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Kanton
04.09.2025
04.09.2025 18:25 Uhr

Regierung will «Heiratsstrafe» beibehalten

Der Kanton St.Gallen möchte sich weiterhin bei den Verheirateten bedienen
Der Kanton St.Gallen möchte sich weiterhin bei den Verheirateten bedienen Bild: buerger-geld.org
Die Regierung des Kantons St.Gallen hat beschlossen, das Kantonsreferendum gegen die Individualbesteuerung zu unterstützen. Deren Einführung wäre mit einem sehr hohen Aufwand verbunden. Die Regierung sieht zwar den Bedarf für eine Beseitigung der Heiratsstrafe bei der direkten Bundessteuer, erachtet aber ein Splitting-Modell wie bei der Kantonssteuer als vorteilhafter. Das sieht stgallen24-Chefredaktor Stephan Ziegler in seinem Kommentar ganz anders.

Die Bundesversammlung hat am 20. Juni 2025 das Bundesgesetz über die Individualbesteuerung in der Schlussabstimmung gutgeheissen. Die Individualbesteuerung soll beim Bund, den Kantonen und den Gemeinden eingeführt werden. Ehepaare sollen künftig wie unverheiratete Paare besteuert werden und müssten infolgedessen künftig zwei getrennte Steuererklärungen einreichen.

Die Regierung des Kantons St.Gallen hat am 2. September 2025 entschieden, das Kantonsreferendum gegen diese Vorlage zu unterstützen.

Sie erfüllt damit auch einen Auftrag des Kantonsrates aus der Sommersession 2025. Auch die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz (FDK) unterstützt das Referendum. Das Kantonsreferendum kommt zustande, wenn dies von acht Kantonen verlangt wird. Für das Ergreifen des Kantonsreferendums ist im Kanton St.Gallen die Regierung zuständig.

Die Regierung hatte sich bereits in ihrer Vernehmlassung im Jahr 2023 gegen die Einführung der Individualbesteuerung auf Bundes- und Kantonsebene ausgesprochen. Sie fordert eine Lösung, die auf der gemeinsamen Veranlagung von Ehepaaren basiert. Dass die Heiratsstrafe bei der direkten Bundessteuer abzuschaffen ist, ist auch für die Regierung unbestritten.

Dabei steht für sie ein Splitting-Modell im Vordergrund.

Die Kantone ihrerseits haben die Heiratsstrafe schon seit längerer Zeit mehrheitlich beseitigt. Viele Kantone kennen das Splittingsystem. Im Kanton St.Gallen gilt das Vollsplitting, wonach das steuerbare Gesamteinkommen der in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten durch zwei geteilt wird, um den anwendbaren Steuersatz zu ermitteln.

Die Umstellung auf die Individualbesteuerung wäre ein fundamentaler Systemwechsel und mit einem erheblichen Initialaufwand verbunden. Betroffen wären sowohl das Steuerrecht als auch das Recht der staatlichen Transferleistungen wie zum Beispiel Prämienverbilligungen, Stipendien und Kita-Vergünstigungen.

Zudem gibt es auch jährlich zusätzlichen Administrationsaufwand für die Kantone und Gemeinden.

Es müssten wesentlich mehr Steuererklärungen bearbeitet werden. Die Aufteilung von Einkommen und Vermögen auf die Ehegatten und Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten würden zu Fragen, Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten führen. Zudem wäre der Steuerbezug aufwendiger.

Aus diesen Gründen lehnt die Regierung die Individualbesteuerung ab und unterstützt das Kantonsreferendum.

Ziegler meint:

«Während das Parlament an einer gerechteren Besteuerung arbeitet, stellt sich die St.Galler Regierung quer. Mit ihrer Ablehnung der Individualbesteuerung verteidigt sie ein System aus vergangenen Zeiten – und ignoriert die berechtigten Anliegen der Bevölkerung.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass verheiratete Paare steuerlich benachteiligt werden.

Eheleute zahlen mehr, als sie als Einzelpersonen müssten. Dieser Zustand ist nicht nur ökonomisch widersinnig, sondern auch gesellschaftlich unfair. Wer heiratet, darf nicht dafür bestraft werden, Punkt.

Trotzdem beharrt die Regierung auf der alten Ordnung. Sie begründet ihre Haltung mit hohen Kosten, mit Komplexität und angeblich unzumutbarem Aufwand. Doch das ist nichts anderes als eine Ausrede. Ein einheitliches System wäre im Gegenteil einfacher, transparenter und gerechter. Zudem zeigen Studien, dass die Individualbesteuerung nicht nur mehr Menschen – insbesondere Frauen – in den Arbeitsmarkt bringen könnte, sondern langfristig auch neue Steuereinnahmen generieren würde.

Statt Fortschritt zu ermöglichen, klammert sich die Regierung an veraltete Strukturen, um kurzfristig Budgets zu schonen.

Das ist politischer Stillstand – und ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit Jahren für eine gerechtere Steuerpolitik einsetzen.

Die Wahrheit ist: Wer die Heiratsstrafe verteidigt, schützt nicht die Steuerzahler, sondern ein ungerechtes System. Ein System, das moderne Lebensrealitäten ignoriert und Familien strukturell benachteiligt. Höchste Zeit also, dass die Stimmbürger dieses Kapitel schliessen und endlich für Gerechtigkeit sorgen.»

Stephan Ziegler, Chefredaktor stgallen24 (verheiratet)

 

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pd/stz.
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