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Stadt St.Gallen
21.04.2025
17.04.2025 15:17 Uhr

«Weg der Vielfalt»: Jakob Rudolf Forster, Homosexueller

Die damalige Männerbadeanstalt am Bürkliplatz in Zürich diente laut Jakob Rudolf Forster nicht nur dem Schwimmsport, sondern war auch Treffpunkt für Urninge, wie schwule Männer damals genannt wurden
Die damalige Männerbadeanstalt am Bürkliplatz in Zürich diente laut Jakob Rudolf Forster nicht nur dem Schwimmsport, sondern war auch Treffpunkt für Urninge, wie schwule Männer damals genannt wurden Bild: Baugeschichtliches Archiv
Die kulturhistorische Vielfalt von St.Gallen zeigt sich an zahlreichen Orten. Eine interaktive Karte lädt dazu ein, die Stadt und bisher eher unbekannte Erinnerungsorte sowie deren Geschichten zu entdecken. stgallen24 stellt in loser Folge einige besondere Orte vor. Heute: Jakob Rudolf Forster, der homosexuelle Vorkämpfer.

Im Oktober 1879 mietet Jakob Rudolf Forster das Zimmer neben der Wohnung der Uhrmacherfamilie Kauter im Haus zum Löwen, der Löwengasse 4 (damals noch Spitalgasse 22). Er wolle hier ein Advokatur- und Platzierungsbüro einrichten und zusammen mit seinem Schreiber Jakob Zehnder auch im Zimmer wohnen.

Sie würden einander gut kennen, ein Bett genüge, so Forster zur Vermieterin.

Auffallendes hätten Kauters nicht wahrgenommen, ausser dass die beiden Untermieter nachts im Bett immer so unruhig waren und dass es ein Geräusch verursachte, wie wenn Eheleute beieinander liegen. So hält es Polizist Jean Dickenmann in seinem Protokoll fest.

Die Polizei verhaftet Forster und Zehnder; damit beginnt die jahrelange Verfolgung von Jakob Rudolf Forster (1853–1926).

Die Stadt St.Gallen blickt auf eine über tausendjährige Vergangenheit zurück, wobei die erhaltene Bausubstanz – von wenigen Ausnahmen abgesehen – aus der Zeit nach dem letzten grossen Stadtbrand von 1418 stammt. Viele Bauwerke, die für das heutige Stadtbild wichtig sind und zum baukulturellen und kunstgeschichtlichen Erbe gehören, zeugen von den sozialen Machtverhältnissen und vom jeweils zeittypischen Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit dem ihr Fremden.

Es soll die Aufgabe des «Wegs der Vielfalt» sein, nicht nur aus heutiger Sicht problematische Darstellungen oder Orte mit einer belasteten Vergangenheit zu erkennen und den geschichtlichen Bezug herzustellen, sondern auch Geschichten von Widerstand, Solidarität und Gemeinsinn zu erzählen.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird mannmännlicher Sex geächtet und hart bestraft. Forster wird verfolgt, verhaftet, verurteilt, ausgewiesen, weggesperrt, denunziert und bedroht.

Doch gegen jeden Strafbefehl, gegen jede Ausweisung aus einem Dorf, wehrt er sich. Oft durch alle Instanzen bis zum Bundesrat, sodass ihn der Vorsteher des Eidgenössischen Justizdepartementes 1886 als «sehr anrüchiges, wenn nicht gänzlich irrsinniges Subjekt» tituliert und ausweisen will. 

Doch Forster lässt sich nicht nach Südamerika abschieben. Forster lebt vom Honighandel, war Heiratsvermittler, später Treuhänder. Er wird zum Kämpfer für die Rechte der Homosexuellen, nachdem er eine Broschüre des deutschen Juristen Karl Heinrich Ulrichs in die Hand bekommen hat.

Ulrichs publiziert in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Schriften gegen die Verfolgung der «Urninge», wie er Homosexuelle nannte. Forster kämpft mit den gleichen Argumenten, was ihm nur weiteren Ärger und neue Strafen einbringt.

Er muss auch ein Jahr in der berüchtigten Arbeitserziehungsanstalt Bitzi in Mosnang verbringen und wird zweimal in psychiatrische Kliniken eingewiesen. Nach zehn Jahren Ärger in der Ostschweiz zieht Forster 1889 nach Zürich. 

Weiterführende Quellen:

  • Forster, Jakob Rudolf: Justizmorde im 19. Jahrhundert. Wahrheitsgetreue Darstellung des fast unglaublich Verfolgten Schweizers J.R. Forster, Heiratsvermittler von Brunnadern (St. Gallen). Ein Notschrei an das Volk. Zürich 1898.
  • Hofstetter, Philipp; Hornung, René: Der Urning – selbstbewusst schwul vor 1900. Zürich 2024.
stgallen24/stz.
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