Seit dem frühen 18. Jahrhundert findet der Begriff «Pasticcio» – ursprünglich italienisch für «Durcheinander» – im Zusammenhang mit Musik Verwendung, ohne dabei negativ belegt zu sein, wie die wörtliche Übersetzung vermuten lässt:
Gemeint ist die Neu-Gruppierung von kleinen musikalischen Einheiten wie Arien oder Chorsätze, die dafür aus einem ursprünglichen grösseren Werkzusammenhang, etwa einer Oper oder einem Oratorium, entliehen und in neuer Kombination wiederverwendet werden.
Frieder Bernius hat sich für das Pasticcio, das er für seinen Auftritt mit dem Kammerchor Stuttgart für den Konzertzyklus «Alte Musik St.Gallen» kreiert hat, das Ordinarium Missae als grössere Form ausgesucht.
Ihre Einzelteile – Kyrie, Gloria, Credo etc. – stammen in seinem Pasticcio nicht wie gewöhnlich aus der Hand eines Komponisten, sondern wurden von ganz verschiedenen Meistern geschaffen. Das Besondere: Sie entstanden nicht einmal im selben Jahrhundert, sondern umspannen einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren.
Was in der Theorie als gewagtes Experiment erscheinen könnte, erwies sich in der Praxis als musikalische Offenbarung.
Bernius’ feinfühlige Programmwahl und seine präzise musikalische Leitung liessen keinen Moment der Zerrissenheit oder Beliebigkeit aufkommen. Im Gegenteil: Die kontrastreiche, aber stets stimmige Auswahl der Werke verlieh dem Konzert eine besondere dramaturgische Tiefe.