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Stadt St.Gallen
31.05.2024

Long-Covid-Erkrankte schrieb Lobgesang auf Wiborada

Eveline Strübi, Autorin des Wiborada-Hymnus
Eveline Strübi, Autorin des Wiborada-Hymnus Bild: zVg
Mehr als 1'000 Personen haben die drei Frauen und zwei Männer besucht, die im Mai für jeweils eine Woche als sogenannte Inklusen in der nachgebauten Wiborada-Zelle bei St.Mangen lebten. Die Organisatoren ziehen angesichts der entstandenen Initiativen ein positives Fazit. So entstand zum Beispiel ein Wiborada-Hymnus, geschrieben von der an Long-Covid-Erkrankten Eveline Strübi.

Rechtzeitig zum Abschluss des Wiborada-Projekts 2024 ist ein zeitgenössischer Hymnus, ein Lobgesang auf Wiborada, auf YouTube erschienen. Der schlichte elfstrophige Gesang im gregorianischen Stil besticht durch die klare Stimme von Bettina Kugler, Kultur-Redaktorin beim St.Galler Tagblatt und Kantorin in der Kathedrale St.Gallen, sowie durch Orgel-Improvisationen von Domorganist Christoph Schönfelder.

Kraft in der Krankheit

Der Text stammt von Eveline Strübi, die seit ihrer Long Covid Erkrankung im 2022 selbst eine Form von Inklusinnen-Leben, zurückgezogen von der Welt, erlebt. «Einen Hymnus zu schreiben über eine so starke, weise, mutige und tief gläubige Frau, war ein grosses Geschenk», sagt sie dazu.

Strübi postet auf Instagram unter dem Namen «lebenamnullpunkt» über ihre Krankheit und das, was ihr Kraft gibt: So habe sie selbst einmal eine Woche in der Wiborada-Zelle verbracht. «Der Rückzug ins stille Gebet, das Fenster zur Aussenwelt mit all den bunten und berührenden Begegnungen und das gemeinschaftliche Stadtgebet abends, das ich durch das Fenster zur Kirche hin mitbeten durfte, dieser Dreiklang brachte mein Herz damals zur inneren Ruhe.» Bis heute trage sie diese Erfahrung in ihrer Krankheit, die sie täglich neu in Demut und Verzicht herausfordere.

Schulklassen übten, «einfach mal nichts» zu tun

Neben zehn Gruppen besuchten auch 20 Schulklassen im Jahr 2024 die nachgebaute Wiborada-Zelle und sprachen mit der jeweils eingeschlossenen Person. Monika Terzer, die die Schulführungen organisiert hatte, zeigt sich begeistert über das Interesse der Schüler.

«Eine Schulklasse, die von der Lehrerin als besonders lebhaft beschrieben wurde, fand ich nach der Schulführung in der St.Mangenkirche ruhig sitzend. Auf meine Frage, was sie denn gerade tun würden, antworteten sie, dass ihnen der Inkluse Hansruedi Felix erklärt hatte, dass er es am meisten geniesse, in der Zelle «nichts» zu tun. Das wollten sie nun auch ausprobieren», schmunzelt Terzer.

Eine Schulklasse in der St.Mangenkirche übte sich darin, einfach mal nichts zu tun. Bild: zVg

HSG-Studenten suchten Stille und stiessen auf Wiborada

Dass Schulklassen von Wiborada erfahren, ist – angestossen durch das Wiborada-Prjekt – ein relativ neues Phänomen. «Im Gymnasium habe ich gelernt, wer Gallus und Vadian sind, aber von Wiborada nie etwas gehört», sagt etwa Lea Vannini, Studentin an der HSG im Studiengang «Management, Organisation und Kultur». Mit zwei Mitstudentinnen machte sie sich im Frühlingssemester 2024 auf die Suche nach der Stille – und stiess dabei auf Wiborada von St.Gallen.

«Mit unserem kreativen Projekt wollten wir einerseits die positiven wie negativen Auswirkungen von Stille bei jungen Leuten aufzeigen und andererseits die Geschichte der Wiborada von St.Gallen beleuchten, bei der es sowohl die stillen Momente als auch die Momente der Begegnung gab», erklärt sie.

Das Semesterprojekt fand seinen Abschluss mit einer Theatervorstellung in der Lagerhalle des HSG-Square, bei dem ein Garderobengestell zum offenen Wiborada-Fenster umfunktioniert wurde. «Wir nutzten die Dunkelheit, um den Smartphone-Entzug und die Ruhe symbolisch darzustellen», so Lea Vannini. Wünsche der Studenten sammelten sie in einem Tagebuch und überreichten sie an Judith Bischof (Inklusin im Jahr 2024) und Kathrin Bolt (Inklusin im Jahr 2022).

Gabriel Imhof (rechts) und das Fadegrad-Podcast-Team besuchten Inklusin Judith Bischof am offenen Zellenfenster. Bild: Fadegrad-Podcast

Gabriel Imhof genoss Zeit ohne Smartphone

Apropos Smartphone-Entzug: Die Zeit ohne sein Handy hat der bisher jüngste Wiborada-Inkluse, der 32-jährige Gabriel Imhof, «total genossen»: «Anstelle von Social Media konnte ich das Fenster der Zelle aufmachen und mich auf reale Begegnungen mit Menschen einlassen», erzählt der Religionspädagogik-Student und Gastgeber des «Fadegrad»-Podcasts.

Besonders eindrücklich habe er es erlebt, eine Woche in einer Art Tiny House zu verbringen, dessen Boden, Decke und Wände ausschliesslich aus Holz sind. «Es fühlte sich an, wie in einem Baum zu leben.» Die einzige Bewegung sei von der Flamme einer Kerze und ihm selbst ausgegangen. «Zurück aus der Zelle habe ich gemerkt, wie voll mein Alltag ist und wie das, was mich innerlich bewegt, angesichts der vielen Eindrücke gar nicht zum Tragen kommt», so Imhof.

Philippa Rath bezeichnet Wiborada als Schweizer Prophetin. Bild: Elke Larcher

Wiborada, die «Schweizer Prophetin»

Als «starke und unüberhörbare Stimme» angesichts einer reizüberfluteten und entwurzelten Gesellschaft sowie als «Schweizer Prophetin» bezeichnete Philippa Rath die Heilige Wiborada kürzlich bei ihrer Wiborada-Rede in der St.Galler Stiftsbibliothek. In ihrer Rede zeichnete sie das Bild einer starken, selbstständigen und selbstbewussten Frau, die sich durch Furchtlosigkeit, Klugheit und Weitsicht auszeichnete und damit prophetische Qualitäten habe.

Denn, so Rath: «Propheten sind Menschen, die ansagen, was die Stunde geschlagen hat. Die die Zeichen der Zeit erkennen, statt dem Zeitgeist zu folgen, die ihre Mitmenschen aufklären, ermahnen und zur Umkehr rufen.» Wiborada zeige, dass weder Konsum noch Leistung, Erfolg oder Macht auf Dauer befriedigen können, sondern die Suche nach dem Ursprung des Seins.

pd/jos
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