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Stadt St.Gallen
02.02.2023
06.02.2023 08:44 Uhr

Auch St.Gallen sollte eine deutsche Kriegsgräberstätte bekommen (Teil 1)

So hätte das Nazi-Denkmal aussehen sollen
So hätte das Nazi-Denkmal aussehen sollen Bild: Zeichnung Ernst Ziegler
In Chur steht das einzige nationalsozialistische Denkmal der Schweiz. Das Monument von 1938 gedenkt der im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten. Auch in St.Gallen wollte der «Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge» ein Kriegerdenkmal errichten; stiess aber auf erbitterten Widerstand der Bevölkerung.

SRF berichtete neulich, dass in Chur seit Jahrzehnten unbemerkt ein «Nazi-Denkmal» stehe. Das Monument befindet sich seit 1938 auf dem Friedhof Daleu mitten in der Bündner Hauptstadt. Der damalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler beschrieb am 24. und 25. Juli 1974 in der Tageszeitung «Die Ostschweiz», wie auch St.Gallen fast in den «Genuss» eines solchen Denkmals gekommen wäre – wenn sich Gesellschaft und Politik nicht heftig dagegen gewehrt hätten. Wir bringen seinen Beitrag ebenfalls in zwei Teilen; die Fortsetzung lesen Sie morgen auf stgallen24.

Anfangs 1937 kaufte ein St.Galler Architekt vom Wirt zur «Kurzegg» zwischen dem Kloster Notkersegg und dem Weniger-Weiher etwa 900 Quadratmeter Bauland, um darauf, wie er dem Verkäufer mitteilte, «eine einfache, schlichte Soldatengedenkstätte» für die in der Ostschweiz verstorbenen und auf verschiedenen Friedhöfen begrabenen deutschen internierten Soldaten zu errichten. Ihre Gräber sollten nämlich jetzt, nach zwanzig Jahren, aufgehoben und die Toten des Ersten Weltkrieges gemeinsam in einer Gedenkstätte für ihre Angehörigen und Verwandte würdig beigesetzt werden.

Nach der «Appenzeller-Zeitung» wollte bereits früher eine deutsche Organisation auf Vögelinsegg ein solches Kriegerdenkmal errichten. Ein reichsdeutscher Buchdrucker und ein Pfarrer aus Konstanz erkundigten sich damals beim Gemeindehauptmann von Speicher, wie sich die Behörden zum Bau eines Kriegerdenkmals wohl stellen würden. Der Gemeindehauptmann winkte deutlich ab und eine Baueingabe erfolgte in Speicher nie.

Auch in Teufen muss etwas im Tun gewesen sein. Man scheint den Leuten wirtschaftliche Vorteile versprochen zu haben: Ein solches Bauwerk wäre für die Fremdenindustrie vorteilhaft und es würden hier von Zeit zu Zeit Feiern und Feste stattfinden. Dazu meinte die «Volksstimme»: «An beiden Orten aber bedankte man sich scheinbar für die Göbbelschen Pläne und lehnte den deutschen Nazi das Projekt ab; sonderbarerweise hörte man in der Oeffentlichkeit nichts von alledem. Wie sich die Deutschen die Sache auf Vögelinsegg gedacht haben, kann ich mir nicht vorstellen; Uli Rotach hätte sicherlich abdanken und nach der Kurzegg hinunter zügeln müssen, nehme ich an.»

Der damalige Kurzegg-Wirt wusste zu erzählen:

Im Sommer 1937 erschienen einige deutsche Herren auf der «Kurzegg» und besichtigten den Bauplatz. Der Ort gefiel ihnen gut, nur wünschten sie, dass um die geplante Gedenkstätte herum nichts anderes gebaut werde. Weil ich darauf nicht eingehen wollte, kauften sie noch mehr Boden und nach vielen Wochen wurde der Platz provisorisch ausgesteckt. Zwei oder drei Monate verstrichen und schliesslich wurden anfangs November 1937 mächtige Visiere aufgestellt.

