Kapitalismus ist ein wunderbar einfaches Prinzip. Mit dem Kauf von Aktien dokumentiert man den Glauben an die Geschäftsidee einer Firma, und wenn man richtig liegt, zahlt sich das in Form von Dividenden und einem höheren Aktienkurs aus. Wer auf bestandene Wirtschaftsgrössen setzt, geht bei seiner Wette ein überschaubares Risiko ein – dementsprechend ist die Belohnung im Erfolgsfall meistens auch überschaubar. Anders sieht es aus, wenn man auf Firmen setzt, die gerade erst gegründet wurden, um Produkte zu vermarkten, die es erst als Idee gibt. Wer hier investiert, bewegt sich im Hochrisiko-Bereich; die selten verwendete deutsche Entsprechung von Venture Capital heisst nicht ohne Grund «Wagniskapital».
In Start-ups zu investieren, die vielleicht «das nächste grosse Ding» anschieben, wahrscheinlicher aber nach mühsamer Aufbauarbeit sang- und klanglos eingehen, ist nicht jedermanns Sache. «Privatleute sollten in Start-ups nur investieren, wenn sie das dafür benutzte Geld wirklich nicht brauchen und nicht existentiell betroffen wären, wenn sie alles davon verlieren», betont Andreas Göldi, «die meisten Start-ups scheitern.» Göldi ist selbst Mitgründer einiger erfolgreicher Start-ups. Heute finanziert er als einer von vier Partnern des Digital Tech Fund von btov Partners vielversprechende Jungunternehmen. btov mit Niederlassungen in St.Gallen, Berlin, München und Luxembourg ist eine der grössten Venture- Capital-Firmen in Europa und managt Investitionen von über 500 Millionen Euro.
Top oder flop
«Investitionen in Start-ups sind meistens top oder flop», hält Urs Häusler fest. «Es heisst ja ‹Wagniskapital› – wenn es funktioniert, hat man einen hohen Return auf seinen Einsatz. Aber oft kann ein Totalverlust des Investments resultieren.» Der Geschäftsführer des Digitalisierungspezialisten Valantic engagiert sich auch als Präsident der Stiftung Startfeld (siehe separaten Artikel) und ist Mitgründer des Verbands Schweizer Start-ups. Die Stiftung hilft Start-ups in einer sehr frühen Phase, erste Finanzierungen auf die Beine zu stellen. «Da besteht ein grosser Unterschied zu klassischen Anlagen: Man hat keine Zahlen aus der Vergangenheit, das neu entstehende Unternehmen hat noch keinen Markt und keine Umsätze. Aber: Man glaubt an dessen Zukunft.» Diese Zukunft ist selten gleich morgen. Auch im günstigen Fall brauche ein Investor einen langen Zeithorizont, sagt Andreas Göldi, weil Start-ups im Durchschnitt sieben bis zehn Jahre benötigten, um erfolgreich zu werden. So lange ist das Investment illiquid, «man kann nicht einfach die Anteile verkaufen, wenn es der Firma schlechter geht – anders als etwa bei Aktien, die man an der Börse erwirbt.» Dadurch ist ein Start-up-Investment sehr risikobehaftet, umgekehrt sind die Gewinnmöglichkeit im Erfolgsfall sehr viel grösser. «Erfolgreiche Start-ups können ein Investment mit einem Faktor zehn oder mehr zurückzahlen», erklärt Göldi.
Dieser Fall tritt aber nicht so oft ein. Urs Häusler rechnet vor, dass gut 50 Prozent der Start-ups eingehen und weitere 40 Prozent zwar nicht gerade sterben, aber mehr oder weniger erfolglos herumdümpeln. Nur zehn Prozent hätten wirklich Erfolg. «Ein professioneller Venture Capitalist investiert deshalb schon aus rein statistischen Überlegungen nur in Unternehmen, von denen er glaubt, dass sie das Zehnfache der Investition zurückbringen.» Aufgrund des hohen Ausfallrisikos machen die meisten privaten Start-up-Investoren solche Investments «mit einem sehr überschaubaren Teil ihres gesamten Portfolios», sagt Andreas Göldi, und macht eine weitere Einschränkung: «Am besten investiert man in Themen, von denen man etwas versteht. Es gibt schon genug Unsicherheiten bei Start-ups, und darum macht ein gewisses Sachverständnis ein erfolgreiches Investment wahrscheinlicher.» Aus Sicht von Urs Häusler sind in einer frühen Phase zwei Faktoren für ein Investment ausschlaggebend. «Man glaubt an ein Team, daran, dass diese Leute umsetzen können, was sie sagen. Und man glaubt, dass das Start-up eine Lösung für ein wirkliches Problem hat und ein genügend grosser Markt da ist, der diese Lösung sucht.»
