Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
21.11.2024

Stiftsbibliothek erzählt «verrückte Geschichten»

Das Gemälde der heiligen Caecilia, nur eine der vielen Heiligen, um die sich zahlreiche Legenden ranken.
Das Gemälde der heiligen Caecilia, nur eine der vielen Heiligen, um die sich zahlreiche Legenden ranken. Bild: Stiftsbibliothek St.Gallen, Inv. Nr. 76
Die St.Galler Stiftsbibliothek besitzt einen veritablen Schatz von Heiligenlegenden. Deshalb geht die Winterausstellung ab dem 26. November 2024 den verrückten Geschichten nach, die sie erzählen.

Die Welt der Heiligen ist eine Welt voll verrückter Geschichten, sogenannter Legenden. Viele davon sind bis heute stark in der Gesellschaft verwurzelt, viele aber auch vergessen. Wir erfahren durch sie von christlichen Helden, die zahlreiche Prüfungen bestehen und Wunder wirken.

Zweifellos hat das Aussergewöhnliche zur Beliebtheit der Legenden beigetragen und sie einprägsam gemacht. Auch heute vermögen sie noch zu faszinieren. «In den Legenden funkeln Göttliches und Menschliches, Himmel und Erde», sagt Stiftsbibliothek Cornel Dora. Er verantwortet die kommende Ausstellung.

Von der «Legende» zur «Lügende»

Im Mittelalter befanden sich die Heiligen nicht am Rand der Gesellschaft wie heute, sondern in ihrer Mitte. Sie und ihre Geschichten waren ein wesentlicher Teil der Alltagskultur und des theologischen Orientierungssystems. Ihre im Kirchenjahr etablierten Feste strukturierten den Jahresablauf, Eltern liessen ihre Kinder auf ihre Namen taufen, sie wurden in der Not angerufen und waren seit dem Spätmittelalter auch im öffentlichen Raum überall in Bildern und Statuen präsent.

«Ihr Potenzial wurde im Spätmittelalter derart ausgebeutet, dass es problematisch wurde», sagt Dora. Die Reformation wandte sich radikal dagegen, der Reformator Martin Luther erklärte die «Legende» zur «Lügende».

Sammlung von hoher Qualität

Die Legendensammlung der Stiftsbibliothek St.Gallen ist von breiter Vielfalt, eine Fundgrube, um das Thema vorzustellen und gleichzeitig die Bedeutung des frühmittelalterlichen Steinachklosters ins Licht zu rücken. Sie setzt im 8. Jahrhundert ein und enthält mehrere früheste oder beste Überlieferungen.

Und es gibt ganz Einzigartiges darunter. So hat einer der St.Galler Mönche um das Jahr 920 ein nach den Heiligenfesten im Kirchenjahr geordnetes Verzeichnis aller im Kloster greifbaren Legenden erstellt – ein einmaliges und aufschlussreiches Zeugnis.

Von den Märtyrern zu Antonius

«In der Ausstellung zeigen wir auf, wie sich die Heiligenlegende aus den teils erschütternden Martyriumsberichten der Christen seit dem 2. Jahrhundert entwickelte», sagt Dora. Im 4. Jahrhundert kamen auch Lebensgeschichten von sogenannten Bekennern hinzu, die keinen gewaltsamen Tod erlitten.

Der erste von ihnen war der ägyptische Mönch Antonius. Seine Vita, wie man die Lebensgeschichten von Heiligen auch nennt, wurde vom Kirchenvater Athanasius verfasst. Sie wirkte modellhaft auf die Entstehung von weiteren Heiligenlegenden.

Grosse Vielfalt

Über die Jahrhunderte wuchs die Heiligenliteratur unbändig und in grosser Vielfalt an. Die Legenden begleiteten die Menschen entlang der Heiligenfeste durchs Kirchenjahr. Dieses gab dann auch die Reihenfolge in der wirkmächtigsten Legendensammlung vor, der «Legenda aurea» von Jacobus von Voragine aus dem 13. Jahrhundert.

Sie ist auch für die Kunstgeschichte zentral, weil sich hier die Szenen finden, die viele Jahrhunderte lang und bis heute in der christlichen Kunst dargestellt werden. Die Ausstellung zeigt die Vielfalt der Legenden und ist nach den Themenkreisen Jugend, Umkehrerlebnisse, Jungfräulichkeit und Körper, Wundertätigkeit, Visionen und Todesschilderungen gruppiert.

Reich bebilderter Ausstellungskatalog und Legenden-Lesebuch

Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog. Er enthält eine Einleitung von Gabriela Signori, Professorin für die Geschichte des Mittelalters in Konstanz. Signori geht der Frage nach, wie die Legendensammlungen im Kloster St.Gallen konkret gebraucht wurden. Cornel Dora, Eva Dietrich und Ruth Wiederkehr führen anschliessend ein in die Welt der Legenden und stellen interessante Beispiele mit verschiedenen Ausprägungen und Episoden vor.

Die St.Galler Grafikerin Elena Kaeser hat für Ausstellung und Katalog sechs Linoldrucke geschaffen. Eva Dietrich wendet sich schliesslich in einer Ergänzung der heiligen Euphemia zu, die in einem der Konzilsbilder an der Decke der Stiftsbibliothek dargestellt ist. Angefügt ist ein Legenden-Lesebuch, mit besonders aussagekräftigen Kapiteln aus den Heiligengeschichten. Verschiedene der Texte gehören zur Weltliteratur, und alle sind in der Stiftsbibliothek in guten Überlieferungen vorhanden.

pd/jos
Demnächst