Bettina Zimmermann, wie haben sich die Ostschweizer Unternehmen auf Corona vorbereitet?
Als im Januar die ersten Meldungen über ein neuartiges Virus in den Medien kamen, haben wir mit einem regelmässigen Monitoring angefangen. Anfang Februar haben wir dann unsere Kunden darauf hingewiesen, ihre Pandemiepläne zu überprüfen – und wer keine hatte, umgehend Pandemiepläne zu erstellen. Uns war klar, dass da etwas auf uns zukommt, das wir noch nicht einzuschätzen konnten. Es gab Firmen, die fanden das übertrieben, andere nahmen es frühzeitig ernst, haben hingeschaut und Vorbereitungen getroffen. Das heisst, sie haben im Unternehmen u. a. Verzichtsplanungen durchgeführt, den Minimalbetrieb definiert, Teams gesplittet oder ins Homeoffice geschickt, der internen Kommunikation das nötige Gewicht verliehen, Schutzkonzepte angepasst oder Produktionsabläufe umgestellt. Als der Bundesrat am 13. März dann den Lockdown verkündete, hat das natürlich Unsicherheiten ausgelöst. Es hatte ja kaum jemand Erfahrung mit Schutzkonzepten.
Sie haben schon über hundert Firmen in Krisensituationen begleitet. Was war an Corona so besonders?
Es ist eine Krise, die uns alle und in allen Bereichen trifft: jung, alt, angestellt und selbstständig, beruflich und privat. Und Corona funktioniert wie eine Lupe: Alles, was bis anhin in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten gut lief, läuft jetzt noch besser. Alles, was bis jetzt schlecht lief – unliebsame Themen, die man nicht angehen wollte, Konflikte und Grabenkämpfe oder ungeklärte Zuständigkeiten und Kompetenzgerangel –, das kam nun gnadenlos an die Oberfläche. Die Corona-Krise bringt Führungsdefizite genauso ans Licht wie Management-Glanzleistungen. Leuchttürme und Nieten kristallisieren sich ziemlich rasch heraus. An und für sich ist das in Krisen nichts Neues. Dieses Phänomen begegnet mir als Krisenmanagerin immer wieder, aber so schonungslos wie jetzt habe ich das noch nicht erlebt.
Haben die Unternehmen eigentlich aus der «ersten Welle» im Frühjahr gelernt?
Viele haben unterdessen ihre Hausaufgaben gemacht. Das heisst, sie haben sich mit den Erkenntnissen auseinandergesetzt und ihre firmeninternen Abläufe entsprechen angepasst und optimiert. Eine der grossen Gefahren für die zweite Welle besteht aus einem «Massenausfall» von Mitarbeitern, weil alle in Quarantäne müssen. So kann es zu kritischen Betriebsunterbrüchen kommen.
Was bedeutet das für mich als CEO, was sollte ich unternehmen, damit es meiner Firma nicht so geht?
Hinschauen, entscheiden und führen. Die Pandemie hat vielen Betrieben in aller Deutlichkeit aufgezeigt, wo sie verletzlich sind. Gerade auch deshalb sollte man sich mit den Firmenrisiken auseinandersetzen und sich entsprechend auf Krisen vorbereiten. Diejenigen, die das getan haben, waren eindeutig besser dran. Und zu einem umsichtigen Krisenmanagement gehört auch, dass man sich mit dem Worst Case auseinandersetzt. Denn was uns in nächster Zeit erwartet, ist eine «Stop & Go»-Zeit: Je nach Verlauf der Covid-Neuansteckungen werden die Massnahmen verschärft oder gelockert. Das hat Auswirkungen auf die Unternehmensführung. Sich mit dem schlimmstmöglichen Ereignis auseinanderzusetzen, macht Sie bereit für jede Situation. Sie sind dann wirklich vorbereitet, haben Optionen durchdacht und die richtigen Vorarbeiten getroffen.
Und was erwarten Sie von einem Verwaltungsrat?
Es braucht vielerorts ein neues, erweitertes Bewusstsein in Verwaltungsräten. Betriebswirtschaftliches und rechtliches Wissen allein wird nicht mehr reichen. Die Welt und alles, was sich darin bewegt, wird komplexer – in sachlicher und emotionaler Hinsicht. Es braucht Verwaltungsräte mit einer ernsthaften Affinität zu Risiken, einem ausgeprägten Krisensensorium, der Fähigkeit, sich mit möglichen Szenarien und den dazugehörigen Eventualplanungen auseinanderzusetzen und anspruchsvolle Themen kommunikativ adäquat umzusetzen. Es braucht Verwaltungsräte, die in der Lage sind, Ratio und Emotion zu verbinden. Nötig ist eine neue Diversität in Verwaltungsräten. Es braucht definitiv keine Mandatesammler und -jäger mehr, die sich in Krisen nicht voll und ganz für das Unternehmen einsetzen.
Was empfehlen Sie den Unternehmen bezüglich Krisenmanagement?
Der erste Schritt ist die Auseinandersetzung mit möglichen Risiken und Szenarien, die auf das Unternehmen zukommen könnten. Hinschauen, nicht wegschauen, lautet die Devise. Die Kunst in Krisen ist, mögliche Probleme zu erkennen, richtig zu bewerten, Prioritäten zu setzen und nicht zuletzt den Mut aufzubringen, diese zu benennen und Entscheidungen zu treffen. Eine Krise muss stets aus verschiedenen Blickwinkeln und ganzheitlich betrachtet werden. Zu einem wirksamen Krisenmanagement gehören drei Hauptkomponenten: Organisation (Krisenstab), Infrastruktur (Führungsraum) und Kenntnisse der Führungsprozesse. Und es braucht eine interne und externe Krisenkommunikation, die auf das Krisenmanagement abgestützt ist. Mit dieser Vorbereitung ist man im Krisenfall kein Spielball der Ereignisse, sondern behält das Zepter in der Hand.
Wann lohnt sich der Beizug eines externen Spezialisten?
Wenn das Unternehmen vor einem Reputationsverlust steht oder einen finanziellen Schaden erleiden könnte, dann lohnt sich der Beizug eines einsatzerfahrenen Krisenmanagers. Dieser Profi weiss, wie vorgegangen werden muss, damit die Firma möglichst keine Einbusse erleidet. Der Profi ist auch in der Lage, die Krisenkommunikation auf das Krisenmanagement abzustimmen – und ein erfahrener Krisenmanager weiss auch, dass eine Krise nicht mit Kommunikation alleine zu bewältigen ist.
Und wie können wir ein «persönliches» Krisenmanagement durchführen, sprich uns selbst gegen psychische Folgen von Corona wappnen?
Den Blick für all das Gute, das wir immer noch haben, nicht verlieren! Sich auch an kleinen Dingen freuen und für Menschen da sein, die es jetzt besonders nötig haben.