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Kanton
25.10.2021

Kolumination auf dem Säntis

Bild: PD
Die besten Kolumnisten und Slammer trafen sich am Wochenende auf dem Säntis zur zweiten Kolumination. Sie lasen Beiträge zum Thema «Leistung». Axel Hacke, Kolumnist des Magazins der Süddeutschen Zeitung, wurde mit dem «Preis der Kolumination» ausgezeichnet.

Hans Höhener, Präsident des Vereins Kolumination, bezeichnete den zweiten Anlass als ein Erlebnis und gleichzeitig als eine grosse Leistung. Gesprochen wurden grosse Worte über dem Nebel auf dem 2502 Meter hohen Säntis. Hans Höhener würdigte in seinen Begrüssungsworten auch den Bau der Schwebebahn vor bald 90 Jahren. In dieser Zeit sei es ebenfalls eine grossartige Leistung gewesen.

Ein Kolumnist darf alles, muss aber nicht

Rainer Frank, Kolumnist der FAZ Frankfurt und Mitglied der Jury «Preis der Kolumination», überraschte die Zuhörer mit einer kleinen Reflexion darüber, was die Kolumne kann und was sie darf. Dabei stellte er die Frage, ob man die beiden Länder Österreich und die Schweiz als eines abhandeln könnte. «Die Frage kann man sich an diesem wunderbaren Ort auf dem Säntis stellen, weil aus der Draufsicht hier oben die Welt nicht in Staaten, Nationen, Kantone oder Bundesländer getrennt erscheint, sondern als ohne politische Grenzen wohlgeformte Alpenlandschaft.»

Vieles deute darauf hin, dass auch dem Kolumnisten Max Goldt die Idee hier oben gekommen sein könnte, Österreich und die Schweiz «künftig in einem Aufwasch» zu behandeln. Dazu gab er gleich die Erklärung, warum diese Idee absurd ist und die zwei Länder kaum verschiedener sein könnten.

Was versteht der Autor aber unter einer Kolumne? Ein Drucker habe ursprünglich eine Satzspalte so bezeichnet, weil sie wie eine Säule aussieht. Daraus habe sich eine literarische Form entwickelt, eben die Kolumne, die daherkommt in Form von persönlich gehaltenen und regelmässig erscheinenden Artikeln – eben im Umfang einer Druckerspalte.

Die Kolumne ist eher kurz, sie ist meistens subjektiv und sie erscheint periodisch. Der Kolumnist ist immer im Dienst, hat nie Urlaub, auch wenn er im Urlaub ist. Was darf aber eine Kolumne? Laut Rainer Frank darf der Kolumnist alles. Doch er soll sich überlegen, ob er alles schreiben soll, was er frei ist zu dürfen.

Geschickt übernahm Moderator Wolfang Heyer anschliessend die Führung des Programms – teils mit eigenen Slam-Einlagen. Von Rainer Hank wollte er wissen, ob es in zehn Jahren noch die gedruckte Tageszeitung geben wird. Dieser war sich sicher, dass Kolumnen vom Netz profitieren werden. Die Worte würden sich einfach vom Papier ins Internet verschieben.

  • Hans Höhener, Präsident des Vereins Kolumination Bild: PD
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  • Rainer Hank, Kolumnist FAZ Frankfurt Bild: PD
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Verschiedene Ansichten zur Leistung

Gespannt warteten die Teilnehmer auf den Auftritt der fünf Kolumnistinnen und einem Kolumnisten, gehören doch einige zu grossen Namen in der Kolumnisten-Szene. Diesmal war dabei: Eleonore Büning aus Deutschland (früher FAZ), Birgit Schmid aus der Schweiz (NZZ), Tanja Maljartschuk aus Österreich (früher FAZ und Zeit), Jan Fleischhauer aus Deutschland (Focus), Monika Helfer aus Österreich (Vorarlberger Nachrichten) und Tamara Wernli, aus der Schweiz (Weltwoche).

Den Anfang machte Eleonore Büning und die Zuhörer entdeckten in ihren Kolumnen sofort die erfahrene Musikkritikerin, denn ihre Worte wurden zur Musik. Bei der ersten Kolumne ging sie der Frage nach, warum der Himmel voller Geigen und nicht voller Trompeten oder Hackbretter ist. Dabei spannte sie einen Spagat zur Leistung, die sie mit dem stundenlangen Üben verglich.

«Darf man in einem Konzert einschlafen?», so das Thema der zweiten Kolumne. «Selbstverständlich, wann sonst», war ihre Antwort darauf. Welche Auswirkungen der Konferenzschlaf, Konzertschlaf oder Sekundenschlaf haben können, wurde im Detail erörtert, genauso die fünf Schlafphasen.

Eleonore Büning Bild: PD

Mit dem Titel «Sie wollen ja nur vorspielen», ging Birgit Schmid dem Leistungsdruck der Männer in der Sexualität nach. Jeder vierte Mann täusche einen Orgasmus vor, manche hätten einfach keine Lust es dauert ihnen zu lange. Tanja Maljartschuk bezeichnete sich nicht als Kolumnistin, sondern als Geschichtenerzählerin. Sie erzählte von ihrem literarischen Gynäkologen und las aus ihrem Buch «Frösche im Meer» die Geschichte von Petro aus der Ukraine, der aus Angst, aus Österreich ausgewiesen zu werden, ein Stück seines Passes verschluckt und dem Polizisten erklären muss, er habe seinen Pass gegessen.

