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12.11.2024
12.11.2024 15:29 Uhr

Erster Fussballtrainerkurs nur für Frauen war ein voller Erfolg

36 neue Trainerinnen auf einen Schlag – fünf Mal so viel wie sonst in einem ganzen Jahr
36 neue Trainerinnen auf einen Schlag – fünf Mal so viel wie sonst in einem ganzen Jahr Bild: OFV
In Wil fand ein sechstägiger Trainerkurs für Fussballcoaches statt – ausschliesslich für Frauen. Das neue Angebot in der Ostschweiz treibt den Frauenfussball voran und bereitet die Region auf die EM-Euphorie vom Sommer 2025 vor. Ein Erfahrungsbericht.

Ihre Freude war einfach ansteckend. Wenn Marisa Wunderlin enthusiastisch gestikulierend einen Coachingtipp zum Besten gab, hörten alle gebannt zu. Und die herbstliche Kälte geriet für die 36 Frauen auf dem Wiler Kunstrasen in Vergessenheit.

Aus Einer wurden Viele

Sechs Tage lang trafen sie sich im Sportpark Bergholz. Sie, das waren drei Dutzend Frauen im Alter von 17 bis 40 Jahren, die drei Instruktorinnen Marisa Wunderlin, Adrienne Krysl und Monika Burgmeier vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) sowie der Technische Leiter des Ostschweizer Fussballverbandes (OFV), Roman Wild. So sah der erste Trainerkurs für das Diplom «C Basic» aus, der ausschliesslich für Frauen konzipiert worden war.

Die AXA, Hauptsponsorin der höchsten Schweizer Frauenliga, übernahm sämtliche Teilnahmekosten. Es war eine Premiere für den OFV, an deren Initiierung Marisa Wunderlin massgeblich beteiligt war.

In der Region Bern-Jura hatte dieses neue Kursangebot zum schweizweit ersten Mal vor vier Monaten stattgefunden. In der Ostschweiz startete das Novum am Montag, 4. November im Konferenzraum des Sportparks Bergholz. Die Teilnehmerinnenzahl war ausgeschöpft, aus dem Rheintal, Thurgau und Bündnerland waren die Frauen angereist.

Monika Burgmeier lehrt, wie eine Übung zu coachen ist Bild: OFV

Noch bevor Wunderlin im vollbesetzten Raum das erste Mal das Wort ergriff, war spürbar, wie viel ihr das Projekt bedeutet. Dann sprach die Cheftrainerin des Frauenteams des FC St.Gallen 1879 in ihrem Einstiegsreferat von Vorfreude und Nervosität, die sie wohl mit all ihren Zuhörerenden teilte.

Vor allem aber hob sie das Wort «Empowerment», also Selbstermächtigung, hervor. Früher sei sie oftmals die einzige Frau im Kurs gewesen, erzählte Wunderlin. Sie hätte sich das Bild gewünscht, das sich ihr jetzt zeige.

Adaptierte Lerninhalte

In Theoriestunden und Praxislektionen lernten die Teilnehmerinnen – und ich mittendrin – dieselben Inhalte wie im «normalen», gemischten Trainerkurs auf derselben Stufe: Trainingsgestaltung, Übungen durchführen und adaptieren, Werte vermitteln, Freude am Fussball fördern.

Marisa Wunderlin erzählt neben Coachingtheorien auch aus dem eigenen Erfahrungsschatz Bild: OFV

Feine Unterschiede schlichen sich dennoch ein. Adrienne Krysl gab einen Einblick in die Thematik der Kreuzbandrisse. Das gefürchtete Schicksal tritt im Frauenfussball nämlich sechs bis acht Mal häufiger auf als bei den Männern. Offensichtlich war es also ein vertiefender Fixpunkt im Programm der Frauen – im Gegensatz zu den restlichen Einsteigerkursen.

Im Zürcher Fussballverband beispielsweise bestehen solche Inputs seit sechs Jahren und sind vereinzelt Bestandteil der Lerninhalte. Es ist ein Themenblock, in dem Krysl erzählt, wie der Frauenfussball erst vor 50 Jahren geboren wurde und mit dem sie für den rasant wachsenden Sport mit seinen Herausforderungen sensibilisiert. Dabei kratzt sie lediglich an der Oberfläche der Kreuzbandproblematik. Vielmehr soll die für Herren oftmals unbekannte Welt des Frauenfussballs zu den angehenden Trainern durchdringen und so ein Bewusstsein schaffen.

Den Frauen sind in den meisten Fällen beide Welten bekannt. Ein Grossteil der Teilnehmerinnen in Wil ist zwar bei den Juniorinnen engagiert, doch es sind auch Trainerinnen von Knaben dabei.

Ähnliche Voraussetzungen erleichtern es

Zwischen Taktik-, Technik- und Athletikdiagrammen legten die Teilnehmerinnen selbst Fuss an. Draussen auf dem Kunstrasen, umhüllt vom Wiler Nebel, schlüpften sie mal in die Rolle des Coachs, mal in die der Spielerin.

Vom «trockenen» Dialog … Bild: OFV

Anfangs zeigten die Profis, wie es geht. Dabei dribbelte ich an einem unschuldigen Montagvormittag mit einem Ball in einem quadratischen Feld um farbige Hütchen, während Marisa Wunderlin Anweisungen gab. Da war ich also, als Amateur-Zweitligistin im Training unter einer von bloss drei Schweizer Trainerinnen mit dem höchsten Trainerdiplom.

