In der letzten Produktion vor ihrem Festspielbeitrag Klangtanz wenden sich die beiden Choreografen Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos Aischylos’ Orestie zu. Im Tanzabend Oresteia (neugriechisch ausgesprochen: das erste e kurz, das zweite stumm) erzählen sie die Geschichte von Agamemnon, der seine Tochter Ifigenia opferte, um in den Krieg gegen Troja zu ziehen.
Ifigenias Mutter, Klytaimestra, sinnt auf Rache und tötet, als dieser vom Feldzug zurückkehrt, Agamemnon. Das wiederum ruft den gemeinsamen Sohn, Orestes, auf den Plan, der daraufhin die Mutter mitsamt deren Geliebtem umbringt. Aischylos durchbricht das Muster von Gewalt und Gegengewalt, indem er Orestes zwar von den Erinnyen verfolgen, ihn aber nicht mit dem Tod bestrafen und ihn letztlich sogar freisprechen lässt.
So alt der Mythos, so zeitlos die Fragen, die er aufwirft:
Themen wie Vergeltung, Gerechtigkeit, Fairness oder die Vergebung von Schuld stehen denn auch im Zentrum der jüngsten Arbeit von Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos.
Neben der Leidenschaft für Mythologie steht dahinter ein übergeordnetes Spielzeitthema, wie der Künstlerische Leiter der Tanzsparte betont: «Die Ursprungsidee war ein spartenübergreifendes Projekt – keine direkte Kooperation, aber ein gemeinsames Thema: Wir machen Oresteia, die Oper Strauss’ Elektra und das Schauspiel hat Milo Raus Medea’s Children eingeladen.»
Der Videokünstler Rubén Darío Bañol Herrera hat die wichtigsten Stationen der Orestie als Schatten gefilmt. Die siebzehn Tänzerinnen und Tänzer der Kompanie interagieren mit den Projektionen, um auf ihre Weise auf die grossen moralischen Fragen zu reagieren. Dadurch wird Aischylos’ Vorlage tänzerisch erweitert, fortgesponnen und vertieft und ermöglicht dadurch einen abstrakteren Zugang.
Die Musik stammt vom galicisch-portugiesischen Produzenten, Komponisten und Klangkünstler Alejandro Da Rocha.
Für Oresteia arbeitet der in Barcelona ansässige DJ teils mit bestehenden Werken (z. B. von Johann Sebastian Bach oder von Jóhann Jóhannsson) oder zitiert mit griechischer Folklore den Kulturraum, der die Orestie hervorgebracht hat.
Der Komponist nutzt aber auch antike Instrumente oder setzt auf Chöre, wie sie in der antiken Tragödie oft verwendet wurden. Unterstützt wird Da Rocha von Nicolai Gütter-Graf von der hauseigenen Tonabteilung. Gemeinsam bespielen sie die neue Surround-Anlage, die mit der Renovation Einzug ins Grosse Haus gehalten hat.
Für das Licht und diesmal auch das Bühnenbild ist Lukas Marian verantwortlich, den mit Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos am Theater St.Gallen eine intensive Zusammenarbeit verbindet. Das Herzstück der Bühne sind Treppen und ein riesiger Lichtring.
Zudem arbeitet Lukas Marian mit Wasser. Das Element wird auch von Bregje van Balens Kostümen aufgenommen. Diese bestehen zum Teil aus einem feinen, papierartigen Gewebe, das sich bei Wasserkontakt auflöst.
Darüber hinaus lebt das Kostümbild von gehäkelten Furienmasken. Diese wurden von der darauf spezialisierten Kostümbildnerin Ksenia Sobotovych eigens für Oresteia angefertigt. Sobotovych hat bereits anlässlich der Schauspielproduktion Selig sind die Holzköpfe (Spielzeit 22/23) für das Theater St.Gallen gearbeitet, damals hat sie gehäkelte Tiermasken entworfen.