Am 6. November reichte der «Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Schweiz, Ortsgruppe St. Gallen» dem «verehrlichen Stadtrat der Stadt St.Gallen» ein Baugesuch für einen «Ehrenfriedhof mit Gedenkhalle» an der Speicherstrasse auf «Kurzegg» ein. Im Begleitschreiben steht: «Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat sich zur Aufgabe gemacht, den im Weltkriege gefallenen deutschen Kriegern eine würdige Ehrenstätte zu gestalten. Davon sollen aber auch die in der Schweiz internierten Soldaten, die während der Internierung hier verstorben sind, nicht ausgeschlossen werden. In der Ostschweiz bestehen 23 solche Gräber. Für diese wird eine gemeinsame Ruhestätte vorgesehen.

Der Volksbund möchte schon aus Dankbarkeit gegenüber der Stadt Gallen für die vorbildliche Betreuung während der Internierung, diese Ruhestätte der Stadt St. Gallen zukommen lassen. Die Gräber bestehen alle bereits 20 Jahre und werden teilweise in nächster Zeit freigegeben. Der Volksbund könnte nun für die vorgesehene Ruhestätte bei der Kurzegg an der Speicherstrasse (…) den erforderlichen Platz erwerben und stellt daher an den verehrlichen Stadtrat das höfliche Gesuch um die Bewilligung zur Erstellung dieser Ruhestätte. Diese soll in ganz schlichter und würdiger Weise erstellt werden.»

Starke Bedenken

In der Vernehmlassung zu diesem Baugesuch schrieb der Stadtingenieur: «Die Wahl der Baustelle und die Baute selbst geben zu starken Bedenken Anlass, eine Verständigung mit dem Eidgenössischen Militärdepartement sollte unter allen Umständen vor Erteilung irgend einer Bewilligung erfolgen.»

Daraufhin meldete der Vorstand der Bauverwaltung dem Eidgenössischen Militärdepartement am 10. November u. a.: «Wir möchten Sie bitten, zu prüfen, ob vom militärischen Standpunkt aus gegen die Erstellung dieser Kriegsgräberstätte aus irgendeinem Gesichtspunkt etwas einzuwenden ist. Wir bitten Sie, auch mit dem Politschen Departement Fühlung zu nehmen. Im Volksmund wird bereits von einem Spionage-Gebäude gesprochen oder einer Signalstation, wobei wohl übersehen wird, dass, wenn an der gleichen Stelle ein Privater eine Villa mit Aussichtsturm errichten wollte, jedenfalls ein Bau nicht ohne weiteres verhindert werden könnte.»

Dass dieser Bau weniger «eine einfache, schlichte Soldatengedenkstätte» als vielmehr ein «pompöses Denkmal» werden sollte, beweisen die Pläne und die «Erläuterungen über Ausmass und Konstruktion der projektierten Kriegsgräberstätte» (siehe Abbildungen und Legenden).

Gegen dieses deutsche Kriegerdenkmal kam es in der Oeffentlichkeit bald zu heftigen Protesten. Am 9. November 1937 konnte man im «St.Galler Tagblatt» lesen: «Der Bau käme an eine Stelle zu stehen, die weit herum alles beherrscht. Wir wenden uns, und dürften wohl von weitesten Kreisen unterstützt werden, gegen einen solchen Bau. Er gehört nicht auf schweizerischen Boden. Wir protestieren dagegen, dass an einem der schönsten Punkte unserer Heimat ein fremdes Kriegerdenkmal von Wucht hingestellt werde. – Wir Schweizer empfinden es als eine unerhörte Zumutung, dass uns Ausländer eine meterdicke Turmbaute in die friedliche Heimat hinein bauen wollen. Warum begnügt man sich nicht mit einem schlichten Obelisken in einem der kommunalen Friedhöfe? Es braucht·schon eine sonderbare Geistesverfassung, wenn Leute, die schliesslich das Gastrecht in der Schweiz geniessen, sich zu solchen Projekten aufschwingen. Dass die ,dummen Schweizer’ dem projektierten Bau mit berechtigtem Misstrauen entgegensehen, ist begreiflich und schliesslich gar nicht so … dumm und einfältig.»

