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Stadt St.Gallen
03.02.2023
04.02.2023 15:48 Uhr

Auch St.Gallen sollte eine deutsche Kriegsgräberstätte bekommen (Teil 2)

So hätte das Nazi-Denkmal aussehen sollen
So hätte das Nazi-Denkmal aussehen sollen Bild: Zeichnung Ernst Ziegler
Im zweiten Teil unseres Beitrags über ein geplantes Kriegerdenkmal in St.Gallen zeigt der ehemalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler, wie die Nationalsozialisten auf Druck der St.Galler Öffentlichkeit das Baugesuch für ihre Gedenkstätte zurückzogen.

SRF berichtete neulich, dass in Chur seit Jahrzehnten unbemerkt ein «Nazi-Denkmal» stehe. Das Monument befindet sich seit 1938 auf dem Friedhof Daleu mitten in der Bündner Hauptstadt. Der damalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler beschrieb am 24. und 25. Juli 1974 in der Tageszeitung «Die Ostschweiz», wie auch St.Gallen fast in den «Genuss» eines solchen Denkmals gekommen wäre – wenn sich Gesellschaft und Politik nicht heftig dagegen gewehrt hätten. Wir bringen seinen Beitrag ebenfalls in zwei Teilen; den ersten Teil finden Sie hier.

Am darauffolgenden Tag stand unter der Überschrift «Man muss ironisch werden!»: «Unsere Baubehörden, liest man, sind einstweilen mit der Prüfung des Gesuchs – nein – der Pläne beschäftigt. Hoffentlich werden wir uns nicht lumpen lassen und auf irgendwelchem Weg (schön wäre eine st.gallische Volksspende) den lieben und bescheidenen Freunden aus dem Norden Grund und Boden zur Verfügung stellen. Wer weiss, bei der wohlbekannten Gesinnung in Bern liesse sich vielleicht auch ein Beitrag aus dem eidgenössischen Fonds für Arbeitsbeschaffung erhoffen. – Ein erfreuliches und völkerverbindendes Projekt … – Sollten Gruppen von kleindenkenden Meckerern unter dem Vorwand, von der servilen Haltung dem Deutschen Reich gegenüber angeekelt zu sein, endgültig nach links hinüberschwenken, so lasse man solche Leute ruhig gehen. Das Opfer ist zu ertragen angesichts der edlen Absicht unserer Freunde von ennet dem Rhein und der Ehre, die sie uns erweisen. Mit geschwellten Hoffnungen in der eidgenössischen Brust erwarten wir einen günstigen Entscheid. Heil!»

Sachlicher forderte «Die Ostschweiz» eine Ablehnung des Gesuchs

«Die ganze Stadt St.Gallen erwartet geschlossen, dass die Stellungnahme unseres Regierungsrates und der zuständigen Departemente in Bern eine eindeutig ablehnende sei und dass es auch nicht zu einer Kompromisslösung kommen darf. Mit der Stadt erklärt sich die ganze Ostschweiz, ja die ganze Schweiz solidarisch, um diesen deutschen ,Propagandaturm' in der Ostmark unseres Landes zu verhindern.»

Auf derselben Seite wurde der Tatbestand kurz zusammengefasst und gefragt, ob die Voraussetzungen für das geplante Mausoleum gegeben seien. Die Antwort gab der Verfasser selber: «Wir denken: Nein!» Und wörtlich schrieb er: «Deshalb muss der Schweizer auf den Gedanken kommen, dass die Ueberführung der Ueberreste in der Schweiz verstorbener deutscher Wehrmänner auf die Kurzegg nicht nur ihrem Gedächtnis und ihrer Ehrung dient. Allein schon die Wahl des Platzes, dessen Denkmal nicht anders denn als eine Demonstration über den Bodensee hinaus wirken würde, beweist genug. Etwas mehr primitives Empfinden für das Denken des Schweizers hätte man bei den Initianten schon erwarten dürfen! Darum scheint es, als ob eine Provokation nicht wollte vermieden werden.»

Es sei kein schweizerisches Werk und es verletze zu tiefst schweizerisches Empfinden, war auch die Meinung der «Ostschweiz», und darum solle es kein Monument geben, das in seiner ganzen Anlage und in seinem Zweck den dauernden Protest jedes Eidgenossen herausfordern würde.

In diesen Tagen kam die Angelegenheit auch im Grossen Rat zur Sprache, indem ein Kantonsrat und 120 weitere Ratsmitglieder in der Sitzung vom 10. November 1937 folgende einfache Anfrage einreichten: «Ist dem Regierungsrat bekannt, dass in Stadtnähe auf einem, das Land beherrschenden Aussichtspunkt, ein deutsches Kriegerdenkmal vom Ausmass eines Mausoleums errichtet werden soll? – Wie stellt sich der Regierungsrat dazu, und was gedenkt er zu tun, um dieses Unternehmen, welches das Empfinden des Volkes tief verletzt, zu verhindern?»

Diese Anfrage wurde am folgenden Tage in eine Interpellation umgewandelt, die am 12. November begründet wurde. Der Interpellant bezeichnete «das Bauvorhaben in dem nach vorliegenden Plänen beabsichtigten Ausmasse als unerhörte Provokation, zumal die blosse Ehrung der Verstorbenen die Erstellung eines solchen Gebäudes kaum zu rechtfertigen vermöge und hierfür andere angemessene Möglichkeiten bestünden. Er verwahrte sich gegen den Versuch, Schweizergebiet in solcher Weise in den Dienst der Propaganda fremden Staatsgeistes zu stellen und forderte die Verhinderung der geplanten Baute».

