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Stadt St.Gallen
02.03.2025
02.03.2025 20:25 Uhr

Kammerchor Stuttgart glänzt mit «Pasticcio Missale»

Das Konzert in der Kirche St.Mangen war ein weiterer Höhepunkt des Zyklus «Alte Musik St.Gallen».
Das Konzert in der Kirche St.Mangen war ein weiterer Höhepunkt des Zyklus «Alte Musik St.Gallen». Bild: stz.
Mit einer tollen Darbietung zeigte der Kammerchor Stuttgart unter der Leitung von Frieder Bernius am 3. März 2025, wie sich Werke aus über 300 Jahren Chormusik zu einem harmonischen Ganzen verweben lassen.

Seit dem frühen 18. Jahrhundert findet der Begriff «Pasticcio» – ursprünglich italienisch für «Durcheinander» – im Zusammenhang mit Musik Verwendung, ohne dabei negativ belegt zu sein, wie die wörtliche Übersetzung vermuten lässt:

Gemeint ist die Neu-Gruppierung von kleinen musikalischen Einheiten wie Arien oder Chorsätze, die dafür aus einem ursprünglichen grösseren Werkzusammenhang, etwa einer Oper oder einem Oratorium, entliehen und in neuer Kombination wiederverwendet werden.

Frieder Bernius hat sich für das Pasticcio, das er für seinen Auftritt mit dem Kammerchor Stuttgart für den Konzertzyklus «Alte Musik St.Gallen» kreiert hat, das Ordinarium Missae als grössere Form ausgesucht.

Ihre Einzelteile – Kyrie, Gloria, Credo etc. – stammen in seinem Pasticcio nicht wie gewöhnlich aus der Hand eines Komponisten, sondern wurden von ganz verschiedenen Meistern geschaffen. Das Besondere: Sie entstanden nicht einmal im selben Jahrhundert, sondern umspannen einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren.

Was in der Theorie als gewagtes Experiment erscheinen könnte, erwies sich in der Praxis als musikalische Offenbarung.

Bernius’ feinfühlige Programmwahl und seine präzise musikalische Leitung liessen keinen Moment der Zerrissenheit oder Beliebigkeit aufkommen. Im Gegenteil: Die kontrastreiche, aber stets stimmige Auswahl der Werke verlieh dem Konzert eine besondere dramaturgische Tiefe.

Bild: stz.

Schon mit den ersten Tönen des Kyrie von Felix Mendelssohn Bartholdy war die klangliche Exzellenz des Kammerchors Stuttgart spürbar. Glasklare Sopranstimmen schwebten über einem satten Chorklang, während das Ensemble mit perfekter Intonation und Transparenz musizierte.

Das anschliessende, monumentale Gloria von Orazio Benevoli brachte die Vielstimmigkeit des Chors zur vollen Entfaltung und sorgte für einen der ersten Höhepunkte des Abends.

Besonders beeindruckend war das von Graham Lack komponierte Sanctus, das mit seiner zeitgenössischen Harmonik und sphärischen Klangflächen in einer jahrhundertealten Tradition verwurzelt blieb, aber zugleich neue Wege beschritt.

Die Sängerinnen und Sänger des Kammerchors Stuttgart bewältigten diese musikalischen Herausforderungen mit Bravour, indem sie die feinen dynamischen Abstufungen und die präzise Phrasierung eindrucksvoll zur Geltung brachten.

Das Credo von Joseph Gabriel Rheinberger verband spätromantische Klangfülle mit klanglicher Leichtigkeit und mündete in ein ergreifendes Agnus Dei von Samuel Barber, das mit seinem schwebenden Chorsatz einen ergreifenden Schlusspunkt setzte.

Hier zeigte sich wiederum besonders deutlich die stimmliche Exzellenz des Ensembles, das durch seinen homogenen Klang und seine makellose Balance zwischen den Stimmen überzeugte.

Das Publikum in der sehr gut besuchten Kirche St.Mangen würdigte die herausragende Leistung des Kammerchors Stuttgart mit einer lang anhaltenden Standing Ovation.

Mehr zu «Alte Musik St.Gallen» AMSG finden Sie hier.

