Es ist das Thema der Stunde: Verletzlichkeit, im Fachjargon Vulnerabilität genannt. Wie gehen wir mit ihr um? Kann Verletzlichkeit sogar Macht bedeuten und können Wunden ein verbindendes Element unserer Gesellschaft sein? – Diese Fragen beleuchtete Prof. Dr. Hildegund Keul in ihrem spannenden Impulsreferat im Pfalzkeller, das von der Christlichen Sozialbewegung KAB SG organisiert wurde.
Hildegund Keul ist eine renommierte Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg, Theologin, Religionswissenschaftlerin und Germanistin. Eine These der Wissenschaftlerin ist, dass das Wissen um die Verletzlichkeit des Gegenübers eine Machtdemonstration sein könne: «Wenn Sie als Kind wussten, wo die wunden Punkte Ihrer Geschwister sind, konnten Sie diese bestimmt in Sekundenschnelle gezielt auf die Palme treiben.»
Die Verletzlichkeit anderer bringe nicht nur Kontrolle, sondern könne genauso gut auch Ängste auslösen. Man denke dabei nur an das Thema Migration. «Nicht wenige fühlen sich von Bildern von verzweifelten Menschen, die auf der Flucht ihr Leben riskieren, in der eigenen Verletzlichkeit angegriffen. Die Reaktion darauf ist oftmals Abschottung. Dieses Mauern isolieren und mache das Leben nicht unbedingt schöner.»
Feuerwehrmänner und Flutopfer
Keul brach in ihrem Referat eine Lanze für das selbstlose Handeln, das die Mehrheit der Menschheit immer wieder an den Tag lege. Als Beispiel dafür nannte sie das Ahrtal in Rheinland-Pfalz, das diesen Juli überflutet wurde. «Feuerwehrmänner haben ihr Leben riskiert. Unzählige Freiwillige boten spontan Hilfe an und stärkten damit die gebeutelten Flutopfer im Wissen darum, dass sie in der Katastrophe nicht allein sind.»
Die persönliche Verwundbarkeit für andere zu erhöhen, könne die eigene und die Widerstandskraft anderer wachsen lassen. «Wunden sind nicht selten verbindend», resümierte Keul.