Text: Philipp Landmark
Am 28. Februar dieses Jahres verkündete der Bundesrat, dass Veranstaltungen mit 1000 und mehr Personen nicht mehr zulässig seien. «Damit war unser Geschäft weg», sagt Christine Bolt, seit Juni die neue Direktorin der Genossenschaft Olma Messen St.Gallen. «Unser Business ist Masse.»
Dass kurz darauf sogar Veranstaltungen über 50 Personen den Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zum Opfer fallen sollten, war für das grösste Event-Unternehmen der Ostschweiz nur noch eine Randnotiz.
Rund 800 000 Menschen finden in einem normalen Jahr an Kongressen, Messen, Firmenanlässen oder Kultur-Events den Weg ins Olma-Gelände. Dieses Jahr war nach den beiden Messen Tier & Technik und Grenzenlos Schluss.
Keine Refinanzierung
Praktisch alle Kosten für die nächsten Highlights wie die Offa und die Immomesse waren dann schon angefallen, «nur der Event selbst fand nicht statt, es gab keine Refinanzierung», sagt Bolt. Von jährlich rund 120 grossen und kleineren Veranstaltungen auf dem Olma-Gelände werden 2020 mindestens 80 ausfallen.
Die Corona-Krise trifft das Unternehmen empfindlich, wie Christine Bolt prognostiziert: «Wir rechnen damit, dass wir dieses Jahr etwa 80 Prozent des Umsatzes nicht realisieren können.» Zwar haben die neuen Vorgaben den Olma Messen auch eine Handvoll neue Anlässe beschert, Hochschulprüfungen und Sessionen des St.Galler Kantonsrates etwa, bei denen es vor allem darum ging, korrekte Abstände zwischen den Teilnehmern zu gewährleisten. «Natürlich sind wir froh um diese kleinen Einnahmen, aber diese mögen die Ausfälle im Veranstaltungsgeschäft bei Weitem nicht zu kompensieren.», sagt Christine Bolt. «Es ging uns auch darum, den Leuten etwas zurückzugeben und das stattfinden zu lassen, was überhaupt stattfinden kann, das Gelände zu beleben und Schadensbegrenzung zu betreiben.»
Als Chance nutzen
Wer Christine Bolt kennt, weiss, dass sie eine ihrer wichtigsten Management-Weisheiten beim St.Galler Musiker Manuel Stahlberger entlehnt hat, und deshalb gilt nun auch in dieser tief greifenden Krise für die Olma: «Jede Scheiss isch e Chance».
Wenn die Corona-Beschränkungen aufgehoben werden und sich die Lage wieder normalisiert, will Bolt nicht einfach nur «parat sein». Sie hat konkrete Ziele formuliert: «Die Angestellten sind motiviert, all die guten Mitarbeiter sind noch an Bord, wir haben etwas gelernt, wir haben uns bewegt.»
Die Olma-Geschäftsleitung hat nicht einfach möglichst viele Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt, obwohl das rasch etwas Geld in die Kasse gespült hätte. «Wenn die Leute zu Hause sitzen, können sie nicht akquirieren und planen für die kommenden Jahre», sagt Bolt. «Wir haben uns gesagt, wir riskieren lieber, dass wir Arbeit machen, die wir vielleicht nicht refinanzieren können, als dass wir nichts tun. Alles, was in die Zukunft einzahlt, lassen wir laufen.»
Gemeint ist damit die Planung von eigenen Messen mit der Akquisition von Ausstellern wie auch die Organisation von Drittanlässen. Hier hat sich die Genossenschaft Olma Messen mit der Gründung von Volt Events gerade einiges vorgenommen. Diese neue Agentur unter dem Dach von Olma Congress Events soll Business-Kunden bei der Planung und Organisation von Anlässen auch ausserhalb der Olma-Infrastruktur Hilfestellung bieten, wie Ralph Engel, Abteilungsleiter Olma Congress Events erläutert. Grössere Firmen-Events wie Jubiläen haben schnell einmal eine Vorlaufszeit von ein bis zwei Jahren, deshalb läuft Volt Events im Sinne einer Investition in die Zukunft auf Hochbetrieb.
Konzepte adaptieren
Für den Bereich Publikumsmessen bedeuteten die Corona-Massnahmen erst einmal eine Vollbremsung, «ein Totalausfall», wie Abteilungsleiterin Katrin Meyerhans sagt. Daher ist auch der Olma-Betriebsdienst mit den Leuten, die Messen und Veranstaltungen auf- und abbauen, jene Abteilung mit dem grössten Anteil an Kurzarbeit.
«Dieses Jahr wurden wir vor vollendete Tatsachen gestellt, wir hatten gar keine Zeit, uns darauf einzustellen», sagt Meyerhans. «Für Messen im nächsten Jahr haben wir nun einen Vorlauf, um Konzepte zu adaptieren, wir können unter klareren Bedingungen mit den Ausstellern reden. Einfach wird es deshalb nicht.»