  • Birgit Schmid Bild: PD
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  • Tanja Maljartschuk Bild: PD
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Monika Helfers Kolumnen handelten von moralischen Verpflichtungen, dem Glauben ans Unerklärliche und von einem kleinen Mädchen mit speziellen Freunden. Als Beispiel des vollständigen Versagens beschrieb Jan Fleischhauer in seiner Kolumne die diesjährigen Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin und lästerte über die Grünen. Sie hätten die Fähigkeit immer dabei zu sein, seien aber nie beteiligt. «Wer andauernd sagt wie es geht, für den ist es Zeit Verantwortung zu übernehmen», so sein Résumé.

«Wie zufrieden wir mit unserer Leistung sind, hängt grösstenteils von unserem biologischen Zustand ab», so Tamara Wernli. Vor allem Komplimente mit Altersbezug, wie zum Beispiel «Du siehst gut aus für dein Alter», stürze sie in eine Dreitagskrise. Die Zeit der konstanten Zufriedenheit sei für sie eine der grössten Leistungen. Eine Hommage an Burger war ihr zweiter Streich. Für sie darf ein Burger nicht mehr sein als er ist.

  • Monika Helfer Bild: PD
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  • Jan Fleischhauer Bild: PD
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  • Tamara Wernli Bild: PD
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Pflichtarbeit, während alle schliefen

Die Kolumnisten teilten sich die Bühne mit drei hochkarätigen Slammern, Marvin Suckut aus Deutschland, Mieze Medusa aus Österreich und Gregor Stäheli aus der Schweiz. Sie brachten das Thema «Leistung» auf ihre, spezielle Art zum Ausdruck, sei es in einem Bewerbungsgespräch, musikalisch oder im Überlebensmodus.

Damit nicht genug. Als Hausaufgabe mussten sie über Nacht einen Text zum Thema, die ihnen die Teilnehmer am Vorabend gestellt hatten, schreiben und vortragen. Auch diese Aufgaben lösten sie mit Bravour und wurden mit einem im Voraus besprochenen «Applausometer» belohnt.

Marvin Suckut befasste sich mit dem Thema Restlaufzeit und somit mit dem Leben in einer partnerschaftlichen Beziehung. Mieze Medusa versuchte mit Rasenkantenmäher und Zahnseide Berge zu versetzen. Gregor Stäheli wechselte nach vier Stunden nochmals sein Thema und entschied sich für «Moor und Mohr». Für ihn sei Zeit, sowohl das im Moor zu versinken drohende Pferd, als auch das andere Wort loszulassen und es gehen zu lassen.

  • Marvin Suckut Bild: PD
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  • Gregor Stäheli Bild: PD
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Letztjähriger Preisträger ehrt den Neuen

Ein weiterer Höhepunkt des Abends war die feierliche Übergabe des Preises der Kolumination an Axel Hacke. Dabei durfte der letztjährige Preisträger Beat Kappeler die Laudatio für ihn halten. Diese Tradition soll auch in Zukunft beibehalten werden. Bei der Vorbereitung hat Beat Kappeler eine neue Person, eine ungewohnte Redneraufgabe und völlig andere Inhalte entdeckt.

Axel Hacke sei so anders, schreibe anders, dass es fasziniert. Er wies auf seinen Fleiss hin – er sei ein Autor mit Millionenauflage, gut 30 Bücher mit Sammlung seiner Kolumnen seien erschienen. Hackes Worte bilden die tägliche Realität ab. Und wenn sie mit der Sprache spielen und sie selbst als Gegenstand nutzen, dann eben spielerisch. Hinter dem Kunterbunten der Texte, die sich gerne unerwartet wegdrehen vom Titelgeschehen, ergebe sich oft ein pädagogischer Wink. Nach seiner Analyse sei klar: Axel Hacke hat Ausserordentliches geleistet, er verdiene diesen Preis.

Axel Hacke gab selbstverständlich einige Kostproben aus seinem Buch «Das kolumnistische Manifest», so zum Beispiel die Gespräche während der Fahrten mit seinem Sohn in den Kindergarten. In seiner aktuellen Kolumne entwickelte er sogar einen Plan. Um die Kulturszene zu retten, schlug er vor, an Lesungen Spuckbuchstaben wegzulassen und propagierte aerosolfreie Laute.

Axel Hacke Bild: PD

Schaurig-schöne Geschichten in der Gondel

Auf der Rückfahrt ins Tal las Matthias Flückiger, Schauspieler, Regisseur und Leiter des Theaters «parfin de siècle» in St. Gallen, eine schaurig-schöne Gutenachtgeschichte aus dem Buch von Franz Hohler. Er begrüsste auch am nächsten Morgen die Teilnehmer auf dem Säntis mit einer historischen Kolumne der grössten brasilianischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts, Clairie Lispector: «Fünf Erzählung – ein Thema – wie bringt man Kakerlaken um».

Als am Samstagmittag das Festival der Worte verstummte, waren sich alle einig, dass der Anlass «Kolumination» auf keinen Fall verstummen darf und nächstes Jahr eine Fortsetzung finden muss. Alle, die nicht dabei sein konnten, können alle Texte und Kolumnen in einem kleinen Büchlein, herausgegeben vom Orte-Verlag, nachlesen.

Gruppenfoto aller Referenten Bild: PD
pez/pd
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