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29.01.2024

Die Geschichten in der «Cavalleria»-Geschichte

Die Cavalleria Rusticana.
Die Cavalleria Rusticana. Bild: zVg
Mit der «Cavalleria rusticana» ist Musiktheaterwil eine bemerkenswerte Produktion gelungen, die über die Grenzen der Region hinaus von sich reden macht. Regisseurin Regina Heer überlässt die Handlung nicht den Protagonisten allein.

Eine junge Frau wird von ihrem Liebhaber im Stich gelassen, weil dieser sich von der ehemaligen Verlobten umgarnen lässt, es endet in einem tödlichen Duell. Diese Melodramatik lässt sich wunderbar bequem aus dem Theatersessel heraus konsumieren, distanziert, gerne auch im Doppelpack mit einer zweiten Oper, wie es bei Einaktern üblich ist.

Blick hinter die Kirchentüren

Nicht so in Wil: Die Basler Regisseurin Regina Heer, die nach «La Traviata» und «Die Regimentstochter» mit der «Cavalleria» bereits die dritte Produktion für das MUSIKTHEATERWIL inszenierte, wollte von Anfang an einerseits eine abendfüllende Oper in die Tonhalle bringen. Andererseits wollte sie auch die menschlichen Emotionen und Beweggründe verstehbar und fühlbar machen. Ihr innovativer Ansatz, die Kurzoper mit einem Ausschnitt aus Puccinis «Messa di Gloria» zu ergänzen, verblüfft und begeistert: Das Gloria fügt sich nahtlos in die Handlung ein und nimmt das Publikum mit hinter die – in üblichen Inszenierungen sonst verschlossenen - Kirchentüren eines Ostersonntags.

Bild: zVg

Gesichter der Frömmigkeit

Und hier zeigt sich Heers meisterliche Hand im Umgang mit dem Chor: Er ist für sie keine statische Masse, dessen Aktionen choreographiert gehören. Sie gab den einzelnen Sängerinnen und Sängern die Eigenverantwortung an die Hand, sich als Teil der Dorfgemeinschaft und somit des Handlungsgewebes zu sehen und zu gestalten. Und so zeigt der der Chor während des Gottesdienstes die verschiedenen Gesichter traditioneller Frömmigkeit: Zwischen pfingstkirchlicher Verzückung, einem liebenswert-lausbübischen Messbuben, der das Gloria-Solo singt (Nicole Bosshard) und dem ganzen Kleinkram, der nun mal passiert: Ein Gesangbuch fällt herunter, eine Frau fällt ob dem Weihrauchgeruch in Ohnmacht. Und geflirtet wird zwischen dem Männer- und dem Frauenblock natürlich auch.

Wie ein Gemälde

Die Figuren kennt man bereits vom Beginn der Oper: Frauen strömen nach der Arbeit auf den Dorfplatz, die Männer kommen vom Feld zurück, es wird getrunken, gefeiert, gelacht. Man mag sich gar nicht satt sehen an den vielen kleinen Geschichten, die hier erzählt werden: Wie ein Gemälde führt die Szene das Auge von einem Sujet zum anderen. Da ist das junge Paar, das sich frisch verliebt begrüsst, über den Platz flaniert und vor den beiden Priestern augenrollend kehrt macht. Da ist die Traube von Frauen, in deren Mitte eine Klatschgeschichte ihren Anfang findet: «Habt ihr gehört...?» Oder die beiden Mafiosi. Alleine schon ihren Weg durch die Menschenmenge beim Eintreiben der Schutzgelder zu verfolgen ist faszinierend: Wie reagieren die Einzelnen? Und was passiert mit dem Geld? Ein Teil davon landet im Brevier des Priesters.

Wer das Glück hat, die Wiler «Cavalleria rusticana» zweimal zu besuchen, wird immer wieder Neues entdecken.

pd
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