Der Regierungsrat war einmütig der Auffassung, «dass dem Gesuche auf Grund der Bestimmung über das Begräbniswesen nicht entsprochen werden und dass nur die Erstellung eines Gemeinschaftsgrabes in einem Friedhof in Betracht fallen könne. Damit sollten auch weitergehende Befürchtungen und bezügliche Erörterungen gegenstandslos sein.»

Nach einer Diskussion stimmte der Rat einem Antrag zu, wonach «der Grosse Rat den geplanten Bau eines deutschen Kriegerdenkmals in unserem Lande als das schweizerisch-nationale Empfinden verletzend betrachtet».

Gegen das eingereichte Projekt erhob auch die «Schweiz. Heimatschutz-Vereinigung, Sektion St.Gallen-Appenzell I.-Rh.» Einspruch aus sachlichen und ideellen Gründen, indem in einem ersten Punkt des Schreibens die Notwendigkeit bestritten und in einem zweiten der Baucharakter kritisiert wurde – das «anspruchsvolle Mausoleum» erscheine in unserer Landschaft als Fremdkörper. Im dritten Abschnitt der Einsprache stand: «Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei dem Bauvorhaben propagandistische Absichten mitbestimmend waren. Wir fürchten, dass die Anlage nicht nur der an sich ehrenwerten und berechtigten Totenverehrung dienen würde, sondern dass sie der Schauplatz von Anlässen werden könnte, die unserm schweizerischen Empfinden widersprechen und von denen wir und der Grossteil unserer Bevölkerung den heimatlichen Boden verschont wissen möchten.»

EPD: Unerwünscht

Unterdessen war die Eingabe der Bauverwaltung St.Gallen an das Militärdepartement dem Eidgenössischen Politischen Departement weitergeleitet worden. Dort war man der Ansicht, militärische Belange spielten bei der Bewilligungsfrage keine Rolle. Das Politische Departement betrachtete das Bauwerk als unerwünscht und legte der Deutschen Gesandtschaft – die von der ganzen Angelegenheit nur aus Zeitungsberichten Kenntnis gehabt haben soll – nahe, das Baugesuch zurückziehen zu lassen. Trotzdem schrieb der Chef der Abteilung für Auswärtiges: «Bei dieser Sachlage möchten wir Sie bitten, vorläufig von einer Ablehnung des Baugesuches Umgang zu nehmen. Sollte ein Rückzug des Gesuches bis vor Ablauf der gesetzlichen Frist nicht erfolgen, so würden wir es begrüssen, wenn das Gesuch von Ihnen abgelehnt würde. Da eine Begräbnisstätte ausserhalb der ordentlichen Friedhöfe nicht ohne weiteres zulässig ist, so nehmen wir an, dass eine Ablehnung aus dieser Erwägung erfolgen könnte.»

«Kommt nicht in Frage»

Das Polizeidepartement des Kantons St.Gallen teilte in einem Brief vom 13. November 1937 dem Volksbund dann mit: «Der Regierungsrat, dem wir die Sache ebenfalls unterbreiteten, ist mit uns der Auffassung, dass die Errichtung einer Begräbnisstätte ausserhalb unserer Friedhöfe nicht in Frage kommen kann. Ihre Absichten widersprechen den Bestimmungen unseres kantonalen Gesetzes über das bürgerliche Begräbniswesen und müssen deshalb schon von diesem Standpunkt aus abgewiesen werden. – Sie haben aber inzwischen der Presse entnehmen können, dass Ihr Projekt überall in unserer Bevölkerung Protest und Widerwillen hervorgerufen hat, was auch in der gestrigen Sitzung des Grossen Rates in deutlicher Weise zum Ausdruck kam. Ihr Vorhaben ist im ganzen Lande als eine unglaubliche Provokation empfunden worden, so dass der Stadtrat von St.Gallen wohl kaum in der Lage sein wird, Ihrem Kriegerdenkmal-Projekt die Genehmigung zu erteilen, auch wenn Sie auf die Wiederbestattung der allfällig noch vorhandenen Ueberreste Ihrer in der Schweiz verstorbenen Internierten verzichten sollten.»

Drei Tage später wurde das eingereichte Baugesuch zurückgezogen.

Das «deutliche und rechtzeitige Abwinken» der Behörden wurde in den Tageszeitungen gelobt und von der Bevölkerung grösstenteils unterstützt. – Die Baugerüste verschwanden in der Nacht vom 12. auf den 13. November, und die Gerüststangen lagen am Montag, dem 15. November 1937, «in Haufen zum Abtransport bereit».

Der Grundriss des geplanten Denkmals Bild: Stadtarchiv St.Gallen

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die «Nationale Front» St.Gallen am 17. Juni 1933 zum ersten Male eine öffentliche Versammlung abhielt, die von über 2000 Personen besucht wurde. Die «Front» rückte mit einem etwa dreissig Mann starken, in weissen Hemden uniformierten, auswärtigen Saalschutz auf.

Die Versammlung leitete ein junger St.Galler; ein Oberstdivisionär sprach über Ordnung im Staat, und ein Frontist aus Zürich referierte über «Wesen und Ziele der Nationalen Bewegung».·Nach den beiden Vorträgen verlangte der Präsident der Liberalen Jugend der Schweiz das Wort zur Diskussion; er wurde jedoch am Sprechen gehindert und vom Saalschutz tätlich angegriffen.

Am 24. November 1934 veranstaltete die «Nationale Front, Gau St.Gallen» in der Stadt eine öffentliche Kundgebung. Es wurden Referate gehalten über «Soll der Marxismus die Schweiz regieren?» und «Zusammenbruch oder Neuordnung der Wirtschaft». Die Versammlung wies trotz der Eintrittsgebühr von 30 Rappen einen starken Besuch auf.

Ernst Ziegler
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