Doch die Nervosität blieb aus. Ganz gleich, ob Einheiten unter Krysl oder Burgmeier anstanden, das konstruktive und positive Ambiente gab Raum und Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen und Neues auszuprobieren. Beste Voraussetzungen für eine steile Lernkurve also.

Auch dass rundherum alles weibliche Personen standen, trug wesentlich dazu bei. Zwar ist in einem geschlechtergemischten Kurs genauso von einer guten Lernumgebung auszugehen. Das beweist bereits die Erfahrung aus dem vierstündigen Einsteigerkurs des OFV. Aber mein subjektives Empfinden als Teilnehmerin war, dass die Beziehung untereinander im rein weiblichen Umfeld stärker war.

Da trafen sich Ligagegnerinnen aus dem Breitenfussball genauso wie aktive Jugendtrainerinnen. Nach kurzer Zeit herrschte ein guter Zusammenhalt, die 36 Teilnehmerinnen tauschten sich lebhaft aus und konnten sich innerhalb der stets wachsenden Frauenfussballwelt vernetzen. Es war eine Art Networking in puncto Leidenschaft.

… zum Austausch auf dem Platz Bild: OFV

Zudem fielen die Stärkeunterschiede weg, die Frauen im Vergleich zum männlichen Geschlecht aus anatomischen Gründen von Natur aus haben. Immerhin waren die Praxiseinheiten voll von Übungen, in denen die Teilnehmerinnen gegeneinander antraten. Die ähnlichen physischen Voraussetzungen erleichterten die Trainings sowohl als «Spielerin» als auch in der Rolle als Trainerin.

Ein Kurs pusht den Sport

Laut Wunderlin, die bereits in der Challenge League bei einer Herrenmannschaft als Athletiktrainerin und im Frauenfussball als Coach auf diversen Stufen tätig gewesen ist, gibt es neben Unterschieden zwischen Trainerinnen und Trainern auch solche zwischen Spielerinnen und Spielern.

  • Oftmals haben Frauen ein tieferes Selbstbewusstsein als Männer.
  • Mädchen dribbeln erfahrungsgemäss weniger als Knaben, sie suchen eher das Zusammenspiel mit den Mitspielerinnen.
  • Spielerinnen stellen oft mehr Fragen und wollen den Sinn hinter Übungen detailliert verstehen. Tendenziell entsteht demnach die Gefahr, dass zu viele Informationen fliessen («Übercoaching»).

Der Frauenfussball profitiert davon, wenn die Instruktorinnen den Coaches von Frauenteams eigene Tipps auf den Weg geben können. Vor allem, wenn es um geschlechterspezifische Aspekte geht. Das ist ein grosser Pluspunkt der Frauenkurse. Gleichzeitig fördern gemischte Trainerkurse den Austausch zwischen allen Coaches, wobei Männer und Frauen voneinander profitieren können – unabhängig vom trainierten Geschlecht.

«Aus den Differenzen sollten wir Brücken bauen.»
Adrienne Krysl, SFV-Instruktorin

Das besondere Kursangebot in Wil war Teil des Bestrebens im OFV, mehr Frauen in den Fussball zu holen. Dank vieler Spielerinnen ist die Basis gross, es gibt aber noch Luft nach oben.

Denn es gibt nach wie vor eher wenig Trainerinnen und Funktionärinnen. Ein Zahlenbeispiel: Der Frauenanteil in den Trainerkursen liegt unter fünf Prozent. Nach diesem Kurs gibt es jetzt auf einen Schlag fünf Mal so viele ausgebildete Trainerinnen wie sonst in einem ganzen Jahr.

Auch Roman Wild, technischer Leiter des OFV, instruiert die Teilnehmerinnen Bild: OFV

Nächstes Jahr findet das ausschliesslich Frauen vorbehaltene C-Basic-Programm im August und November erneut statt. In den Wochen davor, im Juli 2025, beheimatet die Schweiz die Frauen-Europameisterschaft. Die Ostschweiz hofft auf eine nachhaltige Euphorie, insbesondere da die Stadt St.Gallen als Gastgeberin Schauplatz diverser Partien sein wird.

Das OFV-Kursangebot soll sich auszahlen und dessen zweite, dritte und vielleicht vierte Durchführung auch jedes Mal 36 von 36 möglichen neudiplomierten C-Basic-Trainerinnen hervorbringen.

Die Chancen dafür stehen äusserst gut: In der Kälte des Ostschweizer Herbsts sprangen der Funke, das Feuer und die Hingabe zum Fussball bereits am ersten Tag mit Leichtigkeit von Marisa Wunderlin auf die Teilnehmerinnen des ersten Trainerinnenkurses über. Die Zukunft sieht also vielversprechend aus.

Der fif-a.blog von stgallen24-Fussballexpertin Simea Rüegg beschäftigt sich mit Frauen iFussball. Die aktive Spielerin (FC Frauenfeld) schreibt über «Spannendes von gestern, Interessantes von heute und Entwicklungen von morgen».

Das «a» im Titel stehe für vieles, so Rüegg: unter anderem für «Allgemeines zum Thema», für «Abseits des Rampenlichts» – oder schlicht und einfach für die weibliche Seite des Fussballs.

Simea Rüegg, fif-a.blog
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