Am 23. November 2021 sprach das Kreisgericht die beiden Polizisten der Stadtpolizei St.Gallen der versuchten Tötung und mehrfacher schweren Körperverletzung frei. Sie konnten glaubhaft darlegen, dass es in der Situation keine Alternativen zum Schusswaffeneinsatz gab, um Leo D.*, der wie im Wahn auf die verstorbene Teresa C.* mit einem Metalltopf einschlug, zu stoppen.
Trotzdem bleiben Fragen offen: Wie konnte es sein, dass Leo D. überhaupt in der Stadt St.Gallen herumspazieren konnte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt in der Psychiatrie Wil in Behandlung war? Weshalb wurde er aus der Klink am Morgen der Tat entlassen? Trifft die behandelnden Ärzte eine Schuld?
Fahrlässige Tötung und Aussetzung
Die Staatsanwaltschaft St.Gallen wurde durch die Anklagekammer ermächtigt, abzuklären, welche Personen der Psychiatrie St.Gallen Nord allenfalls eine strafrechtliche Verantwortung treffen könnte. Diese Ermittlungen sind mittlerweile abgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft hat der Anklagekammer die Akten zur Prüfung des Entscheids über die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen zwei Ärzte der Psychiatrie St.Gallen Nord überwiesen, wie Beatrice Giger, Medienbeauftrage der Staatsanwaltschaft St.Gallen, gegenüber stgellen24 bestätigt.
Bei den Delikten stehen fahrlässige Tötung und Aussetzung im Raum. Die Aussetzung ist der Straftatbestand, einen Menschen in eine hilflose Lage zu versetzen oder ihn pflichtwidrig in einer solchen im Stich zu lassen und ihn hierdurch in Lebens- oder schwere Gesundheitsschädigungsgefahr zu bringen.
Die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen die beiden Ärzte ist nur dann möglich, wenn die Anklagekammer ihre Ermächtigung dazu erteilt.
Ärzte sahen keine Selbst- oder Fremdgefährdung
Recherchen von stgallen24 zeigen, dass Leo D. am am Morgen der Tat die Klinik unter Protest und mit Druck verlassen wollte. Aus ärztlicher Sicht soll es keine Hinweise darauf gegeben haben, dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung vom 22-Jährigen ausging, weshalb ihm der Austritt gewährt wurde.
Nur wenige Stunden später tötete der St.Galler eine unschuldige Frau. Die forensisch toxikologischen Untersuchungen, die nach dem Tod von Leo D. veranlasst wurden, haben ergeben, dass er unter dem Einfluss mehrerer Substanzen war. Dazu gehört eine Hohe Dosierung an Kokoain und das Medikament Aripiprazol.
Das atypische Neuroleptikum gehört zu den wichtigsten Medikamenten bei Schizophrenie und Manie. Zu dessen unerwünschten Wirkungen gehört zwanghaftes Verhalten und Impulskontrollstörungen.
Klinik schweigt
Ein Insider sagte gegenüber stgallen24, dass es im Zusammenhang mit dem Fall von Leo D. ausserdem zu mehreren Kündigungen in der Psychiatrie St.Gallen im Standort Wil gekommen sei. Es soll schon davor hinter den Türen gebrodelt haben, der schreckliche Fall sei dann für mehrere Pflegepersonen der Anstoss gewesen, der Klinik den Rücken zu kehren.
Die Klinik selbst schweigt zu den Vorwürfen und wollte «aufgrund des Arztgeheimnisses» keine Stellung beziehen.
*Namen der Redaktion bekannt