Einfach wird es nicht, aber immerhin werden die Olma Messen Erfahrungen gesammelt haben, wenn im nächsten Jahr die grossen Flaggschiffe Offa und Olma unter allfälligen Auflagen wieder in See stechen dürfen. «Jetzt müssen wir klären: Mit welchen Schutzmassnahen können wir trotzdem noch das Eine oder andere machen?», sagt Ralph Engel. Diese Klärung erfolgt nicht mit theoretischen Erwägungen: Da die Genossenschaft Olma Messen sich nicht Nichtstun verordnen wollte, hat sie kurzerhand alternative Events erfunden.
Camper statt Säulirennen
Bereits in Betrieb ist das rasch und pragmatisch umgesetzte Olma-Camping, vor der vom Säulirennen her bekannten Arena kann bis zu 14 Wohnmobilen ein Stellplatz angeboten werden. Strom, Wasser und Toiletten sind vorhanden. «Ein Camper zahlt gut 30 Franken pro Nacht, man kann sich ausrechnen, dass wir damit nicht reich werden», betont Ralph Engel, «es geht darum, die Flächen zu nutzen und den Leuten etwas zurückzugeben.»
Auf neues Terrain wagte sich die Olma mit der Jakob Live Session vor: An vier Wochenenden zwischen 7. und 29. August wird in der Halle 9.1 ein kleines, feines Festival mit Acts wie Marius Bear, Stefanie Heinzmann oder Marc Sway auf die Beine gestellt. Jakob, benannt nach dem Stadtquartier St.Jakob, hätte die Olma gerne mit Partnern aus der Eventbranche organisiert, doch die liessen aufgrund des Risikos lieber die Finger davon. Tatsächlich war bis zuletzt unklar, ob und wie das Festival stattfinden kann. Klar war aber, dass das umfangreiche Corona-Schutzkonzept angewandt wird, so wurden etwa die Besucher während der Konzerte wie auch in den Pausen in getrennte Sektoren aufgeteilt. Besucher mussten sich registrieren, die Olma musste umfangreiche Hygienemassnahmen anbieten. «Das ist sehr aufwendig, und das schreckt auch viele Veranstalter ab», sagt Ralph Engel.
Nicht ob, sondern wie
«Auch wir haben natürlich eine Risiko-Abwägung gemacht», ergänzt Christine Bolt. «Die sicherste Variante wäre, gar nichts zu machen, bevor wir nicht genau wissen, was möglich ist – und so viele Leute wie möglich in Kurzarbeit schicken. So verliert man kein Geld und spart vermutlich am meisten.» Das war aber nicht im Sinn der Olma: «Wir wollen zukunftsfähig bleiben.» Denn 2021 sollen wenn es irgendwie geht alle Anlässe wieder durchgeführt werden. «Wir wollen dann nicht darüber diskutieren, ob es Olma, Offa oder Tier & Technik gibt, sondern wie wir es machen können.»
Die wenigen Anlässe, die jetzt auf dem Gelände stattfinden, sollen dem 85-köpfigen Olma-Team auch Übung im Umsetzen von Schutzkonzepten geben. «Wir sehen, was funktioniert und was nicht, wir kommen vielleicht auf neue Ideen.» Das sei, erklärt Bolt, auch eine Investition in die Aussicht, dass es in den nächsten zwei, drei Jahren weiterhin Schutzmassnahmen geben wird. «Diese Erfahrung wird künftig auch ein Marktvorteil sein», ist Ralph Engel überzeugt, «Schutzkonzepte brauchen alle.»
Ein wichtiges Übungsfeld dafür wird «Pätch» sein. Der Name ist von Patchwork abgeleitet, der Anlass wurde als kleine Alternative für die abgesagte Olma entwickelt. An zwei Wochenenden (9. bis 11. und 16. bis 18. Oktober) gibt es gemäss Vorankündigung «Raclette, Rüstmesser, Riesenrad». Zugelassen werden nach dem Schutzkonzept voraussichtlich maximal 5000 Besucher pro Tag, die sich auch registrieren müssen.
«Die Erfahrung, eine Messe abzusagen, hatte von uns so noch niemand gemacht, das muss man erst einmal verarbeiten», sagt Katrin Meyerhans. Deshalb habe die Ausschreibung von Pätch auch nach Innen grosse Resonanz gehabt: «Das hat einen Mega-Motivationsschub bei den Leuten, die an diesem Projekt arbeiten, ausgelöst.» Auch die Aussteller sind offensichtlich dankbar um diesen Anlass: Zwei Wochen nach der Ankündigung hatten sich bereits 100 Aussteller angemeldet, das Ziel sind 150 Aussteller.
Die neue Olma-Direktorin möchte mit Pätch «Lebensfreude zurückgeben», aber auch die Wirtschaft ankurbeln. «Da haben wir auch eine Verantwortung gegenüber dem Standort Ostschweiz», sagt Bolt, und verweist auf Berechnungen, wonach die Umweg-Rentabilität von Messen und Veranstaltungen im Olma-Areal jährlich etwa 150 bis 250 Millionen Franken Wertschöpfung in der Region auslösen. «Wir sind der Motor, und der Motor muss am Laufen bleiben.»
Auf olma-messen.ch finden sich Links zum Schutzkonzept, zu Pätch oder zur neuen Halle 1. Mehr Angaben zum Festival Jakob finden sich auf https://www.voltevents.ch/jakob-live-session