Folge 2 von «Zwischenwelten. Unheil im Westen» der Trilogie. Hier geht's zu Folge 1.
Blut im Wasserturm
Blut im Wasserturm.
«Zum Wasserturm bei der Lokremise, los Chraie. Schnell! Eine Streife hat dort einen Toten gefunden. Mit rotem Hut, das kennen wir doch.» Im Polizeiauto herrschte trotz Heizung eine fröstelige und abweisende Stimmung, nicht eigentlich erstaunlich, angesichts der abrupten Zunahme von Todesfällen.
«Wenn das so weitergeht sollten wir zusätzliches Personal beantragen», bemerkte Kraienbühl in die Totenstille hinein. «Sonst wird uns das alles zu viel, gell. Sprich bitte mal mit EFD.»
Häfeli schwieg und verzichtete auf sein Lieblingswort. Chabis.
Vor dem alten Wasserturm aus Dampfloks Zeiten beim Hauptbahnhof stand ein Streifenfahrzeug, und vor der Eingangstüre ein Polizist, der den beiden prominenten Ankömmlingen diskret zuwinkte.
«Nur zu, kommen Sie her, hier hinein.» Polizeiwachtmeister Meinrad Manz zeigte auf die schmale Türe, ohne zu zögern. «Ganz oben liegt er. Unverändert. Soweit ich das gesehen habe. Erstochen, in seinem Blut und Erbrochenem. Das Messer ist verschwunden.»
«Du gell, das ist aber nun nicht dein Ernst», zwinkerte Häfeli seinem Assistenten zu und schaute die schmale Stiege empor. Da soll ich bitte hochklettern, dabei haben oben gar nicht alle Platz, Wellenberg, der Bestatter, kommt auch noch. Und die Spusi. Nein, so geht das nicht. Steige du mal selbst hoch, schau dir den Schadenplatz an, notiere, fotografiere, telefoniere, sprich mit dem Toten, rieche, fluche, träume. Denken ist ebenfalls erlaubt, gell. Aber ich bleibe hier unten; ich will da oben nicht noch die letzten Spuren verwischen. Also, auf was wartest du? Ich telefoniere unterdessen mit dem Bestatter und der Spusi. Die werden sich freuen, ein Stress ist das wieder heute Morgen. Und: Du brauchst mir von oben nicht zuzuwinken.»
Murrend und brummend machte sich Kraienbühl allein auf den Weg in den Turm.
Der Kommissar telefonierte mit Wellenberg und Wichtelmann. Erwartungsgemäss waren die beiden über den zusätzlichen Auftrag wenig erfreut. Und dann mit seinem Sekretariat. Dabei erfuhr er, dass eine anonyme Anruferin von seltsamen Vorkommnissen im Wasserturm am Hauptbahnhof berichtet und um Hilfe durch die Polizei gebeten habe. Nachher besichtigte er die Umgebung zwischen dem alten Badhaus an den Geleisen und der Lokremise.
Schliesslich setzte er sich fröstelnd ins Pikett-Fahrzeug, und heizte. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wartete. Und hörte SRF2. Classics. Ein Orgelkonzert von Bach. Häfeli versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Endlich erschien Kraienbühl an der Eingangstüre des Wasserturms und winkte aufgeregt. Häfeli winkte zurück. Der Assistent kam zum Auto und setzte sich auf den Fahrersitz: Das musst du selbst anschauen; den Toten mit den roten Accessoires haben wir schon einmal gesehen, er sieht dem Kerl im Alt Sankt Gallen verdammt ähnlich, ganz sicher bin ich allerdings nicht. Das Gesicht ist etwas entstellt, na ja. Und dort oben ist alles voller Blut und ... Riecht übel.»
«Wir warten, bis die Leiche unter der Türe erscheint, so viel Zeit muss sein. Keine falsche Hast jetzt».
Einige Minuten später traten Wellenberg und sein Gehülfe aus der Türe des Wasserturms und legten die Leiche auf die Bahre. Die beiden wirkten etwas erschöpft, wischten sich den Schweiss von der Stirn.
«Verdammt eng, diese Stiege, und ich habe wieder zwei Beulen mehr auf dem Kopf. Aber komm jetzt, schau dir das mal selbst an. Los jetzt!»
Häfeli fand den Anblick nicht so extrem speziell: eine recht schlanke Leiche halt, mit Hut, überall Blut an den Kleidern. Erbrochenes. Interessant waren allerdings die Ähnlichkeiten mit dem Würger vom Alt Sankt Gallen. Tatsächlich.
«Ab in die Rechtsmedizin. Dr. Fröhlich wird sich freuen. Komm wir fahren zurück ins Amtshaus.»
Kraienbühl versuchte den Motor zu starten, mehrmals. Vergeblich. «Hast du da herumgeorgelt, warst du das? Jetzt haben wir den Salat. Die Batterie ist im Eimer.»
«Essig, der kommt nicht mehr. Wir marschieren zurück! Das kommt davon. Heizen mit der halbleeren Batterie, unmöglich! Du solltest das wissen.» Häfeli schüttelte den Kopf.
«Wie bitte?» Kraienbühl wunderte sich. «Du hast doch die Heizung aufgedreht …»
«Also dann: Abschleppen die Karre, los. Oder Überbrücken!
Zur Lokremise und dem Wasserturm muss ich dir unbedingt noch kurz etwas erzählen. So viel Zeit haben wir gerade noch.» Häfeli wollte gerade beginnen ....
Über den Autor
Geschichtenerzähler. Original. Verwirrspieler. Philosoph. Historiker. Märchenfreund. Bücherwurm. Reisender. Lebenskünstler. Geniesser. Liebt Wortkreationen und Spiele. Üppig und opulent. Scharfzüngig. Mit Schalk.
Lic. phil. hist., Universität Bern. Bürger von Speicher AR. Geboren am 10. Mai 1956 in Sankt Gallen und dort aufgewachsen. Hier beschult, ohne echte Begeisterung. Aber sorgfältig und zuverlässig. Lebensschulen: zwei Berufslehren, Militär, Zweitwegmatura. Studierte in Bern und Sevilla Neuere Geschichte, Staatsrecht, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte/Politologie, und Soziologie und Sozialpsychologie.
Lehrbeauftragter Allgemeinbildende Fächer am GBS Sankt Gallen. Herzblut-Journalist beim St.Galler Tagblatt.
Meist linke Hand des Bauvorstands der Stadt Sankt Gallen (Bausekretär-Stellvertreter). Engagierter Hofnarr, auch dazu braucht’s Galgenhumor. Und nicht zu knapp. Mentor und Autor verschiedener Publikationen über seine Stadt. Heute im Unruhezustand. Aber weiterhin fröhlich. Und auf den Krimi gekommen.
Die Trilogie Mord in Sankt Gallen und andere Geschichten ist im Buchhandel oder direkt beim Autoren (theo.buff@bluewin.ch) erhältlich.. Mehr auch unter www.theobuff.ch