Wer in der Badi Rotmonten, im Familienbad Dreillinden oder im Lerchenfeld an den heissen Sommertagen eine Abkühlung sucht, muss einige Verhaltensregeln beachten, um andere Badegäste nicht zu stören oder zu gefährden. Alle Badis kennen ausserdem ein Bekleidungsreglement – das vor allem Frauen betrifft.
Kantönligeist beim Bekleidungsreglement
Gebadet wird in St.Gallen ausschliesslich mit ordentlicher – sprich handelsüblicher – Badebekleidung und ohne Unterwäsche. Männer tauchen also mit einem Badehosenunterteil und nackter Brust ab, bei Frauen sind blutte Brüste im Wasser tabu. Das schreibt die Badeordnung der städtischen Anlagen vor.
Die Verfügungen in anderen öffentlichen Badeanstalten im Land sind bei diesem Punkt etwas vage. Vielerorts ist oben ohne zu baden für Frauen weder explizit verboten noch erlaubt, so beispielsweise in Luzern oder Basel. Eine schweizweite Regelung gibt es dafür nicht.
Jetzt zeigt Zürich, wie rasch sich das Bekleidungsreglement ändern kann. Sandra Bienek (GLP) und drei weitere Parlamentarierinnen hakten beim Stadtrat nach, wie es um genderneutrale Bekleidungsregeln stehe. Die Politiker folgten den Beispielen von Berlin und Hannover und erklärte ausdrücklich, dass das Baden mit nacktem Oberkörper allen erlaubt sei. Zuvor hat man im Reglement davon abgesehen, um das «sittliche Empfinden» anderer Gäste nicht zu verletzen.
In der Gallusstadt sei noch nie der Anstoss gekommen, etwas an der bestehenden Situation zu verändern. «Wir haben bezüglich der Bekleidungsvorschriften keine Inputs oder gar Reklamationen erhalten», sagt Andreas Horlacher, Leiter der Dienststelle Bildung und Freizeit, gegenüber stgallen24.
In St.Gallen fehlt das Bedürfnis
Besteht bei Frauen überhaupt das Bedürfnis, oben ohne zu baden? Den Verantwortlichen ist lediglich ein Fall bekannt, bei dem sich eine Frau zu dem Thema erkundigte. Im Gespräch konnte eine einvernehmliche Lösung gefunden werden.
Diese Lösung war der Frauenbereich im Familienbad Dreilinden gewesen. Es ist der einzige Ort aller städtischen Betriebe, wo der weiblichen Oberweite die gefragten Freiheiten gelassen werden. Dort ist nebst dem – in allen Freibändern erlaubten – Oben-Ohne-Sonnenbaden am Liegeplatz auch der Schwumm mit nackter Brust möglich. «Dieses Angebot wird seit vielen Jahren genutzt», weiss Horlacher.
Das Oben-Ohne-Baden befindet sich im Aufwärtstrend. Wird es aber im Freibad praktiziert, spricht das Anlagenpersonal die Person darauf an. In St.Gallen «gab und gibt es keine Beschwerden» zu einer unerwünschten Wassersportlerin mit entblösstem Busen. Die Hausordnung funktioniert bis anhin also gut. Aber die Stadt St.Gallen beschäftigt sich mit einer allfälligen Anpassung der Badeordnung: «Wir sehen uns zeitlich nicht unter Druck, denn das Bedürfnis ist kaum vorhanden.»
Auch nach Erlaubnis bräuchte es Mut
Unter den Gästen bei den Drei Weieren herrscht derselbe Grundtenor. «Ich habe absolut kein Problem damit, wenn es andere machen», sagt eine junge Frau. «Jede Person hat selbst zu entscheiden, was sie von sich zeigen will. Deshalb sehe ich ein Verbot eher kritisch an.» Auch eine 42-jährige Besucherin zeigt sich offen: «Ich bin nicht der Typ dafür, weil ich wachsam Ausschau halten müsste, ob nicht jemand mich filmt oder blöd schaut. Aber ich verstehe andere, wenn sie sich diese Freiheit nehmen.»
Die Zurückhaltung gegenüber dem Oben-Ohne-Baden ist spürbar. Brüste sind sekundäre Geschlechtsmerkmale, genauso wie Bart und Adamsapfel. Im Gegensatz dazu wird der Busen jedoch als sexualisiertes Körperteil angesehen, sodass Unsicherheit aufkommt: Es könnten Videos von der nackten Brust entstehen oder anzügliche Gedanken bei Männern auslösen.
Vor etwas über vierzig Jahren hat das einmal anders ausgesehen. «Eine Zeit lang war das Baden mit ‘blutter’ Brust gang und gäbe – ich habe das auch gemacht im jungen Alter», erzählt eine 78-jährige Touristin aus Thun. Das sei für sie am Fluss zu Hause oder in Schweden gewesen, als ihre Kinder noch klein gewesen waren. Es störe sie auch heute nicht, wenn es andere machen. «Ich bin aus einer Generation, wo man das bereits erlebt hat.»
Die Seniorin äussert aus einem anderen Grund Bedenken, das Oberteil fallen zu lassen. «Mit den extremen Temperaturen und Wetterverhältnissen ist das nicht gesund. Ich denke, die Brüste sind ein sensibler Bereich.» Wenn man sich da «rösten lasse», bekomme man die Folgen später zu spüren. Sie selbst badet heute nicht mehr oben ohne. «Mit dem Alter würde das nicht mehr schön aussehen», schmunzelt die Thunerin.
Selbst wenn das Bedürfnis bei einer Frau besteht, getrauen sich viele nur in den Ferien, oben ohne zu baden und sehen in der heimischen Stadt davon ab. Die nötige Überzeugung fänden sie im Kollektiv, wenn es so gängig wäre wie in den 1980-er Jahren, als entblösste weibliche Brüste nicht mehr von Amtes wegen verfolgt und Freibäder zu «oben ohne»-Mekkas wurden.