Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
20.09.2024
19.09.2024 09:33 Uhr

«Inklusion sollte selbstverständlich sein»

Vorne (v.l.n.r.): Michel Lanker (Mitarbeiter Job- und Lehrstellenportal), Celina Heiniger (Programmmitarbeiterin & Kommunikation), Julie Cartwright (Projektleiterin Peer-Programme). Hinten: Janine Sennhauser (Programmmitarbeiterin & Kommunikation), Simon Müller (Co-Geschäftsführer).
Vorne (v.l.n.r.): Michel Lanker (Mitarbeiter Job- und Lehrstellenportal), Celina Heiniger (Programmmitarbeiterin & Kommunikation), Julie Cartwright (Projektleiterin Peer-Programme). Hinten: Janine Sennhauser (Programmmitarbeiterin & Kommunikation), Simon Müller (Co-Geschäftsführer). Bild: Jonas Schönenberger
Seit 20 Jahren hilft die Stiftung MyHandicap aus St.Gallen mit ihrem Portal EnableMe Menschen mit Behinderungen und Krankheiten, sich zu informieren, zu vernetzen und berufliche Perspektiven wahrzunehmen. Co-Geschäftsführer Simon Müller über die Anfänge, die Ziele und eine mögliche Zukunft der Stiftung.

Die Entstehungsgeschichte der Stiftung MyHandicap ist eine emotionale. Joachim Schoss, ein junger, erfolgreicher Unternehmer, gründete Ende der 90er-Jahre den Online-Marktplatz Scout24. Als er 2002 auf einer Töfftour in Südafrika unterwegs war, geschah das Unglück. Ein betrunkener Autofahrer rammte sein Motorrad, Schoss verunfallte schwer. Er kam knapp mit dem Leben davon, verlor aber einen Arm und ein Bein.

Pro Monat wird 30'000 Menschen geholfen

Daraufhin änderte sich sein Leben schlagartig. Beruflich musste Schoss kürzertreten. Was ihm jedoch besonders Schwierigkeiten bereitete war, dass es damals für Betroffene kaum eine Möglichkeit gab, sich selbstständig über ihr Handicap zu informieren, geschweige denn sich mit Personen, die dasselbe Schicksal teilen, auszutauschen. Schoss nutzte sein Know-how in Online-Marktplätzen und gründete so die Stiftung MyHandicap, heute ist er ihr Stiftungsratspräsident.

Heute betreibt die Stiftung unter dem Namen EnableMe das grösste Portal für Menschen mit Behinderungen und Krankheiten in der gesamten Schweiz. «Pro Jahr besuchen über eine Million Menschen unser Portal. So helfen wir pro Monat jeweils rund 30'000 Menschen», erklärt Simon Müller, Co-Geschäftsführer der Stiftung MyHandicap.

Informieren und austauschen

EnableMe bietet drei verschiedene Arten von Services. Das eine sind die Grundlagenartikel, in denen Leser Informationen über ihre Behinderung finden und was sie für ihren Alltag bedeutet. Zu einigen Grundlagenartikel gibt es zusätzliche Artikel, in welchen betroffene Personen von ihren eigenen Erfahrungen berichten.

Zudem gibt es anschliessend die Möglichkeit, sich zu vernetzen. «Es gibt unser Forum, in welchen man sich ganz unverbindlich austauschen kann», erklärt Müller. «Dazu gibt es die Möglichkeit, an Peer-Programmen teilzunehmen oder sich von Fachpersonen beraten zu lassen.»

EnableMe informiert und will die Möglichkeit zum Austausch bieten. Bild: Pexels/SHVETS production

Neue berufliche Perspektiven wahrnehmen

Schliesslich unterstützt EnableMe auch Menschen bei der Job- und Lehrstellensuche. «Wir begleiten auch die Unternehmen selber, die auf Diversität und Inklusion setzen wollen und stehen beratend zur Seite», führt Müller aus. «Unser Ziel ist eine gelebte und selbstverständliche Inklusion.»

Denn während 15 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Behinderung haben, ist sie bei 86 Prozent nicht sichtbar. «Deshalb wäre es wichtig, dass wir eine offene Kultur haben und diese Themen ohne Stigmatisierung behandeln können», wünscht sich Müller.

Positive Grundstimmung aufrechterhalten

Das Spektrum der Handicaps, die Betroffene besitzen, welche von EnableMe profitieren, ist breit gefächert. «Wir bieten Services für zahlreiche Behinderungen und Krankheiten, von Prothesen bis Krebserkrankungen», berichtet Müller. «Das Interessante ist, dass die Art der Behinderung im gegenseitigen Austausch selten eine grosse Rolle spielt. Es stehen vielmehr Themen im Vordergrund, die den Alltag aller betreffen.»

Es gebe jedoch auch Schwierigkeiten, wenn man so viele Leute gleichzeitig ansprechen wolle. «Nicht jeder mit einer Behinderung fühlt sich in gleichem Ausmass betroffen», sagt Simon Müller, der selbst Prothesenträger ist. Deswegen sei die Grundstimmung, in welcher Informationen vermittelt werden, entscheidend. «Wir wollen rund um das Thema Behinderung Perspektiven aufzeigen», so Müller.

Seit einigen Jahren ist die Stiftung MyHandicap unter dem Namen EnableMe auch im Ausland tätig. In Deutschland, Uganda, Kenia, Marokko und der Ukraine bietet die Stiftung lokalen Partnern die Portaltechnologie an und arbeitet eng mit diesen zusammen. «Die Expansion ins Ausland war für uns ein Meilenstein», sagt Simon Müller stolz.

Eine positive Grundstimmung aufrechtzuerhalten, ist EnableMe sehr wichtig. Bild: Pexels/SHVETS production

Glück auf beiden Seiten

Müller ist seit 12 Jahren bei der Stiftung engagiert und hat viele Programme initiiert. Ein einzelnes Highlight herauszupicken, sei schwierig. «Wir konnten schon so vielen Menschen helfen. Im Bereich der beruflichen Integration ist es immer schön, wenn Leute über uns eine Stelle finden und so eine neue Perspektive erhalten. Auf der anderen Seite gibt es auch Unternehmen, die sich aufgrund von Fachkräftemangel unbedingt Personal brauchten und bei uns fündig wurden. Das ist auch immer sehr erfüllend.»

Und auch eine kleine Anekdote fügt Müller hinzu: «Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Menschen bei uns kennengerlernt, sich ineinander verliebt und schliesslich sogar geheiratet haben.»

Finanzierung durch Spenden ausbauen

Ihr 20-jähriges Bestehen feiert die Stiftung MyHandicap mit einer privaten Feier, zu welcher die Wegbegleiter eingeladen sind. Das Jubiläum nimmt die Stiftung als Anlass, um die Finanzierung weiterzuentwickeln. Bisher finanzierte man sich zu einem grossen Teil durch Förderstiftungen und die Begleitung von Unternehmen.

Nun will man stärker auf private Spenden setzen, wie Simon Müller erklärt: «Wir sind eine gemeinnützige Stiftung und auf Spenden angewiesen, um Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Krankheiten weiterhin kostenlos zu unterstützen.»

Auch möchte man in Zukunft den Miteinbezug von Menschen mit Handicap fördern. «Wir möchten ein Unternehmensnetzwerk in der Ostschweiz aufbauen, das den gegenseitigen Austausch ermöglicht. Sodass wir nicht nur über die Zielgruppe sprechen, sondern mit ihr.»

Mehr zur Stiftung MyHandicap und dem Portal EnableMe gibt es auf der Webseite unter diesem Link.

Jonas Schönenberger