Mit dem kürzlich eröffneten Velotunnel verfügt die Stadt Zürich über ein Prestigeprojekt mit Vorbildcharakter. Trotz solcher Leuchttürme bleiben Velofahrer in der Schweiz im internationalen Vergleich noch vielerorts auf der Strecke.
Michael Liebi, Dozent für Stadt-, Verkehrs- und Raumplanung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie die Velowende hierzulande gelingen kann. Er ist Co-Kursleiter des neuen CAS «Best Practice Veloverkehr», in dessen Rahmen die Teilnehmer auch eine Exkursion in die Niederlande unternehmen und dort beispielhafte Velonetze befahren.
Im Interview spricht Liebi darüber, was es braucht, damit die Bevölkerung vermehrt aufs Velo «umsteigt» – und was die Schweiz diesbezüglich von anderen lernen kann.
Michael Liebi, welche Länder oder Städte sind Pioniere in Sachen Veloinfrastruktur?
Eine herausragende Rolle nehmen die Niederlande ein. Seit den 1970er-Jahren wird dort die Veloinfrastruktur konsequent ausgebaut. Vorausgegangen ist die gesellschaftliche und politische Einsicht, dass lebenswerte Städte und Gemeinden weniger Autoverkehr und mehr Mobilität im menschlichen Massstab benötigen – also nachhaltige, sichere und gesunde Fortbewegungsformen. Die Vorbildwirkung bezieht sich deshalb nicht nur auf die Velowege an sich, sondern auch auf den Prozess dahinter. Nebst den Niederlanden ist auch Dänemark mit der führenden Velostadt Kopenhagen als positives Beispiel zu erwähnen. Die dortige Rushhour der Velofahrer ist beeindruckend.
Haben die Menschen in den Niederlanden oder in Dänemark einen anderen Bezug zum Velo als wir?
Faszinierend ist, mit welcher Selbstverständlichkeit die Menschen dort das Velo in ihrem Alltag als Verkehrsmittel nutzen. Das muss auch bei uns das Ziel sein: Man sollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen müssen, welche Route die sicherste ist oder ob man den Kindern den Schulweg per Velo zumuten kann. In den Niederlanden und in Dänemark steigen alle Altersgruppen ganz natürlich aufs Velo. Das Velofahren ist dort auch nicht einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu zugeordnet, sondern quer durch alle Bevölkerungsschichten verbreitet.
Könnte das irgendwann auch in der Schweiz der Fall sein, wenn die Infrastruktur stimmt?
Davon sind viele Fachleute überzeugt. Die Studienlage ist klar: Wo gut gebaute Infrastrukturen vorhanden sind und diese – wo nötig – vom Autoverkehr getrennt werden, benutzen breite Bevölkerungskreise das Velo. Eine unsichere Veloführung, beispielsweise mit schmalen Radstreifen auf stark befahrenen Strassen, nutzen hingegen nur wenige, geübte Velofahrer.
Wo liegen die grössten Hürden für den Ausbau der Veloinfrastruktur in der Schweiz – politisch, gesellschaftlich oder auch technisch?
Eine Wende zu mehr Veloverkehr braucht es in allen drei Dimensionen. Im neuen CAS «Best Practice Veloverkehr» geht es deshalb nebst der Umsetzung der Infrastruktur und der Sensibilisierung der Nutzer auch um die Frage, wie wir uns organisieren müssen, damit die Veloförderung gelingt. Ein wichtiger Faktor ist der Einbezug der Bevölkerung. Wir müssen die Bedürfnisse der Menschen kennen und dann auch auf deren Alltagsexpertise aufbauen. Eine zentrale Rolle nehmen auch NGOs wie Pro Velo ein, die die Anliegen bündeln und vertreten können. Im Kurs behandeln wir den ganzen Prozess, den es für eine erfolgreiche Velowende braucht. Die grösste Hürde liegt also in der Bewusstseinsbildung. Auch hier zeigen uns die Niederlande, dass diese möglich ist.