie Courcier Delafontaine und Marianne de Reynier Nevsky, Leiterin des Ateliers der Museen, haben in Neuchâtel das Projekt «Museum auf Rezept» initiiert. Sie diskutieren mit der St.Galler Stadträtin Sonja Lüthi über Erfahrungen und Chancen. 9 CHF (inkl. Ausstellungseintritt)
  • Sonntag, 15. Februar 2026, 10–12 Uhr: Starte achtsam in den Tag – Meditation im Museum. Meditations-Workshop mit Kristina Pranjic und anschliessender Führung 30 CHF (inkl. Ausstellungseintritt). Anmeldung: info@openartmuseum.ch
  • Sonntag, 22. Februar 2026, 11–14 Uhr: Essen für Körper & Seele. Die heilsame Wirkung von gutem Essen geniessen – mit Frühstückskreationen von Nicole Bernhardsgrütter von grün & fein 30 CHF (inkl. Ausstellungseintritt). Anmeldung: info@openartmuseum.ch
pd/tan
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