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Stadt St.Gallen
03.07.2025
03.07.2025 11:36 Uhr

«Bilder im Kopf»: Wenn psychische Erkrankungen das ganze Umfeld betreffen

Eleonora Camizzi und Alexa Mayer
Eleonora Camizzi und Alexa Mayer Bild: zVg
Am 28. Juni 2025 fand im Beisein der Schweizer Regisseurin Eleonora Camizzi im KinoK ein eindrückliches Filmpodium statt. Es wurden Ausschnitte aus ihrem mehrfach preisgekrönten Film «Bilder im Kopf» gezeigt und anschliessend mit Experten zum Thema Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, deren Umfeld und die Entstigmatisierung diskutiert.

Menschen mit psychischen Erkrankungen werden nach wie vor stark stigmatisiert, deren Angehörige und Vertraute nur zu oft ignoriert und nicht in die Behandlung der betroffenen Personen einbezogen. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, wurde vor über 35 Jahren die Vereinigung Angehöriger von psychisch erkrankten Menschen (VASK Ostschweiz) gegründet, die sich heute «Stand by You Ostschweiz» nennt.

In der Begrüssung und Einführung durch Präsident a. i. Bruno Facci wurden besonders die überwältigenden Gefühlswelten betont, denen Angehörige von psychisch erkrankten Menschen ausgesetzt sind.

Bruno Facci Bild: zVg

«Psychische Erkrankungen werden immer noch stigmatisiert, und dieses Stigma ist mit der Grund für die damit verbundenen Diskriminierungen. Das macht uns Angehörigen stark zu schaffen», bemerkte Facci. «Darüber hinaus bereitet die Umsetzung der an sich banalen These ‹Es ist normal, verschieden zu sein› erhebliche Mühe, wenn die Andersartigkeit sehr stark ausgeprägt ist.»

Danach folgten vier eindrückliche Filmausschnitte.

Der experimentelle Dokumentarfilm begleitet Vater und Tochter bei ihrem Versuch, das Geschehene gemeinsam aufzuarbeiten – als Betroffener und Angehörige. Gefühle spielen dabei eine grosse Rolle: Wut, die einen überkommt, wenn man sich nicht verstanden oder sich durch Aussagen verletzt fühlt. Verwirrung, wenn man das Gegenüber einfach nicht verstehen kann.

Aber auch die vielleicht zum ersten Mal ausgesprochene Angst, welche Frau und Tochter vor dem erkrankten Ehemann und Gatten ab und an ausgestanden haben. Der Film geht unter die Haut. Er ist ab September in den Kinos zu sehen.

Die anschliessende Podiumsdiskussion unter der Leitung von Alexa Meyer knüpfte an diese Ausschnitte an.

Auf dem Podium traten Edith Scherer, Angehörigenberaterin der Psychiatrie St.Gallen, Eleonora Camizzi, Regisseurin, Thomas Maier, ehemaliger ärztlicher Direktor der Psychiatrie St.Gallen und jetzt Chefarzt der Forel Klinik in Ellikon, sowie Beat Canonica, Betroffener mit eigener psychiatrischer Erfahrung und als Peer sowie Genesungsbegleiter tätiger Experte, auf.

Beat Canonica, Edith Scherer, Eleonora Camizzi und Thomas Maier Bild: zVg

In einer ersten Runde ging man der Frage nach, ob es denn wichtig sei, eine Diagnose zu erhalten. Dabei kam heraus, dass dank einer Diagnose der Heilungsprozess eingeleitet werden könne, dass eine Diagnose aber nur dann hilfreich sei, wenn sie auch erklärt und offen über sie gesprochen werde.

Gerade Angehörige könnten so der Erkrankung einen Namen geben und besser damit umgehen. Es sei aber auch Vorsicht geboten, da mit einer Diagnose Menschen schubladisiert und eben auch stigmatisiert würden.

Ein grosser Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Rolle der Angehörigen – sie spielen in der Behandlung und Genesung eine zentrale Rolle.

Gleichzeitig wurde das Spannungsfeld deutlich, in dem sie sich bewegen: Oft werden Angehörige nicht einbezogen, unter anderem weil das Einverständnis der erkrankten Person erforderlich ist. Aus Scham wird dieses jedoch allzu oft verweigert. Kritisiert wurden auch institutionelle Versäumnisse – viele Einrichtungen konzentrieren sich nach wie vor fast ausschliesslich auf die Betroffenen, die als «ihre Patienten» gelten.

An der Podiumsdiskussion Bild: zVg

Die Betreuung und Begleitung von Angehörigen ist durch die bestehenden Tarife nicht finanziert und muss von den Institutionen selbst getragen werden. Deshalb bleiben solche Angebote rar – obwohl eine Studie von 2024 zeigt, dass 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz mindestens eine Person mit psychischer Erkrankung im Umfeld kennt, 73 Prozent sogar mehrere.

59 Prozent – rund 4,3 Millionen Menschen – waren bereits in der Rolle von Angehörigen oder Unterstützenden, etwa die Hälfte davon ist es aktuell. Das betrifft jede vierte Person in der Schweiz. Fehlt Unterstützung, geraten viele Angehörige selbst an ihre Belastungsgrenzen – und werden nicht selten selbst krank.

Um psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren, sind sich alle einig: Es braucht mehr offene Gespräche und eine stärkere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Es gilt, den Umgang mit psychischen Erkrankungen zu lernen und das Anderssein auszuhalten. Statt rein individueller Betrachtung plädieren viele für einen systemischen Ansatz in der Behandlung.

Auf die Frage, warum es dennoch schwerfällt, über psychische Erkrankungen zu sprechen, wird häufig auf den hohen gesellschaftlichen Normdruck verwiesen: Menschen wünschen sich Berechenbarkeit und begegnen abweichendem Verhalten mit Ablehnung.

Stand by You Ostschweiz ist die Freiwilligenorganisation für Angehörige und Vertraute von Personen mit psychischen Erkrankungen in den Kantonen SG, TG, AR, AI, GL und dem Fürstentum Liechtenstein. Sie bietet Unterstützung und Information, um sicherzustellen, dass in Krisen niemand alleingelassen wird. Die Mitglieder verstehen die Herausforderungen, die Angehörige und Vertraute durchleben, und setzen sich dafür ein, dass sie die Hilfe erhalten, die sie und die Betroffenen benötigen – weil sie selbst Betroffene sind.

pd/stz.
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