Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
22.01.2021
23.01.2021 11:38 Uhr

Postfilialen-Chefin mit 19

In der Postfiliale Bruggen haben die Lehrlinge das Sagen. (Bild: Miryam Koc)
In der Postfiliale Bruggen haben die Lehrlinge das Sagen. (Bild: Miryam Koc) Bild: zVg
Die Postfiliale in Bruggen unterscheidet sich von vielen anderen: Sie wird ausschliesslich von Lehrlingen geführt und betrieben. stgallen24 hat sich einen Einblick geben lassen.

«Darf ich mal den Chef sprechen?», sagt ein Kunde zu der jungen Frau am Postschalter. «Der steht vor ihnen», kontert diese selbstbewusst. Verdutzt schaut der Mann sie an. Kein Wunder, denn die Frau hinter der dicken Glasscheibe ist gerade mal 19 Jahre alt. Yasmin Fehr leitet die Postfiliale in Bruggen an der Zürcherstrasse 257.«Zwar verlangen Kunden nur sehr, sehr selten nach den Vorgesetzten. Aber wenn dies mal der Fall ist, dann sorgt das für überraschende Gesichter», erzählt die angehende Detailhandelsfachfrau. 

Wo Lernende das Sagen haben

Wie kommt es, dass eine 19-Jährige eine Postfiliale leitet? Dahinter steckt ein besonderes Projekt der Schweizerischen Post. Seit 2008 betreibt diese nämlich sogenannte «Lernendenfilialen», also Filialen, die ausschliesslich von Lernenden geführt werden. Vorgesetzte oder Ausbildner gibt es wie in klassischen Lehrlingsbetrieben keine. Zwei Beraterinnen stehen den Lernenden jedoch zur Seite.

Schweizweit gibt es aktuell sieben Lernendenfilialen. Über die Jahre sind immer mehr dazugekommen. In St.Gallen gibt es seit 2009 eine Lernendenfiliale. Zuerst in St.Fiden, im Grossackerzentrum, 2017 ist sie nach Bruggen umgezogen. In der West-Filiale Bruggen arbeiten aktuell sieben Lehrlinge und zwei Betreuerinnen. Die Betreuerinnen halten sich aber hauptsächlich im Hintergrund.

Meetings, Kundenbetreuung und Geldzählen

Chefin oder Chef sind immer jene, die gerade im dritten Lehrjahr sind. Jeder Chef hat – wie in normalen Betrieben auch – eine Stellvertretung. Die Lernenden sind dann jeweils für drei Monate Chef respektive Stellvertretung und haben dann für  jeweils drei Monate das Sagen. «Wir bedienen die Kunden an den Schaltern, wickeln Postgeschäfte ab, führen Meetings mit den Mitlernenden, gehen Verkaufszielen nach und zählen am Schluss das Geld», sagt Yasmin Fehr.

Ihre Stellvertretung ist 18-jährige Ilirjeta Beqiraj. Der Hahn im Korb – der einzige Junge im Team – heisst Noble Huynh; er ist im zweiten Lehrjahr und heute dafür verantwortlich, dass am Schluss die Kasse stimmt.

«Deshalb ist er ein bisschen zappelig, denn wenn die Kasse nicht stimmt, dann müssen wir alles auf den Kopf stellen und alle Buchungen überprüfen. Am Schluss finden wir den Fehler aber immer», sagt Betreuerin Monika Leuch. Sie und Rute Gomes arbeiten seit Jahren mit den Jugendlichen zusammen: «Es ist eine lockere Arbeitsatmosphäre – und ich bleibe so auch fit im Kopf», lacht Leuch. 

  • (v.l.n.r) Noble Huynh (18), Kader Karatas (17), Yasmin Fehr (19) und Ilirjeta Beqiraj (18). Bild: zVg
    1 / 2
  • Noble Huynh ist dafür verantwortlich, dass am Schluss die Kasse stimmt. Bild: zVg
    2 / 2
  1. 1
  2. 2

Ein Sprungbrett für leitende Funktionen

Ziel des Projekts ist es, dass die Jugendlichen bereits sehr früh Verantwortung übernehmen und damit ihr Fachgebiet so praxisorientiert wie möglich erfahren. Dies hat viele dieser Lernenden beflügelt: So konnten einige direkt nach der Lehre in Poststellen verantwortungsvolle Aufgaben wie die Führung der Hauptkasse oder die Stellvertretung des Poststellenleiters übernehmen.

«Ich finde es cool, dass ich mit Gleichaltrigen arbeiten kann und ausserdem mag ich es, wenn ich gefordert werde. Hier hat man immer etwas zu lachen und die Atmosphäre ist mega locker. Wir verbringen auch in unserer Freizeit viel Zeit miteinander», so Yasmin Fehr.

«Durch diese Erfahrung habe ich gelernt, dass ich gerne mehr Verantwortung übernehme.»
Yasmin Fehr, Lernende im dritten Lehrjahr

Beliebte Stelle bei Jugendlichen

Genau deshalb seien die Stellen in den Lehrlingsfilialen auch so beliebt. «Wir hatten mal einen Lehrling aus Graubünden, der sich sogar extra in St.Gallen ein Zimmer genommen hat, um hier arbeiten zu können», sagt Monika Leuch. «Wenn es mal Probleme gibt, dann schreiten wir nicht sofort ein, sondern wir warten ab und lassen die Lehrlinge selbst nach Lösungen suchen. In den allermeisten Fällen klappt das auch.»

Um einen Platz in einer Lernendenfiliale zu erhalten, muss man sich während des ersten Lehrjahrs bewerben. Voraussetzungen sind gute Leistungen im Betrieb und in der Schule.

Kader Karatas (17) darf auch bald Chefin der Lernendenfiliale sein. Bild: zVg

Die Filiale in Bruggen wurde erst kürzlich modernisiert und man setzt bei der Post vermehrt auf Flächenpräsenz und Beratung. Dazu gehört auch der direkte Verkauf von Produkten.  Die bisherigen Erfahrungen mit Lehrlingspoststellen seien durchwegs positiv gewesen – bei den Lernenden und den Kunden. Regelmässig haben die Lernenden ihre Lehre mit Bestnoten abgeschlossen.

Dies widerspiegelt sich auch in den Verkaufsresultaten, die stets gesteigert werden konnten. «Den wenigsten Kunden ist aufgefallen, dass hier nur Lehrlinge arbeiten und das ist auch unser Ziel», so Fehr. Sie könne sich auch in Zukunft vorstellen, eine führende Position zu übernehmen: «Durch diese Erfahrung habe ich gelernt, dass ich gerne mehr Verantwortung übernehme. Ich glaube das liegt mir.»

Die Post ist mit rund 1'850 Lernenden einer der grössten Ausbildungsbetriebe der Schweiz. Rund 80 Prozent der Lehrabgänger können nach erfolgreichem Lehrabschluss (Erfolgsquote über 99 Prozent) weiterbeschäftigt werden.

Damit ist die Post einer der grössten Lehrbetriebe in der Schweiz und positioniert sich bei der Jugend als moderne, zukunftsgerichtete Arbeitgeberin. Ausgebildet werden die Lernenden in allen Regionen über die ganze Schweiz in 17 verschiedenen Lehrberufen. Im Kanton St.Gallen bildet die Post zurzeit 87 Lernende in den Bereichen Logistik, Detailhändler und KV aus.

Miryam Koc
Demnächst