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12.05.2021
12.05.2021 17:20 Uhr

Wegen 100 Franken: «Die Polizei hat mich wie einen Schwerverbrecher behandelt»

«Der Polizist hat mich so fest angepackt, dass dabei meine Kette kaputt gegangen ist.»
«Der Polizist hat mich so fest angepackt, dass dabei meine Kette kaputt gegangen ist.» Bild: zVg
Ein St.Galler wurde in Herisau von einer Polizeistreife angehalten, weil er während der Fahrt telefoniert haben soll. Als der Autofahrer dies verneinte und sein Handy nicht rausrücken wollte, eskaliert die Situation.

S.B.* aus St.Gallen war auf dem Weg zur Arbeit, als er am Dienstagmorgen, 11. Mai, bei der Agrola-Tankstelle in Herisau von Polizisten der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden angehalten wurde. «Ein Polizist fragte, ob ich wisse, warum ich angehalten wurde. Daraufhin sagte ich, dass es sich wohl um eine allgemeine Verkehrskontrolle handle. Schliesslich war ich weder zu schnell noch zu langsam unterwegs», sagt der 37-jährige Porsche-Fahrer zu stgallen24.

«Es war ein Machtspielchen»

«Aber der Polizist verneinte: Man habe mich angehalten, weil ich telefoniert hätte. Das hat mich überrascht, denn ich habe nicht telefoniert. Mein Handy war in meiner Hand, ja. Aber ich habe es nicht benutzt, sondern einfach kurz gehalten. Mein Blick war stets auf die Strasse gerichtet; Steuerung und Sicht waren in keiner Sekunde eingeschränkt. Der Polizist sagte, dass es fürs Telefonieren eine Busse von 100 Franken gebe. Entweder ich zahle – oder sie würden mein Handy beschlagnahmen. Weil ich für nichts zahle, was ich nicht getan habe, lehnte ich ab. Mein Handy gab ich nicht ab. Ich wollte bei den Machtspielchen der Beamten nicht mitmachen.» 

Polizei schaltet Staatsanwaltschaft ein

Nach einer Diskussion telefonierte einer der Polizisten mit der Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden, um die Aushändigung des Handys zu verfügen. «Nach dem Telefonat hat man meine Autotür aufgerissen und versucht, mich aus dem Auto zu zerren. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher – und das wegen 100 Stutz. Natürlich wurde ich lauter und liess dies nicht einfach so mit mir machen. Aber handgreiflich wurde ich nicht! Im Gegensatz zu den Polizisten, die mich am Arm verletzt haben und dabei meine Kette, die mir mein Sohn gebastelt hat, zerrissen. Dann zückte der eine Polizist sogar den Taser... Weil ich keinen Stromschlag abbekommen wollte, lenkte ich ein und bezahlte die 100 Franken. Das hätte ich nicht machen sollen, denn wie gesagt: Ich habe nicht telefoniert.»

«Sie wollten Cash oder Handy»

Obwohl die Busse bezahlt und die Sache damit eigentlich erledigt ist, lässt sie dem S.B. keine Ruhe. «Ich verstehe nicht, warum man bei einer Übertretung, die mit einer Busse geahndet wird, die Staatsanwaltschaft einschaltet und sogar Gewalt einsetzt. Das ist doch nicht verhältnismässig.»

Er kritisiert das Verhalten der Polizei und der Staatsanwaltschaft. «Der Ton war von Anfang an sehr unhöflich, der Umgang schroff. Ich bin mir nicht sicher, ob man mit mir gleich umgegangen wäre, wenn ich keinen Porsche gefahren und keinen dunklen Teint gehabt hätte», so der Schweizer mit südländischen Wurzeln.

Ausserdem hätten ihm die Polizisten nicht seine rechtlichen Möglichkeiten aufgezeigt: «Wenn man eine Busse nicht anerkennt, dann hat man doch die Möglichkeit, Einsprache einzulegen, und es wird ein ordentliches Verfahren eingeleitet. Ich hab aber nicht einmal einen Einzahlungsschein bekommen. Man wollte Cash oder Handy. Ich finde das total daneben.»

«Es hängt vom Verhalten ab»

Konkret zum Fall wollte sich die Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden «aus Datenschutzgründen» nicht äussern. «Lehnt eine Person eine Busse ab, so kann sie auf ein ordentliches Verfahren bestehen und erhält einen Einzahlungsschein. Wenn es die Situation aber verlangt, dass andere Massnahmen eingeleitet werden müssen, so kann es auch zu Abweichungen kommen. Das Verhalten der kontrollierten Person spielt dabei eine zentrale Rolle. Was wir ganz klar sagen können, ist, dass wir niemanden kriminalisieren möchten», so Mediensprecher Hanspeter Saxer.

Für den St.Galler S.B. ist klar, dass die Handhabung alles andere als normal war, denn von einem Einzahlungsschein sei nie die Rede gewesen. Stattdessen habe man auf das Handy bestanden. Er hat nun einen Anwalt eingeschaltet und möchte Beschwerde gegen die Polizisten einreichen. 

*Name der Redaktion bekannt

Handy am Steuer – Rechtliche Folgen

Es ist im Strassenverkehrsgesetz nicht alles bis ins letzte Detail geregelt und einiges ist eine Frage der Interpretation. Ein Grundsatz steht hingegen über allem: Der Fahrzeuglenker muss sein Auto jederzeit uneingeschränkt beherrschen (Art. 31 Abs. 1 SVG). Alles, was davon ablenkt, ist verboten (Art. 3 Abs. 1 VRV). 

Wer während der Fahrt ohne Freisprecheinrichtung telefoniert, wird mit einer Busse von 100 Franken gebüsst.

Je nach Fall kann es aber auch zu einem Entzug des Führerausweises, hohen Bussen oder zu einer Freiheitsstrafe führen. Bei Unfällen gab es auch schon Leistungskürzungen der Unfallversicherung wegen Grobfahrlässigkeit.

Das Halten eines Handy während 15 Sekunden während der Fahrt – ohne zu telefonieren, ohne andere Manipulation und angesichts der konkreten Umstände – erschwert laut Bundesgericht in keiner Weise die Verfügbarkeit der sich allenfalls nicht am Lenkrad befindlichen Hand. Es handelt sich nicht um eine lange Dauer im Sinne der Rechtsprechung. Der Lenker hatte seinen Blick stets auf die Strasse gerichtet. Er hätte jederzeit auf die Verkehrsgeschehnisse reagieren können (Quelle: bfu.ch)

Das Schreiben eines SMS am Steuer wurde durch das Bundesgericht im Jahr 2009 als grobe Verkehrsregelverletzung eingestuft, welche gemäss Art. 90 Ziffer 2 Strassenverkehrsgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden kann (Quelle: Urteil 6B-666/2009)

 

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