stgallen24 findet:
Ja, Pierin Vincenz hat über die Stränge geschlagen, Geld, das ihm nicht gehörte, mit vollen Händen ausgegeben und sich wohl auch sonst Vorteile aus seiner Position, aus seinem (Insider-)Wissen, aus seinen Beziehungen verschafft. Kurz: Er hat Fehler gemacht. Viele Fehler. Und wahrscheinlich haben diese auch strafrechtliche Folgen.
Aber:
Pierin Vincenz hat aus der eher verschlafenen Raiffeisen-Bank die Nummer 3 in der Schweiz gemacht. Er baute in seiner Amtszeit die ländliche Genossenschaftsbank zu einem der führenden Schweizer Finanzinstitute aus, professionalisierte die Strukturen und machte die Bank fit fürs 21. Jahrhundert.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Der Schlüssel liegt wohl in Pierin Vincenz' Persönlichkeit begründet: Der Bündner ist ein Alpha-Tier, ein Macher, vielleicht sogar ein Egomane. Ohne diese Eigenschaften wäre es ihm nicht gelungen, das Raiffeisen-Schiff in neue Gewässer zu steuern. Ohne diese Eigenschaften wäre er nicht von der vereinigten Finanz- und Politwelt hofiert und umschwärmt worden.
Die Kehrseite der Medaille: Wie im Geschäftsleben auch, kannte Vincenz offenbar auch im Privaten wenig bis keine Grenzen. Er hielt sich für den Grössten - was er in einer gewissen Beziehung ja auch war. Und er hielt sich für unfehlbar: Warum soll er sich nicht auf Raiffeisens Spesen amüsieren? Schliessllich hat er der Bank früher nie für möglich gehaltene Gewinne verschafft.
Dass er dabei die Grenzen zwischen Privat und Business nicht (mehr) zu ziehen wusste, ist unschön, vielleicht sogar strafbar. Aber man darf davon ausgehen, dass das für Pierin Vincenz persönlich kein Betrugsversuch, sondern eine Selbstverständlichkeit war. Er war der Superstar - als solchen sah er sich auch selbst. Und Superstars können sich alles erlauben.
Falsch gedacht.
Hochmut kommt vor dem Fall - das hat auch diese Affäre bewiesen. Und ehemals treue Weggefährten - und Nutzniesser seiner Grosszügigkeit - lassen ihn nun fallen. In der Raiffeisen-Zentrale in St.Gallen werden einige zittern und hoffen, dass im Lauf des Prozesses ihr Name nicht auch noch an die Öffentlichkeit gelangt.