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Wirtschaft
27.12.2020
27.12.2020 15:56 Uhr

Mandatesammler oder Mehrwertstifter?

Bild: 123rf.com
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Viele Verwaltungsräte vereinen Dutzende Mandate auf sich. Ist das Ämtlischacherei oder profitieren Unternehmen von Multi-Verwaltungsräten? Ex-«Tagblatt»-Chefredaktor Philipp Landmark analysiert die Situation in der Ostschweiz.

Vor wenigen Jahrzehnten noch waren die Verwaltungsräte kleiner und mittlerer Unternehmen ein Eldorado für Herren aus der besseren Gesellschaft: Man kannte sich, und damit waren die Voraussetzungen für ein solches Mandat auch schon weitgehend erfüllt. Das ist heute in einer entscheidenden Dimension definitiv anders.

Altbekannte Namen allenthalben

Verwaltungsräte werden nach unterschiedlichen Kompetenzen zusammengestellt, auch kommt heute kaum noch ein Gremium ohne Frauen aus. Doch etwas scheint gleich geblieben zu sein: Man kennt sich. Tatsächlich trifft man auch im Jahre 2020 auf einem Streifzug durch die obersten Organe von Ostschweizer Unternehmen immer wieder auf altbekannte Namen. Nur der Grund ist ein anderer.

Waren früher Kameradschaften von der Pfadi über die Hochschule bis zum Militärdienst die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auch im Beruf, so sind es heute die gestiegenen Anforderungen an die Aufsichtsgremien, die eine neue Spezies hervorgebracht haben: Den Profi-Verwaltungsrat. Eine Auswertung, die Moneyhouse Ende Oktober für den LEADER gemacht hat, zeigt, dass eine ganze Reihe von Männer und einige wenige Frauen in der Ostschweiz jeweils mehrere Dutzend Verwaltungsratsmandate auf sich vereinen. Für die meisten ist das längst nicht mehr ein Nebenprodukt ihrer Arbeit, sondern der zentrale Inhalt.

Serielle Aktiengesellschaften

Rasch wird allerdings auch klar, dass die schiere Zahl der Mandate wenig über den wirtschaftlichen Einfluss des jeweiligen Verwaltungsrats aussagt. Gerade im Baubereich können solche Mandate schon fast inflationär anfallen: Es kommt nicht selten vor, dass sich eine Firma technisch in 20 oder mehr Gesellschaften gliedert, um Abläufe besser organisieren oder Risiken ausgliedern zu können.

Auf diese Art kann zum Beispiel der Geschäftsführer jeder Divison direkt mit Aktien am Erfolg «seines» Unternehmensteils beteiligt werden. Manchmal werden auch fertige Überbauungen als eigenständige Aktiengesellschaften geführt.

Das ist offensichtlich im Portefeuille von Oliver Müller aus Rapperswil-Jona der Fall. Müller kommt gemäss der Auswertung von Moneyhouse auf stolze 199 Verwaltungsratsmandate, niemand anderes in der Ostschweiz kommt nur in die Nähe einer dreistelligen Zahl. Im Kanton St.Gallen liegt Lukas Frank mit 65 VR-Mandaten auf dem zweiten Platz, die Spitze im Thurgau hält Wolfgang Maute mit 52 Einträgen, in Appenzell Ausserrhoden liegt Clemens Ruckstuhl mit 42 Mandaten an der Spitze, in Appenzell Innerrhoden ist es Benno Mock- Manser mit 30 Mandaten.

Die Liste der Firmen bei Rekordhalter Oliver Müller liest sich beispielsweise so: Société Immobilière Morillon 1 SA, Société Immobilière Morillon 5 SA, Société Immobilière Morillon 11 SA, Société Immobilière Morillon 17 SA, Société Immobilière Morillon 19 SA … usw. Die auf den ersten Blick eindrückliche Zahl verliert so rasch von ihrem Zauber.

Wenige gewichtige Mandate

Ein weiteres Indiz, das die reine Anzahl der Mandate eine trügerische Grösse sein kann und zumindest nicht direkt die wirtschaftliche Bedeutung einer Person spiegelt: Kaum eine Verwaltungsrätin, kaum ein Verwaltungsrat mit vergleichsweise vielen Mandaten ist gleichzeitig auch auf der Liste des grössten repräsentierten Aktienkapitals vertreten.

