Tamás Németh, Sie sind seit 1989 an der Hirslanden Klinik Stephanshorn als Urologe tätig. Wie hat sich Ihre Abteilung in den vergangenen 40 Jahren verändert?
Als ich meine Stelle antrat, gab es weder Ultraschall noch sonstige Hilfsmittel dieser Art. Lediglich ein Röntgengerät war vorhanden. Auch flexible Spiegelungsinstrumente, ohne die man sich heute Operationen nicht vorstellen könnte, waren noch nicht verfügbar. Es gab nur sogenannte starre Zystoskope zur Blasenspiegelung. Operiert wurde seinerzeit mit Skalpell, Schere, Nadel und Faden. Rückblickend muss ich sagen, dass die Ausrüstung wirklich sehr einfach war.
Thomas Leippold, welche urologischen Teilgebiete sind heute besonders wichtig?
Vor allem die Tumorchirurgie mit ihren speziellen, minimal invasiven Operationsverfahren wie die Laparoskopie genannte Bauchspiegelung. Roboterassistierte laparoskopische Eingriffe zur Entfernung der tumorbefallenen Prostata und Niere stehen im Vordergrund. Durch Fluoreszenzverfahren kann man beispielsweise die Durchblutung der Niere präzise darstellen und eine Teilentfernung mit Organerhalt durchführen. Dadurch lässt sich die Nierenfunktion aufrechterhalten. Auch in der Behandlung von Nierensteinen wurden mittels der minimal invasiven Chirurgie grosse Fortschritte erzielt. Die einst traumatischen Zugänge über Flankenschnitte gehören der Vergangenheit an. Jetzt benützt man mittels flexiblen und starren endoskopischen Instrumenten die natürlichen Körperöffnungen, wie die Harnröhre und benötigt, dank der Endoskopie, nur kleine Schnitte.
Welche urologischen Erkrankungen sind heute am häufigsten?
Leippold: Die gutartige Vergrösserung der Prostata, Krebs der Prostata, Nieren und Blase, Infektionen der Harnorgane und Steinleiden. Beispielsweise bei der Prostatavergrösserung sind es stets dieselben Beschwerden: Häufiges Wasserlösen und nächtliches Aufstehen, einschiessender Harndrang oder Brennen beim Wasserlassen.
Németh: Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich bei der Prostatatumorvorsorge neben dem Abtasten des Organs die PSA-Bestimmung im Blut als sehr wichtig erwiesen. Aus dem Verlauf und der absoluten Höhe der ermittelten PSA-Werte lässt sich schon einiges herauslesen. Seit Einführung dieses Verfahrens in den USA hat die durch Prostatakarzinome verursachte Sterblichkeitsrate dort um die Hälfte abgenommen. Ich erinnere mich, dass bei uns noch in den 1980er Jahren gut zwei Drittel der an Prostatakrebs neu Erkrankten gestorben sind.
Ihre Klinik bietet urologische Spezialbehandlungen an, was ist damit gemeint?
Leippold: Minimal invasive Vorgehensweisen, durch welche die Patienten in geringerem Masse als früher belastet werden, bilden den Schwerpunkt. Darunter verstehen wir die roboterassistierten, laparoskopischen Operationen, umgangssprachlich «Schlüssellochtechnik» genannt, weil sich der Urologe nur durch kleine Schnitte die nötigen Zugänge verschafft. Weniger Belastung verursachen auch endoskopische Eingriffe durch die Harnwege. Zum Schneiden wird dabei mit unterschiedlichen Stromqualitäten oder Laser gearbeitet.
Bis vor wenigen Jahren war der Einsatz von Robotern nicht vorstellbar, heute gehören Operationen mit Da Vinci zum praktischen Alltag. Worauf ist dieser Sinneswandel zurückführbar?
Leippold: In den USA wurden bereits 2015 rund 80 Prozent der Krebsprostata-OPs mit dem Da-Vinci-Roboter durchgeführt. Bei uns in der Schweiz erfolgen derzeit bereits 60 Prozent dieser Eingriffe roboterassistiert. In den grossen urologischen Ausbildungskliniken hierzulande wird derzeit meist mit Robotern gearbeitet, der Nachwuchs wird systematisch damit vertraut gemacht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Operateur sitzt ergonomisch bequem an seiner Konsole, dank dreidimensionaler Bildgebung und bis zu zehnfacher Vergrösserung des Bildes ist ein sehr präzises und zitterfreies Arbeiten möglich. Zudem lässt sich der Vorgang per Video dokumentieren. Dank minimal invasiver Vorgehensweisen ist der Blutverlust geringer und die Patienten können früher das Spital verlassen. Auch die Katheterliegedauer ist in der Regel kürzer.
Wo erweist sich der Roboter-Einsatz in der Urologie als besonders effizient?
Leippold: Grosse Vorteile bringt diese Technik bei der radikalen, also vollständigen Prostataenfernung bei Krebs, bei der Nierenteilentfernung bei Nierentumoren und bei der Harnleiterabgangsenge.
Die Menschen werden älter, das hat doch gewiss auch für die Urologie Folgen?
Németh: Wir müssen uns wohl auf gravierende Folgen einstellen. Die Zahl der Patienten mit urologischen Beschwerden, vor allem durch Prostataleiden bedingt, wird wegen der zunehmenden Lebenserwartung deutlich ansteigen. Darum ist es so wichtig, der Bevölkerung den Stellenwert der Vorsorge klar und deutlich vor Augen zu führen. Die entsprechenden Untersuchungsmöglichkeiten sind vorhanden und die Abklärung des Sachverhalts lässt sich sehr schnell bewältigen.
Leippold: Gewisse Krebsleiden, die erst im höheren Lebensalter auftreten, werden zahlenmässig zulegen. Zudem werden mehr ältere Patienten gleichzeitig unter mehreren Krankheiten leiden. Diesem Umstand können wir mit den minimal invasiven OP-Methoden hervorragend Rechnung tragen und alle Möglichkeiten einer sorgfältigen Behandlung voll ausschöpfen. Aber auch die Gesundheitspolitik muss stärker in die Pflicht genommen werden. Sie muss rechtzeitig und richtig planen. Der Konzentrationsprozess an den universitären Kliniken muss wohl überlegt sein. Wenn ein hochkomplexer Eingriff etwa in Zürich stattfindet und der Patient dann in seinen möglicherweise sehr entfernt liegenden Wohnort zurückkehrt, fehlt ihm der für den Genesungserfolg so wichtige spezialisierte Ansprechpartner, der ihm bei Bedarf zeitnah vor Ort beistehen kann. Anzustreben ist künftig ein Gleichgewicht zwischen vorhandenen Bedürfnissen und Finanzierbarkeit der hierfür benötigten Strukturen.