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Wirtschaft
03.01.2021

Bitcoin auf Rekordhoch

Neue Höhenflüge für den Bitcoin, während andere Kryptowährungen schwächeln (Symbolbild: zVg)
Neue Höhenflüge für den Bitcoin, während andere Kryptowährungen schwächeln (Symbolbild: zVg) Bild: zVg
Der Wert des Bitcoins geht derzeit schier durch die Decke. Aktueller Wechselkurs: 1 Bitcoin = 27´974 Franken. Höchste Zeit für eine Erklärung, was eigentlich hinter dem Wert dieses rein digitalen Geldes steckt.

Bitcoins, Blockchain und Token. Schlagworte, die vor etwa drei Jahren die Wirtschaftspublikationen füllten. Vielfältig wie die neuen digitalen Währungsformen waren auch die dazu gebildeten Meinungen. Unser Gastautor Dr. Johannes Schweifer erklärte damals in einem nach wie vor aktuellen Essay, warum wir mit neuem Denken an dieses Thema herangehen müssen.

Man kann nun glühender Verfechter von Bitcoin sein, oder ihn hassen wie es so mancher CEO einer grossen Bank genüsslich und öffentlich tut. Unbestritten ist, dass die weltweit erste funktionierende und öffentliche Kryptowährung kein unbeschriebenes Blatt mehr ist. Alleine der Anstieg des Preises ist bemerkenswert, doch auch wenn man dieses Detail mal grosszügig übersieht, kommt man schlussendlich nicht an der Tatsache vorbei, dass die dem Bitcoin zugrundeliegende Technologie allen Abgesängen zum Trotz jetzt salonfähig und in aller Munde ist.

Smart Contracts - Autonome Computerprogramme

Blockchain ist das neue Wunderding, das viele Prozesse vereinfachen, verbilligen, revolutionieren oder überhaupt erst ermöglichen soll. Consulting Firmen und Rechtsberatungen landauf landab halten ihre Kenntnisse und Leistungen feil, um dem noch nicht mit einer Blockchain Gesegneten ein Upgrade zu verpassen. Bitcoin wurde vielfach kopiert und schliesslich als Blaupause für die erste weltweit dezentrale Rechnerplattform verwendet, wo autonome Computerprogramme - sogenannte Smart Contracts - in vielfältiger Weise für Finanzgeschäfte, Spiele oder andere Anwendungen eingesetzt werden. Gerade die Smart Contracts ermöglichten die Entstehung tausender weiterer Kryptowährungen.

War die Anzahl der verschiedenen Coins und Chains vor fünf Jahren noch einigermassen überschaubar und auf einer einzige Powerpoint Slide darzustellen, so konnte man schon vor drei Jahren ein durchschnittliches Wohnzimmer mit den 16x16 Pixel Logos tapezieren. Ohne eine einzige Wiederholung! Hinter all den Coins stecken fraglos viel Hype, nicht selten aber betrügerische Absicht und recht häufig zwar viel Herz und technisches KnowHow, aber oft auch wenig unternehmerische Fähigkeit. Von den zahllosen Initial Coin Offerings (kurz ICO), die zur Finanzierung von neuen Blockchain Projekten dienten und teilweise hunderte Millionen Dollar eingebracht haben, haben nur wenige die Produktreife gesehen und noch weniger das erste Jahr im Markt Bestand gehabt. Wenn also so mancher ICO-Coin dahinwelkt wie die Blätter im Herbst, gibt dies unweigerlich der alten aber immer noch bohrenden Frage Nahrung, was denn diese digitalen Dinge überhaupt wert sind. Was habe ich in der Hand?

Dr. Johannes Schweifer, Geschäftsführer von Coreledger AG und Bitcoin-Fachmann der ersten Stunde (Bild: zVg) Bild: zVg

Sedativum für misstrauischen Geist

Habe ich denn überhaupt etwas in der Hand, oder ist bloss das vielfach wiederholte Mantra der Sicherheit der Blockchain ein Sedativum für den berechtigterweise misstrauischen Geist? Sind Einträge in einer öffentlichen anonymen dezentralen Datenbank, wie es die Blockchain eine ist, ein gleichwertiger Ersatz für einen schönen glänzenden Maple Leaf? Eine Diskussion darüber ist meistens von vorhersagbaren Argumenten geprägt, in weiten Teilen unsportlich und endet für beide Seiten bestenfalls unbefriedigend, manchmal tragisch.