Im Kanton St.Gallen führt Thomas Fürer aus Rapperswil-Jona dieses Ranking an, mit gerade einmal drei Mandaten kommt er auf ein kumuliertes Aktienkapital von 2'771'705'000 Franken. Der Thurgauer Heinz Huber aus Münsterlingen kommt mit einem einzigen Mandat auf 900'000'000 Franken Aktienkapital, auch beim Innerrhödler Ueli Manser aus Schwende ist für ein Aktienkapital von 1'625'000'000 Franken nur ein Mandat registriert. Stefan Loacker aus Speicher führt mit seinen vier Mandaten mit 964'557'491 Franken die Liste in Ausserrhoden an.

Firmen im Ausland nicht erfasst

Einige der einflussreichsten Ostschweizer Wirtschaftslenker werden von den Schweizer Registern allerdings gar nicht erfasst, weil dort Mandate in ausländischen Unternehmen nicht aufgeführt werden. Hinweise auf solche Mandate lassen sich dann finden, wenn diese Verwaltungsrätin oder dieser Verwaltungsrat auch in einer börsenkotierten Firma eine Organfunktion hat. Dann nämlich müssen weitere Interessenbindungen im Geschäftsbericht aufgeführt werden. Sonst gehört eher nobles Schweigen zu den Gepflogenheiten, einige angefragte Verwaltungsräte mit vielen Mandaten verspürten wenig Lust, namentlich Auskunft über ihre Tätigkeit zu geben. Allerdings: Off record sind manche Top-Verwaltungsräte durchaus gesprächig.

Was dann unisono zu hören ist: Die Arbeit in den Verwaltungsräten ist anspruchsvoller und seriöser geworden, darum ist auch eine gewisse Professionalisierung zu beobachten. Die Geschichten von Verwaltungsräten, die zu Sitzungsbeginn das Couvert mit den Tagungsunterlagen aufreissen und sich dabei beim Vorsitzenden nach dem anschliessenden Menu erkundigen werden noch erzählt, doch es sind Stories «von früher». Wie auch diese: Ein routinierter Verwaltungsrat, der vorbereitet wirken wollte, wies immerhin seine Sekretärin an, das Couvert vorgängig zu öffnen und mit auf allen Seiten mit einem Leuchtstift ein paar Punkte zu markieren.

Gute Leute sind gefragt

Tempi passati, wie alle Gesprächspartner beteuern. Die Anforderungen an Verwaltungsräte verunmöglichen heute eine solch gemütliche Berufsauffassung. Dafür sind die guten Leute umso mehr gefragt. Wer heute in einem Verwaltungsrat sitzt und einen guten Job macht, habe gute Chancen, bald in einem zweiten und dritten Gremium tätig zu sein, wird kolportiert. Insbesondere gute Frauen blieben nicht lange unentdeckt. «Wenn man mal im Fokus ist, kommen die Anfragen regelmässig », sagt ein erfahrener, langjähriger Verwaltungsrat. Allerdings reicht es nicht, geeignete Verwaltungsräte zu identifizieren, man muss sie auch noch für sich gewinnen können. «Es ist gar nicht so einfach, die jeweiligen Wunschkandidaten zu bekommen», beklagt sich ein Wirtschaftsmann, der gerade einen Verwaltungsrat ergänzen muss, «oft scheitert ein Engagement an der zeitlichen Verfügbarkeit der Kandidatin oder des Kandidaten.»

Im Gespräch werden die heute gängigen Lehrbuch-Anforderungen an die Zusammensetzung eines Verwaltungsrat bestätigt: Das Gremium soll möglichst divers sein und verschiedene Kompetenzen auf sich vereinigen. Die gelebte Erfahrung spielt dann bei der konkreten Auswahl oft eine entscheidende Rolle. Es brauche Leute, die «Leben in die Bude bringen» oder einmal «einen Stein ins Wasser werfen», es nütze nichts, wenn alle im Gremium die gleiche Meinung verträten. Dennoch dürfe man nicht «Querdenker mit Querschläger verwechseln». Auch nütze es nichts, wenn ein Verwaltungsrat nominell grosse Kompetenzen bündle, aber diese nicht zum Tragen kommen. «Wenn das einzige Alphatierli in der Runde der CEO ist, dann erfüllt der Verwaltungsrat seine Aufgabe nicht.»