Nicht zu viele Investoren
Mit ein paar hundert Franken lässt sich ein Investment in ein Start-up-Investment kaum realisieren. Eine sinnvolle Mindest- Ticket-Grösse sei ab 20 000, manchmal auch 50 000 Franken, sagt Urs Häusler. Sich ein breit diversifiziertes Portfolio anzulegen, liege bei diesen Grössenordnungen nicht für jedermann drin. Das sei aber durchaus auch im Interesse eines Start-ups: «Es ist nicht praktikabel, 150 Investoren im Unternehmen zu haben, die mit 5000 Franken engagiert sind.» Der Aufwand für das Start-up werde sonst zu gross: «Alle Investoren haben ein Informationsrecht, alle müssen in Aktionärsbindungsverträge aufgenommen werden, was Änderungen der Verträge und Nachfolgefinanzierungen sehr kompliziert macht.»
Deshalb müsse ein Start-up auch darauf achten, dass es am Anfang nicht ein zu breit gestreutes Aktionariat habe und jedem, der einen kleinen Beitrag geleistet habe, einen kleinen Anteil gebe. «Das schreckt dann nämlich professionelle Investoren ab», sagt Urs Häusler. Hingegen würden sich professionelle Investoren wünschen, dass das Gründerteam selbst möglichst lange eine Mehrheit am eigenen Unternehmen halte: «Gründer sollten maximal involviert sein, also am meisten zu verlieren haben, wenn es nicht funktioniert. Das ist die beste Motivation.» In frühen Finanzierungsrunden sind die Investoren oft Business Angel – Investoren, die nicht nur Geld ins Unternehmen stecken, sondern «Smart Money», wie Urs Häusler erläutert: «Business Angel können am Anfang auch wertvolle Sparringpartner für die Gründer sein.» Solche Investoren brächten neben Geld auch fachliches Know-how aus dem Zielmarkt des Start-ups mit. «Manchmal haben sie etwas Ähnliches schon selbst gemacht, oder sie haben ein grosses Netzwerk und kennen potentielle Kunden, Partner und Zulieferanten.»
Ehemalige Gründer als Investoren
Auffallend oft kommen Investments in Start-ups von erfolgreichen früheren Gründern, die ein Vermögen gemacht haben. Sind das die idealtypischen Investoren? «Nicht notwendigerweise », meint Andreas Göldi. «Frühere Gründer haben den Vorteil, dass sie die vielen Aufs und Abs der Startup- Existenz aus eigener Erfahrung kennen und damit tendenziell mehr Empathie mit heutigen Gründern haben.» Sie würden nicht so schnell nervös, wenn ein Start-up mal durch eine schwierige Phase gehe. Aber: «Frühere Gründer tun sich manchmal schwer, distanziert genug zu bleiben. Sie verlieben sich öfter in ein Konzept oder eine Technologie statt in das finanzielle Potential eines Start-ups.» Investment-Entscheidungen bei btov würden genau aus diesem Grund von einem Team mit vielfältigem Hintergrund und unterschiedlichen Perspektiven gefällt. «Aber praktisch alle Teammitglieder bei btov haben irgendwann in ihrer Karriere eigene Erfahrung in Start-ups oder als Gründer gesammelt », erklärt Göldi. «Das ist schon eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis des Sektors.» Göldi sammelte seine ersten Erfahrungen als Gründer 1995, als er mit zwei weiteren HSG-Absolventen, Hans Meli und Philipp Lämmlin, die Delta Consulting gründete. Daraus wurde Namics, heute eine der führenden Digital-Agenturen im deutschsprachigen Raum und Teil der global operierenden Dentsu Aegis Gruppe. «Die Firma hatten wir mit relativ bescheidenen Mitteln aus eigenen Ersparnissen und Beiträgen von Freunden und Familienmitgliedern finanziert», erinnert sich Göldi. «Später kam auch externes Kapital dazu, aber da ist die Firma schon schnell gewachsen und war profitabel.»