Ein Tag später stand unter «Der Nationalsozialismus in der Schweiz» ein Teil dieses Artikels auch in der «Volksstimme»; dazu wurde weiter ausgeführt: «Unterschrieben ist das Baugesuch natürlich von einem Beamten des deutschen Konsulats in St.Gallen. Wie sagte doch Herr Motta: Er sei glücklich, dass die Naziagitation in der Schweiz nun von den offiziösen Stellen aus betrieben werde? In St.Gallen haben wir diesen Zustand längst: die Versammlung mit den deutschen Agitatoren, die Eintopfessen, die Koloniegründungen, die Filmvorführungen, die Geldbetteleien für die Winterhilfe … alles das wird vom deutschen Konsulat organisiert und propagiert. Das deutsche Konsulat in St.Gallen ist längst ein Bureau für nationalsozialistische Agitation!»

Unter dem Titel «Lasset die Toten ruhen!» erschien am 11. November ein weiterer Beitrag zur Frage des deutschen Kriegerdenkmals; der Verfasser bemerkte darin, gerade in der Schlicht- und Einfachheit der jetzigen Ruhestätten, die dem Wesen unseres freien Landes angepasst sei, liege auch die wahre und würdige Ehrung der Verstorbenen. Sie hätten ihre Ruhe gefunden und es bestünde aus Gründen der Pietät keine Veranlassung, ihre Gebeine wieder auszugraben und in einem, dem hiesigen Wesen vollständig fremden, prunkkvollen Mausoleum zu sammeln.

Durchgehend Ablehnung

Am selben Tage meldete sich auch die Ortsgruppe St.Gallen des Landesverbandes Schweiz des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge. In einer Zeitungsnotiz wurde gesagt, die in der Presse gemachten Angaben über Mauerstärke, Turmbeschreibung und Innenausstattung entsprächen nicht der Wirklichkeit. Denn in Tat und Wahrheit handle es sich um den beabsichtigten Bau einer deutschen Kriegsgräberstätte der deutschen Kriegsgräberfürsorge, um den deutschen Wehrmännern eine letzte gemeinsame Ruhestätte zu geben; solche gemeinsamen Ruhestätten würden von den kriegführenden Staaten nicht nur im neutralen Ausland, sondern auch in den ehemaligen Feindesländern zu Dutzenden erstellt, ohne dass daran von irgend einer Seite Anstoss genommen würde. Diese Notiz schliesst mit dem Satz: «Wir beschränken uns auf diese Richtigstellung und hoffen, dass die Behörden, die sich mit der Angelegenheit noch näher zu befassen haben werden, das Richtige treffen werden.»

Ein Zusatz der Redaktion hält fest, dass die gegebene Beschreibung sehr wohl gestimmt habe, dass der Bau landesfremd sei und dass im Kanton St.Gallen keine Privatfriedhöfe angelegt werden dürften. «Gegen ein bescheidenes Gedächtnismal auf einem öffentlichen Friedhof wird niemand etwas einwenden. Ein solches steht auf dem alten Friedhof St.Fiden zur Erinnerung an die Bourbaki-Soldaten, die 1871 in St.Gallen und Umgebung gestorben sind. Es geht nun nicht an, die ‚gemeinsamen Ruhestätten’ in ehemaligen Feindesländern mit dem geplanten Mausoleum in Verbindung zu bringen. Jene Ruhestätten stehen irgendwie in Verbindung mit den grossen Soldatenfriedhöfen und Schlachtfeldern. Auch wir hoffen, dass die Behörden das für unser schweizerisches Empfinden Richtige treffen werden.»

Beigefügt wurde noch, die st.gallische Bevölkerung lehne den Bau ab und früher schon seien die Appenzeller dagegen gewesen. «Wir in St.Gallen haben kein Verlangen nach nationalsozialistischen Demonstrationen auf unserem Boden. Wir wollen keinen deutschen Thingplatz in unserem Lande. Wir wollen keine Feste, die unserem Staatsgedanken fremd und entgegengesetzt sein würden. Wir wollen keine aufgemauerten Stützpunkte der Dritten-Reich-Politik auf demokratischem Grund und Boden dulden. Wir verzichten auf deutschen Massenbesuch und leben auch ohne solchen. Wir wollen das alles nicht, weil wir zur geistigen und politischen Landesverteidigung gezwungen werden durch die bestehenden Verhältnisse. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass der Bau eine Provokation darstellen würde. Der Glaube, es sei nicht so und es handle sich nur um ein Gedächtnisdenkmal, ist uns verloren gegangen infolge der politischen Werbetätigkeit deutscher Elemente, die das Gastrecht in der Schweiz missbrauchen.»

Ernst Ziegler
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