Sich trauen, etwas zu sagen

Eine wesentliche Eigenschaft für einen fruchtbaren Wettstreit der Ideen im Verwaltungsrat: «Es braucht Leute, die sich auch trauen, etwas zu sagen», betont ein Vielfach- Verwaltungsrat. Dafür sei die Unabhängigkeit der jeweiligen Person wichtig – «und die ist dann gegeben, wenn die Gesprächspartner genau wissen, dass dies nicht dein einziges Mandat ist.» Gerade in Familien-AG werde die klare, unabhängige Meinung von externen Verwaltungsräten ausdrücklich eingefordert, ein Verwaltungsrat kann auch ein Vertrauter sein, der dem Inhaber nötigenfalls mal ins Gewissen redet. Und dafür eine Honorarnote schickt, getreu der Erkenntnis «schlechter Rat ist teuer, guter Rat ist kostbar.»

Wenn die Mitglieder eines Verwaltungsrates jeweils auch in anderen Gremien sitzen, hätte dies weitere Vorteile, halten mehrere Multi-Verwaltungsräte fest: Man könne ähnliche Fragestellungen vergleichen. «Ein Problem im Zusammenhang mit Corona haben wir in Firma A so gelöst, diese Idee könnte auch für B eine Option sein», wird als Beispiel angeführt. «Fürs Homeoffice galten diese Vorgaben, wir haben eine Hotline für Mitarbeiter eingerichtet, was sich als sehr wertvoll herausstellte, für die verbleibenden Funktionen vor Ort bleiben haben wir die Belegschaft in zwei redundante Equipen geteilt, die sich nie begegnen; das würde sich in diesem Fall auch anbieten … »

Die Liste der Headhunter

Während Funktionen in Geschäftsleitungen sehr oft ausgeschrieben werden, sind Stellenausschreibungen für Verwaltungsräte die absolute Seltenheit. Meistens setzen Unternehmen bei der Suche nach neuen Verwaltungsräten auf die Unerstützung von Headhuntern. Wer also je an die Spitze eines Unternehmens kommen möchte, muss vor allem einmal auf die Liste der Headhunter gelangen Die Dienste dieser Top-Personal-Vermittler werden in der Regel geschätzt. Während ein Verwaltungsrat zwar meint, die Listen der einschlägigen Häuser kenne man mit der Zeit, sagt ein anderer, er werde von den Vorschlägen oft angenehm überrascht. Die Professionalisierung in den KMU-Verwaltungsräten dient nicht zuletzt dem Schutz der Verwaltungsräte selbst. Immerhin werden in der Schweiz jährlich etwa 1500 Verantwortlichkeitsklagen gegen einen Verwaltungsrat angestrengt. Unter gewissen Voraussetzungen ist ein Verwaltungsrat persönlich haftbar, dann etwa, wenn er seinen Pflichten im Gremium nicht nachkommt und das Unternehmen oder die Aktionäre schädigt.

Deshalb sind heutige Verwaltungsratssitzungen während der offiziellen Traktanden um einiges formalistischer geworden, wie ein alter Hase mit etwas Wehmut feststellt, und auch das gesellige Debriefing nach der VR-Sitzung laufe durchwegs «im gesitteten Rahmen» ab. Manche VR-Sitzungen sind inzwischen annähernd Fliessbandprodukte. Bei Schwestergesellschaften, etwa in einem Immobilien-Portefeuille eines Bauunternehmens, werden eine ganze Reihe von Aktiengesellschaften vom gleichen oder zumindest fast identischen Verwaltungsrat in kurzer Kadenz unter die Lupe genommen. «Da erübrigt es sich ja, jedes Mal von neuem über die Strategie zu diskutieren», sagt ein Verwaltungsrat, der solche Mandate hat. Wenn unterschiedliche Geschäftsleitungen involviert sind, müsse eine solche Sitzungs-Kaskade eben gut geplant werden.

Dieser Text ist aus der LEADER Ausgabe Nov/Dez 2020. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.

 

Philipp Landmark
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