Nur Absagen
Die nächsten Firmen gründete Andreas Göldi in den USA, diese finanzierte er in der jeweiligen Frühphase mit Geld von Business Angels und dann mit Investitionen von Venture- Capital-Firmen. «Es ist für meine heutige Arbeit sehr nützlich, diese verschiedenen Methoden aus eigener Erfahrung zu kennen und auch die Psychologie heutiger Gründer zu verstehen», sagt Andreas Göldi. Als Gründer habe er bei Pitches vielleicht 90 oder 100 Venture-Capital-Firmen kennen gelernt, «bis auf vier oder fünf davon habe ich nur Absagen bekommen.» Daran denke er oft, wenn er heute selbst Präsentationen von Start-ups anhöre, um Investmententscheidungen zu fällen. «Ich bemühe mich immer, auch bei Absagen eine ausführliche Begründung mitzuliefern, denn daraus können die Gründerteams immerhin lernen.»
Den einen oder anderen Entscheid würden Investoren im Nachhinein gerne anders fällen. Das geht auch Andreas Göldi so: «Klar, Fehlentscheide passieren immer wieder und gehören zum Handwerk eines Start-up-Investors dazu. Wir fällen unsere Entscheidungen mit sehr limitierter und unscharfer Information, und da liegt man zwangsläufig immer wieder mal daneben.» Göldi versucht, mit seinem Team dazu zu lernen und analysiert regelmässig Firmen, die von btov abgelehnt wurden, sich dann aber erfolgreich entwickelt haben. «Wir fragen uns, ob wir falsch lagen und warum, oder ob wir wieder gleich entscheiden würden.» So könne man über die Zeit seine Kriterien schärfen. «Unser interner Klassiker ist, dass wir 2010 ein Investment in das inzwischen sehr erfolgreiche Uber abgelehnt haben, weil wir den Markt für solche neuartigen Taxidienste als sehr klein erachtet haben.»
Kapitalbedarf wird unterschätzt
Wie viel Kapital ein Start-up in einer bestimmten Phase benötigt, wissen die Gründer selbst oft nicht. «Die Finanzpläne eines jungen Start-ups sind natürlich ein Stück weit Fiktion, eher ein Ausdruck der Weltsicht und Ambition eines Gründerteams als eine Vorhersage der Zukunft», stellt Andreas Göldi fest. «Die meisten Start-ups unterschätzen am Anfang den Kapitalbedarf stark.» Investoren orientieren sich dann auch an Erfahrungswerten: «Man weiss ungefähr, wie viel Kapital in welcher zeitlichen Staffelung man braucht, um beispielsweise eine international erfolgreiche Softwarefirma zu bauen.» Vergleicht man das in der Schweiz investierte Venture Capital mit den Nachbarn, ergibt sich ein schmeichelhaftes Bild. «Die Schweiz spielt angesichts der Grösse des Landes eine sehr wichtige Rolle», sagt Andreas Göldi, «in Deutschland wird nur dreieinhalb mal so viel Venture Capital investiert, in Österreich weniger als zehn Prozent des Schweizer Volumens.» Die Schweiz habe eine sehr starke Stellung in Life Sciences, Medizintechnik und IT-Themen wie KI, Fintech und Robotik. Dennoch: Trotz beträchtlichem Wachstum an Venture Capital habe die Schweiz viel Luft nach oben. «Im globalen Vergleich liegen wir noch deutlich zurück hinter den amerikanischen Zentren wie Silicon Valley und Boston und auch deutlich hinter Israel.» In der Schweiz liessen sich inzwischen auch grössere, kapitalintensivere Finanzierungsrunden realisieren, allerdings komme das Geld dafür dann meistens aus dem Ausland. «Schweizer VC-Firmen sind nach wie vor auf frühere Phasen mit kleineren Investments fokussiert», sagt Andreas Göldi. Das liege nicht zuletzt daran, dass die nationale Kapitalbasis sich schwer tue mit VC-Investments. «Schweizer Pensionskassen investieren noch fast gar nicht in Venture Capital, und das ist ein echter Standortnachteil.»