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Kommentar
Stadt St.Gallen
24.09.2024
24.09.2024 13:45 Uhr

Stimmenzähl-Debakel: Wo war der Stadtrat?

Glänzte durch Abwesenheit: Stadtpräsidentin Maria Pappa
Glänzte durch Abwesenheit: Stadtpräsidentin Maria Pappa Bild: Gian Kaufmann
Niemand vom Stadtrat übernimmt Verantwortung und entschuldigt sich bei Wählern und Parteien für den Fehler, den das Stimmbüro am Wahlwochenende verursacht hat. Das ist nicht nur befremdlich, sondern politisch unklug.

Montagabend, 24. September, Rathaus: Die Stadt St.Gallen hatte zur Meidenkonferenz geladen, an der eine «Korrektur» der Ergebnisse der Erneuerungswahlen 2024 des Stadtparlaments bekannt gegeben werden sollte.

Der Konferenzraum im 12. Stock war voller Journalisten, die sich alle zuerst einmal die Augen rieben: Anwesend waren «nur» Andreas Vögeli, Präsident des Stimmbüros, Noëmi Huber, Sekretärin des Stimmbüros, und Kommunikationschef Andreas Nagel. 

Der Stadtrat glänzte durch Abwesenheit; wahrscheinlich hatte er montags um sechs Besseres zu tun, als sich bei Wählern und Parteien zu entschuldigen.

Wir rekapitulieren: Das Stimmbüro der Stadt St.Gallen beging am Sonntagnachmittag einen kapitalen Fehler; bei der manuellen Erfassung der FDP-Wahlzettel wurden 2507 unveränderte FDP-Wahlzettel statt der korrekten 1170 ins System eingetragen – eine Differenz von 1337 Listen, die auf 84231 Stimmen hochgerechnet werden können, nimmt man bei vollen Listen jeweils 63 Namen.

Die FDP wurde zur Wahlsiegerin erklärt, das Stadtparlament dadurch eingemittet. Medien schweizweit berichteten darüber – auch wir. Schliesslich darf man den offiziellen Zahlen der Stadt Glauben schenken ...

Doch es kam anders – die Liberalen waren nicht die Gewinner (plus vier Sitze), sondern die Verlierer (minus ein Sitz) der Wahlen.

Die SVP gewinnt zwei, die Mitte einen Sitz, GLP und Grüne verlieren je einen. Das ist nicht nur ein kleiner Ausrutscher, sondern ein gravierender Fehler, der spätestens am Sonntag hätte auffallen müssen.

Dass dies erst am Montag korrigiert wurde, lässt an der Professionalität der Verantwortlichen zweifeln.

Zwar entschuldigte sich Andreas Vögeli bei der Pressekonferenz am Montag zerknirscht für diesen Fehler, doch es stellt sich die Frage: Wo war der Stadtrat? Es wäre angebracht (und nötig!) gewesen, dass Stadtpräsidentin Maria Pappa, die selbst am Sonntag mit bestem Resultat wiedergewählt wurde, öffentlich Verantwortung übernommen und sich bei den Wählern und Parteien entschuldigt hätte. 

Denn der Vertrauensverlust in das politische System und die Stadt, den diese Panne verursacht, ist erheblich. Eine persönliche Entschuldigung wäre nicht nur von den Medienvertretern, sondern vor allem auch von den Stimmbürgern und Parteien begrüsst worden. Sie hätte gezeigt: Wir stehen zu unseren Fehlern, gehen über die Bücher und geloben Besserung.

Denn der Fehler hat auch eine politische Dimension. 

Dass die Stadt St.Gallen in der gesamten Schweiz durch dieses Fiasko wahrgenommen wird, wirft kein gutes Licht auf die Verwaltung. Mehr noch: Die Vorstellung, dass solche Fehler auch in anderen Bereichen der Stadtverwaltung geschehen könnten, lässt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Behörden aufkommen. 

Wer soll noch Vertrauen in die administrativen Prozesse haben, wenn über 80'000 Stimmen zu viel registriert werden, das keinem Beamten auffällt (auch nicht den zwei (!) Stimmenzählern, welche die falschen Zahlen eingegeben und bestätigt haben) und niemand aus dem Stadtrat bereit ist, Verantwortung zu übernehmen?

Wie sieht es mit den Steuern aus, den Abschlüssen – sind die jeweils korrekt berechnet worden oder gab es da auch «menschliches Versagen», das niemandem aufgefallen ist? Oder gar bei den Stadtratswahlen?

Die Einführung eines Acht-Augen-Prinzips zur Vermeidung zukünftiger Fehler ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, doch das Vertrauen, das durch diese Wahlpanne verloren ging, wird nicht so einfach wiederhergestellt.

Wer an einem solch wichtigen Tag solch gravierende Fehler zulässt, muss sich selbst hinterfragen, und zwar nicht nur der Verantwortliche des Stimmbüros, Andreas Vögeli, sondern auch der Stadtrat.

Denn letztlich trägt er eine politische Verantwortung für das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen und administrativen Prozesse der Stadt.

Stephan Ziegler, stgallen24.ch
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