Seit über einem Jahr muss die Wirtschaft nun schon mit einschneidenden Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie leben. Wie stecken die Mitglieder des Kantonalen Gewerbeverbands St.Gallen das weg?
Ganz unterschiedlich. Im Bauhauptgewerbe und im Baunebengewerbe sind die Auftragsbücher ordentlich gefüllt, diesen Betrieben läuft es ziemlich gut. Der gewerbliche Detailhandel musste seine Läden zwei Monate geschlossen halten, diese Mitglieder sind froh, dass sie inzwischen wieder öffnen durften. Was sie von Januar bis März verloren haben, werden sie aber kaum wettmachen können. Für andere Mitglieder aber ist die Situation existenzbedrohend – Gastronomiebetriebe oder Fitnesscenter durften über drei Monate nicht öffnen. Seit dem 19. April sind nun ja gewisse Öffnungen zugelassen.
Wie lange Restaurants noch geschlossen bleiben, ist weiterhin unklar.
Das ist genau das Problem. Wir spüren eine gewisse Ohnmacht bei unseren Mitgliedern aus der Gastronomie, weil sie – ausser den Terrassen – keine Perspektive haben. Der Bundesrat hat Mitte April entschieden, was möglich ist. Es wurden jene Öffnungsschritte beschlossen, die schon Mitte März erwartet wurden – dass etwa die Gastronomie die Terrassen öffnen darf. Wie lange aber die Innenbereiche geschlossen bleiben, ist nach wie vor offen. Auch die Eventbranche hat bis dato keine Perspektiven.
Ist die Terrassenöffnung ein kleiner Lichtblick?
Jein. Die Terrassen zu öffnen ist eine ganz kleine Perspektive für einen Gastronomen. Wie soll man da den Betrieb planen, im ständigen Austausch mit Meteo Suisse? Bei einer Aussentemperatur von 7 oder 8 Grad gehen die Leute am Abend ohnehin nicht gerne draussen Essen.
Ein bisschen Lockerung würde die Situation für die Wirte also nicht besser machen. Wie beurteilt der Gewerbeverband denn grundsätzlich Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie?
Nun, es schleckt keine Geiss weg, dass es das Virus gibt. Beim ersten und auch beim zweiten Lockdown hat die Bevölkerung viel Verständnis gezeigt für die Massnahmen, auch die Wirtschaft zieht hier grundsätzlich mit. Wir stellen aber fest, dass nun die Lockerungen für die Wirtschaft viel zu zögerlich kommen. Mich beschleicht das Gefühl, in Bern finden sie den Rückweg in die Normalität nicht mehr.
Sind denn Lockerungen schon angezeigt?
Mitte April haben wir in der Schweiz zwei Millionen Impfdosen gespritzt. Damit sollten ja eigentlich die Risikogruppen – die über 80-Jährigen oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen – geschützt sein. Aber der Lockdown bleibt grundsätzlich trotzdem bestehen, es sei immer noch zu unsicher ... Wozu impfen wir dann?
Sie würden die Restaurants also wieder öffnen?
Wenn eine Studie aufzeigen würde, dass sich die Leute trotz Schutzmassnahmen im Restaurant anstecken, dann hätte ich Verständnis für die Gastronomie-Schliessung. Der wöchentliche Bericht des Kantons St.Gallen zeigt aber: Die meisten Ansteckungen geschehen in den eigenen vier Wänden. Dort wird jetzt aber gelockert! Es dürfen sich nun zehn statt nur fünf Personen treffen – ohne Schutzkonzept, wohlgemerkt. Aber vier Personen an einem Tisch im Restaurantinnenbereich bleiben trotz Schutzkonzept verboten. Das führt natürlich zu Unverständnis.
Im ersten Lockdown war der Bundesrat sehr schnell bereit, ein paar Milliarden als Covid-Kredite auf den Tisch zu legen. Seither wurden ständig weitere Stützmassnahmen aufgegleist. Die Wirtschaft wird zumindest nicht im Stich gelassen.
Als Liberaler müsste man ja sagen: Der Staat soll keinen Einfluss nehmen. Nun hat aber der Staat entschieden, dass Teile der Wirtschaft in ihrem Tun massiv oder gar vollständig eingeschränkt werden. Ergo: Das muss entschädigt werden.
Das ist an sich unbestritten, doch was genau soll entschädigt werden?
Andere Länder kennen zum Teil Umsatzentschädigungen, die Schweiz geht nicht so weit und spricht Härtefallentschädigungen. Das ist – zusammen mit Instrumenten wie der Kurzarbeitsentschädigung – aus unserer Sicht angemessen.
Man lässt die Firmen nicht abserbeln, nimmt aber in Kauf, dass sie Verlust machen?
Genau. Härtefall bedeutet, dass die ungedeckten Fixkosten übernommen werden. Und als weitere Einschränkung gibt es die Härtefallentschädigung grundsätzlich nur für definierte Branchen.
Kommt die Hilfe rechtzeitig?
Wir haben uns stark dafür eingesetzt, dass die Härtefallregelung schnell kommt, dass der Kanton St.Gallen Notrecht anwendet. Wenn wir den Vergleich mit anderen Kantonen machen, lässt sich sagen, dass die Hilfe hier relativ rasch hochgefahren werden konnte. Ich behaupte jetzt mal: Das ist nicht zuletzt der Verdienst des Kantonalen Gewerbeverbandes, weil wir in diese Frage stark Druck gemacht hatten.
Insgesamt scheinen Sie mit dem Hilfspaket zufrieden zu sein.
Nein, denn am liebsten würden wir arbeiten! Ohne Einschränkungen. Dann bräuchte niemand Hilfe.
Nun braucht es sie aber.
Ja. Grundsätzlich ist das auch richtig aufgegleist. Gleichzeitig machen aber die dauernden Anpassungen und Änderungen der Härtefallregelung der Wirtschaft das Leben zusätzlich schwer. Kaum ist das Flugzeug gestartet, wird es während des Fluges in der Luft repariert. Das zu verstehen ist schwierig für die Wirtschaft – es ist vor allem auch schwierig, richtig zu agieren.
Kommt die Hilfe bei den richtigen Firmen an?
Etliche gehen leer aus. Als Eigentümer einer Einzelfirma oder GmbH bekommt man keine Kurzarbeitsentschädigung – obwohl man beitragspflichtig ist. Das wollte der Bundesrat bis jetzt nie korrigieren. Im ersten Lockdown gab es eine Pauschale, jetzt gibt es nichts mehr. So etwas führt natürlich zu Unverständnis bei betroffenen Mitgliedern.
Auf kantonaler Ebene wurden die Vorgaben des Bundes nachgebessert.
Die Härtefallregelung des Bundes hatte gewisse Kriterien, da ist der Kanton St.Gallen weiter gegangen. Ursprünglich hiess es, eine Firma muss mindestens 300 Stellenprozente haben, um Hilfe geltend zu machen. Der Kantonale Gewerbeverband hat sich dafür eingesetzt, dass es 100 Stellenprozent als Minimum sind. Also ein Vollerwerb. Wir können nachvollziehen, dass es nicht als Haupterwerb gilt, wenn jemand von der eigenen Firma nur zu 20 Prozent angestellt ist. Und dann ist es in der Regel auch kein Härtefall. Was wir als weiteres Kriterium immer akzeptiert haben: Die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit einer Firma muss gegeben sein. Wenn ein Unternehmen schon vor Corona überschuldet war, wäre es kaum zu rechtfertigen, es nun künstlich am Leben zu erhalten.