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Stadt St.Gallen
16.11.2020

«Boni führen zu Fehlleistungen»

Prof. Dr. Antoinette Weibel, Bild: Marlies Thurnheer
Prof. Dr. Antoinette Weibel, Bild: Marlies Thurnheer Bild: FS
HSG-Professorin Antoinette Weibel forscht im Bereich Personalmanagement und ist überzeugt, dass das gängige Bonus-Systemfalsche Anreize setzt.

Als Professorin, Frau Weibel, bekommen Sie ein ordentliches Gehalt überwiesen. Gäbe es eine andere Möglichkeit, Sie für Ihre Arbeit zu entschädigen als mit Geld?
Das würde kaum funktionieren, dann wären wir zurück im Tauschgeschäft … Der Lohn für eine Arbeit ist ein Hygienefaktor, mir ermöglicht das Gehalt ein sorgenfreies Leben. Darum kann ich auch noch Pro-Bono-Tätigkeiten nachgehen, weil mir gewisse Engagements wichtig sind.

Für ein sorgenfreies Leben muss der Lohn eine bestimmte Höhe erreichen.
Der Lohn muss natürlich für den Lebensunterhalt reichen. Und er muss stimmig zur jeweiligen Arbeit passen, man darf sich nicht ungerecht behandelt fühlen. Das passiert ja gerade bei Pflegekräften, die viel Herzblut investieren, aber wenig Geld nach Hause bringen.

Also Hauptsache guter Lohn?
Nein. Man müsste mir schon ziemlich viel bieten, damit ich eine Arbeit mache, von der ich nicht überzeugt bin. Das ist freilich eine privilegierte Sicht; es gibt viele Leute, die nicht aussuchen können.

Durch die Entlöhnung lässt sich ablesen, dass eine Stunde Arbeit einer Person ein Vielfaches mehr wert ist als die Arbeit einer anderen. Ist das fair?
Fair ist das nicht, egal, aus welcher Perspektive man es betrachtet. Auch viele Gutverdiener finden es stossend, wenn der CEO eines Unternehmens das Dreihundertfache seiner Angestellten mit dem tiefsten Lohn verdient. So etwas ist nicht mehr leistungsgerecht.

Aber weit verbreitet.
Es gab immer wieder Versuche, solche Exzesse zu verhindern. Früher wurde dann argumentiert, CEOs brauchen so hohe Löhne, damit sie sich anstrengen. Dabei lässt sich recht klar nachweisen, dass die Vergütung des CEO und die Unternehmensperformance in keinem Zusammenhang stehen. Heute wird eher gesagt, die Top-Manager seien «rare Talente», die man ohne Spitzengehalt nicht gewinnen könne. Auch dieses Argument ist mit Vorsicht zu geniessen, zumal der Arbeitsmarkt für Top-Manager nicht transparent ist.

Die hohen Entschädigungen von Top-Managern kommen auch durch fantastische Boni zustande. Sie haben in Ihrer Forschung aufgezeigt, dass ein Bonus selten die gewünschte Wirkung zeigt. Weshalb?
Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Setzt man jemandem bestimmte Anreize, dann fängt diese Person an, sich wie der Esel nach dem lockenden Rüebli zu strecken. Boni führen zu Fehlleistungen, weil man in vielen Berufen das wirklich Wichtige nicht messen kann.

Was verstehen Sie unter Fehlleistungen?
In den USA wurden an gewissen Highschools Boni für Lehrerinnen und Lehrer eingeführt, Messkriterium waren die Abschlussprüfungen. Das führte zu «teach to the test», die Lehrkräfte drillten ihre Klassen auf die Prüfung und vernachlässigten den eigentlichen Unterricht. Auffällig viele Lehrer liessen in der vorletzten Klasse schwächere Schüler sitzen, weil diese sonst bei der Prüfung das Ergebnis gedrückt hätten.

Es fehlt also ein brauchbares Messkriterium für den finanziellen Anreiz.
Meistens, ja. Boni entwickelten sich aus dem Akkordlohn, da funktionierte das noch, weil direkt die Produktivität eine Rolle spielte. Wir müssen aber akzeptieren: Nicht alles ist messbar. Es gibt auch noch weitere Probleme mit Boni, die allerdings umstrittener sind.

Zum Beispiel?
Unter Umständen nimmt man Mitarbeitern ihre intrinsische Motivation. Irgendwann denken sie nur noch ans Geld, das wiederum führt oft zu einem unerwünschten Verhalten. Die Bonus-Vorgaben sind zudem ein weiterer Stressfaktor, und zu viele Stressoren führen unweigerlich zu Fehlern, es gibt mehr Krankheitstage. Die Unternehmen haben auch eine höhere Fluktuation, weil sie ihre Top-Leute dazu erziehen, sich wie Söldner zu verhalten. Die komplexen Bonus-Mechanismen führen zudem zu einem hohen bürokratischen Aufwand.

Sie sind offensichtlich kein Fan des Bonus-Systems.
Ich bin überzeugt, dass dieses System in der modernen Arbeitswelt nichts zu suchen hat. Zumal viele herausragende Leistungen heute als Teamarbeit entstehen, die Leistung von Einzelnen ist da erst recht nicht fair messbar.

