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Wirtschaft
23.11.2020

«Kurzfristig emotional, langfristig rational»

Anleger würden ihre Entscheidungen über Kauf oder Verkauf getrieben durch Ängste und Hoffnungen treffen, findet Dr. Thomas Stucki. Er ist CIO der St.Galler Kantonalbank.

Ein Kommentar von Thomas Stucki in der aktuellen SGKB Investment Views:

Der Anlegerinnen und Anleger sind seltsame Geschöpfe. Getrieben durch Ängste und Hoffnungen treffen sie ihre Entscheidungen über Kauf oder Ver-kauf. Begründet werden diese Entscheidungen aber mit fundamentalen Analysen und Prognosen über den Lauf der Wirtschaft und der Unternehmen, die oft durch neue Informationen über den Haufen geworfen werden. Ihnen ein unvernünftiges Handeln zu unterstellen, wäre aber zu einfach.Kurzfristig werden die Börsen durch Emotionen getrieben, langfristig sindsie aber ein gutes Abbild der wirtschaftlichen Zyklen. Dies konnte in den letzten Wochen und Monaten ausgeprägt beobachtet werden.

Ein gutes Beispiel für die kurzfristige Emotionalität im Handeln der Investoren wardie Börsenreaktion auf die Meldung von Pfizer und BioNTech überdie hohe Wirk-samkeit ihres Corona-Impfstoffs. Die Kurse an der Börse sind indie Höhe ge-schnellt, als sei die Corona-Pandemie vorbei. Dabei muss der Impfstoff zuerstzugelassen, produziert und dieImpfung organisiert werden; undder Impfstoffmuss seine Wirksamkeit in der Breite erst noch beweisen. Bis genügend Leutegeimpft sind, um zur Normalität zurückzukehren, wird es mindestens wieder Sommer.

Ausschläge bei einzelnen Aktien

Besonders gesucht waren Aktien ausder Reisebranche wie der Online-Anbieter Expedia, der 24% zulegte. Dabei wird es noch lange dauern, bis Reisetätigkeit wieder das Niveau von vor der Corona-Krise erreichen wird. Verkauft wurden dagegen die Aktien von Zoom, die 17% verloren.Dabei werden die Leute morgen noch nicht physisch an Sitzungen und Veranstaltungen teilnehmen.

Umgekehrt war es Ende Oktober, als viele europäische Länder als Reaktion auf die zweite Corona-Welle neue Lockdowns anordneten. Die Angst vor einem erneuten wirtschaftlichen Einbruch wie im April und Mai liess die Aktienkurse in den Keller purzeln. Besonders unter die Räder gerieten die Aktien der deutschen Automobilhersteller. Die Aktie von Volkswagen verlor in dieser Woche 10%, die Aktie von BMW 8%. Dabei hängt das Gedeihen der Autofirmen nicht von den Verkäufen eines Monats ab. Zudem beschränken sich die aktuellen Lockdowns vor allem auf Europa. In Nordamerika und in Asien gibt es nur lokale Einschränkungen und in dem für die hochpreisigen Autos wichtigen Markt in China nimmt die Konsumneigung wieder spürbar zu.

Der Trend ist dein Freund

Die kurzfristigen Marktbewegungen überlagern den mittel- und langfristigen Trendrantie und das Aa1-Rating von Moody's.an den Börsen. Dass die Börsenindizes trotz wirtschaftlichem Corona-Einbruch wieder auf den Niveaus von Anfang Jahr sind, macht Sinn. Die Weltwirtschaft wird sich in den nächsten Jahren erholen, unterstützt von einer über Jahre anhaltenden expansiven Geldpolitik der Zentralbanken und einem lockeren Ausgabeverhalten der staatlichen Organe. Davon werden nicht alle Firmen und Sektoren gleich profitieren. Die Wirtschaft als Ganzes wird aber solide wachsen. Die Gewinne der Unternehmen und damit auch die Dividenden werden wieder sprudeln.

Wie sollen sich die Anlegerinnen und Anleger angesichts dieser Spannung zwischen Emotionalität und Rationalität verhalten? Man darf das erste nicht ignorieren, muss sich aber am zweiten orientieren. Das bedeutet, dass der gutdiversifizierte Kern eines Aktienportfolios möglichst unangetastet bleibt und über die Höhen und Tiefen der Kursschwankungen gehalten werden soll. Kurzfristige emotionale Ausbrüche kann man dazu nutzen, mit einem Teil des Portfolios opportunistisch zu reagieren. Starke Kurseinbrüche können zu Zukäufen genutzt werden. Bei ausserordentlichen Kursausschlägen nach oben kann ein Teil des Gewinnes abgeschöpft werden. Diese Strategie hat sich in diesem Jahr bestens bewährt.

stgallen24
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