Der Kammerchor Stuttgart, 1968 von Frieder Bernius gegründet, steht mit seiner jahrzehntelangen Tradition für ein seinerzeit neuartiges Niveau professionell besetzter Chorkultur. Bernius selbst hat sein diesbezügliches Wirken vom romantischen Repertoire ausgehend sowohl in die davorliegenden Epochen als auch in die Moderne ausgeweitet. Insofern steht dieses Pasticcio auch für die bemerkenswerte stilistische Breite, die Bernius mit seinem Ensemble seit Langem höchst erfolgreich abdeckt.

In den mehr als 50 Jahren seines Bestehens hat Frieder Bernius den Kammerchor Stuttgart zu einer von Publikum und Presse gefeierten Ausnahmeerscheinung geformt.

Bereits kurz nach seiner Gründung erzielte das Ensemble erste internationale Erfolge: 1970 und 1971 gewann es Chorwettbewerbe in Grossbritannien und den Niederlanden, 1976 in Österreich. 1982 errang der Kammerchor Stuttgart den ersten Preis beim Ersten Deutschen Chorwettbewerb. In der Folge erhielt der Kammerchor Einladungen zu allen wichtigen europäischen Festivals und renommierten Konzerthäusern.

Das Repertoire des Chores reicht vom 17. bis zum 21. Jahrhundert – um die Neue Musik haben sich Frieder Bernius und der Kammerchor Stuttgart mit vielen Uraufführungen verdient gemacht. Seine weltweite Reputation dokumentieren regelmässige Nordamerika- und Asientourneen. Er war zum 1., 4., 10. und 12. Weltsymposion für Chormusik nach Wien, Sydney, Seoul und Auckland eingeladen. Seit 1984 ist das Ensemble zudem alle zwei Jahre in Israel zu Gast. Im Rahmen der internationalen Kulturbeziehungen Baden-Württembergs gilt der Kammerchor Stuttgart als ein Aushängeschild seines Landes. Als solches führt er regelmässig Kooperations- und Austauschprojekte mit Orchestern in Kanada, Polen und Ungarn durch. Von den rund 120 Schallplatten- und CD-Einspielungen wurden über 50 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik, dem Diapason d’or sowie dem Edison Klassik ausgezeichnet.

Den Grundstein für seine aussergewöhnliche Karriere legte Frieder Bernius 1968 mit der Gründung des Kammerchors Stuttgart – bis heute eines der führenden Ensembles seiner Art.

Daneben leitet er vor allem das Barockorchester Stuttgart sowie die Hofkapelle Stuttgart, ein Spezialensemble für die Musik des frühen 19. Jahrhunderts, und die Klassische Philharmonie Stuttgart, die auf modernem Instrumentarium Werke des 19. bis 21. Jahrhunderts spielt.

Ob Vokalwerke von Bach, Schauspielmusiken von Mendelssohn oder Sinfonien von Haydn – stets zielt die Arbeit von Bernius auf einen unverwechselbaren persönlichen Ton. Wiederentdeckungen von Opern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, besonders aus dem südwestdeutschen Raum, widmet er sich dabei ebenso wie Uraufführungen zeitgenössischer Kompositionen.

Diese stilistische Vielseitigkeit von Frieder Bernius findet weltweit grosse Anerkennung.

Konzertreisen führen ihn zu allen wichtigen internationalen Festivals. 1987 rief er die Internationalen Festtage Alter Musik Stuttgart ins Leben (seit 2004 Festival Stuttgart Barock), die die Stadt mit zu einem Zentrum der historisch informierten Aufführungspraxis machten.

Ferner hat Bernius bisher rund 120 Einspielungen vorgelegt, die mit über 50 internationalen Schallplattenpreisen ausgezeichnet wurden.

Zum Mendelssohn-Jahr 2009 konnte er die zwölfteilige Gesamteinspielung des geistlichen Vokalwerks des Komponisten abschliessen und dafür den International Classical Music Award erhalten.

Neben vielen weiteren Ehrungen erhielt Frieder Bernius für seine Verdienste um das deutsche Musikleben das Bundesverdienstkreuz am Bande und die Bach-Medaille der Stadt Leipzig.

Stephan Ziegler
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