Wieso ist es denn das System nach wie vor so verbreitet?
In den 1990er-Jahren haben viele grosse Unternehmen das mittlere Management ausgedünnt oder abgeschafft. Vorgesetzte mussten plötzlich statt zehn vielleicht 50 Leute führen, was eigentlich nicht geht. Also wurde «Führen über Ziele» populär. So mogelt man sich aber um Führungsaufgaben herum. Wenn jemand eine Leistung nicht erbringt, muss man nicht am Bonus schrauben. Individuelle Exzellenz zum Blühen zu bringen, ist Führungsarbeit.

Wenn es keine Boni mehr gibt: Welche Möglichkeiten gäbe es, herausragende Leistungen intelligent zu honorieren?
Ich erzähle seit 20 Jahren, dass man zu einem guten Salärsystem zurückfinden muss. Und vor mir haben schon Margit Osterloh und Bruno S. Frey an diesem Thema geforscht und diese Erkenntnisse thematisiert.

Offenbar wurden sie nicht gehört.
Doch, aber nicht verstanden. Anfangs wurden sie als «Kommunisten» beschimpft.

Die Wirtschaft ignoriert also Ihre Erkenntnisse?
Es findet durchaus ein Umdenken statt. Die Robert Bosch GmbH, ein Konzern mit fast 400000 Angestellten, hat weltweit die Boni gestrichen. Es gibt wieder ein klares Salärsystem; um in eine höhere Lohnklasse zu kommen, werden vor allem die Skills, die Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewichtet. Ist das eine Person, die viel lernt? Lassen sich deren Fähigkeiten nutzen? Ein solches System ist übrigens auch nicht gerade trivial.

Die Mitarbeiter bekommen also ihren Lohn und sonst nichts?
Es gibt durchaus gute Möglichkeiten, sich den Angestellten darüber hinaus erkenntlich zu zeigen. Etwa mit einem ProfitSharing: Wirtschaftet die Firma erfolgreich, kann sie einen zusätzlichen 13. oder 14. Monatslohn ausrichten oder in einem Produktionsbereich eine Sonderzahlung in gleicher Höhe für alle vornehmen. Es gibt auch On-The-Spot-Rewards, spontane Belohnungen für aussergewöhnliche Leistungen, die nicht unbedingt eine direkt monetäre Form haben müssen – ein Gutschein für ein Wellness-Wochenende, die Gutschrift von zusätzlichen Ferientagen. Das ist Führung über Wertschätzung. Grundsätzlich gilt aber, dass gute Leistung honoriert wird, indem die entsprechende Person über die Jahre mehr verdient.

Wie begeistert wären Investment-Banker, wenn sie statt ihrer märchenhaften Boni einzustreichen die Wertschätzung der Vorgesetzten erfahren?
Nun ja, es dürfte nicht einfach sein, gerade diese Branche vom gewohnten System abzubringen. In anderen Bereichen dürfte das eher machbar sein.

Wie denn?
Wenn die Boni wegfallen, müssen die Saläre deutlich hochgefahren werden. Für die einzelnen Mitarbeiter sollte zumindest eine annähernde Besitzstandswahrung ermöglicht werden.

Ob mit oder ohne Boni: Wie lässt sich denn eine faire Entlöhnung ermitteln, welche Faktoren spielen da eine Rolle?
Eine wichtige Frage wäre: Was ist der gesellschaftliche Wert einer Arbeit? Tatsächlich spielt natürlich vor allem der Marktvergleich eine Rolle – und auch, wo dieser Lohn bezahlt wird. In der Schweiz kennen wir zum Beispiel nicht so tiefe Mindestlöhne wie in unseren Nachbarländern. Die Tiefstlöhne hier sind im Vergleich zum Durchschnitt und zu guten Löhnen einigermassen fair.

Mit fairen Löhnen sichern sich die Unternehmen gute Arbeitskräfte.
Ein guter Lohn gehört im Moment des Job-Wechsels zu den drei wichtigsten Kriterien. Nachher aber ist der Lohn nur noch ein Hygienefaktor; andere Kriterien werden wichtiger, etwa Entfaltungsmöglichkeiten, gute Atmosphäre, Mitbestimmung.

Und in Corona-Zeiten vielleicht auch: Arbeitsplatzsicherheit? Da konnte sich der öffentliche Bereich gegenüber der Privatwirtschaft gerade ziemlich profilieren.
Gewisse Dinge bei staatlichen Arbeitgebern haben durchaus ihren Wert, andere sind aber weniger attraktiv. In der Schweiz sind die Unterschiede nicht so riesig, und man sollte die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausspielen. Es gibt kein Schlaraffenland. Nirgends. Und trotzdem zeigen unsere Studien: Wenn wir unsere Unternehmen auf Respekt und Vertrauen ausrichten, also ein bisschen Ponyhof zulassen, geht es uns allen besser. Den Unternehmen wie auch den Angestellten.

Dieser Text von Philipp Landmark ist aus der LEADER Ausgabe Oktober 2020. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.

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