Gabriella Schmid, Professorin für Soziale Arbeit, engagiert sich seit Jahrzehnten für den Schutz von Frauen. Im Interview spricht die Mitgründerin des CAS Traumapädagogik und Traumaberatung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule darüber, welches Denkmuster bei den Tätern vorherrscht, warum die Phase der Trennung für Frauen besonders gefährlich ist und was es braucht, damit sie nicht wieder zu ihren gewalttätigen Männern zurückkehren müssen.
Gabriella Schmid, ein Femizid ist per Definition eine «Tötung aufgrund des Geschlechts». Aber was heisst das genau?
Typisch für Femizide ist, dass sie Ausdruck patriarchaler Verhältnisse und fehlender Gleichstellung sind. Der Mann betrachtet die Frau als seinen Besitz und verlangt von ihr, sich ihm unterzuordnen. Das geht damit einher, dass er eine starke Macht auf sie ausübt und sie kontrolliert. Versucht sie, sich dieser Kontrolle zu entziehen, droht Gewalt und im Extremfall die Tötung. Besonders gefährlich ist die Situation, wenn sich eine Frau von ihrem Mann trennen möchte. Bei Femiziden sind also meist die Partner oder Ex-Partner die Täter, in seltenen Fällen auch andere Familienmitglieder.
Wie kommt es, dass dieses Phänomen in einer weitgehend aufgeklärten, gleichberechtigten Gesellschaft noch so vorherrschend ist?
Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern war über Jahrtausende der Normalzustand. Im Verhältnis dazu existieren Frauenrechte und Gesetze gegen häusliche Gewalt erst seit kurzer Zeit. Nach wie vor sind deshalb Überbleibsel des Patriarchats spürbar, auch in unserem Rechtssystem. Wenn ein Mann seine Frau oder Partnerin tötet, kann er auch heute noch oft auf mildernde Umstände hoffen. Etwa, indem Anwälte argumentieren, er habe sich im Ausnahmezustand befunden, weil sie ihn verlassen wollte. Je nachdem stuft ein Gericht die Tat dann lediglich als vorsätzliche Tötung und nicht als Mord ein. Das zeigt, dass häufig verleugnet wird, was hinter solchen Delikten tatsächlich steht: nämlich der Versuch eines Mannes, seine Macht über die Frau zurückzugewinnen – aus der Überzeugung heraus, ihr überlegen zu sein und Gewalt anwenden zu dürfen.