Der «Wert» von etwas ist im günstigsten Fall ohnehin subjektiv und lässt sich auch bei einer beliebigen gesetzlichen Fiat Währung nicht so genau bestimmen. Welchen Wert hat das Stück Papier in meiner Brieftasche? Auch nicht viel mehr als ein 51 Zeichen langer privater Schlüssel? So eine Bewertung ist natürlich engstirnig und wäre vergleichbar damit, den Wert eines Autos mit dem Metall zu bemessen, aus dem es besteht. Wer schon mal gesehen hat, wie sein Auto nach der Hochdruckbestattung in der Schrottpresse aussieht kennt den Unterschied. Bei Kryptowährungen und Fiat Geld kommen dennoch immer dieselben dummen Vergleiche, und man kommt sich noch besonders schlau dabei vor.

Der Wert steckt im Nutzen

Der Wert steckt wie beim Auto im Nutzen. Nirgendwo sonst. Der Nutzen des Fiat Geldes liegt in der Tatsache, dass ich damit meine Miete, meine Steuern und meine Hotdogs zahlen kann. Das ist ein Wert jenseits des Baumwollwerts der Scheine in meiner Brieftasche.

Der Nutzen einer Maple-Leaf-Goldmünze liegt in der Gewissheit, dass man auch morgen noch kein Gold im Synchrotron zu wirtschaftlichen Preisen herstellen kann und das edle Metall daher auch morgen noch selten sein wird. Völlig egal, welchen Preis es auf dem Markt erzielen würde, spielt nur eine Sache eine Rolle: Es wird ein Preis bezahlt werden, der der Seltenheit des Metalls gerecht wird. Ein Maple Leaf ist daher ein ausgezeichneter Schutz vor Inflation und sonstiger Unbill, und hat einen Wert, der grösser ist als jener einer ungelochten Beilagscheibe aus einem schweren Metall.

Welchen Wert kann man nun aus der Nützlichkeit von Kryptowährungen und der Blockchain ableiten? Grundsätzlich vermag eine Blockchain Daten sowohl anyonym als auch dezentral zu speichern. Alle Teilnehmer validieren ohne Hilfe Dritter selbständig Transaktionen bzw. ganze Blöcke, und können damit wie etwa beim Bitcoin auf die Vermittlung von Werten durch Finanzinstitutionen verzichten. Welchen Wert können wir (neben dem Preis, den die Coins gerade auf den Börsen erzielen) dem Umstand beimessen, dass uns niemand von der Verwendung unserer eigenen Bitcoins abhalten kann?

Transaktionen sind vertrauenslos

Eine Transaktion ist zudem immer vertrauenslos. Es ist nicht mehr notwendig, Vertrauen zwischen Sender und Empfänger herzustellen, denn Transaktionen können nicht rückgängig gemacht werden. Das ist eines der stärksten Argumente für Blockchain Prozesse insgesamt. Darüber hinaus lässt sich die Bitcoin Blockchain noch für exotische Dinge nutzen. Einzelne Coins können mit einem zusätzlichen Recht belegt werden und dann beispielsweise Aktien, Geld oder Diamanten darstellen, deren Verfügungsrecht gemeinsam mit einem kleinen Bitcoin-Bruchteil übertragen wird. Die Übertragung steht dabei für alle Welt nachvollziehbar aber dennoch anonym im öffentlichen Ledger. Lediglich mit meinem privaten Schlüssel kann ich jederzeit beweisen, dass ich der Eigentümer bin.

Der private Schlüssel der Bitcoin Blockchain kann übrigens auch jederzeit verwendet werden, um zu beweisen, dass man diesen Schlüssel besitzt und damit Zugriff auf das mit diesem Schlüssel zugängliche Vermögen hat, ohne nur einen einzigen Coin zwecks Demonstration desselben bewegen zu müssen oder den Coin aus der Hand geben zu müssen. Das wäre vergleichbar mit einem (hypothetischen) unabhängigen Audit der Fed vor aller Welt Augen, ohne dass Auditoren vor Ort kommen müssen. Digitale Werte können sich nicht verstecken oder so tun als wäre Blei Gold.

Energieverbrauch des Minings  

Sogar das Negativ-Argument der Boulevardpresse gegen Bitcoin ist – bei Licht betrachtet – in Wahrheit ein wichtiges positives Argument. Der Energieverbrauch des Minings. Kaum jemand weiss, dass das Mining kein Selbstzweck ist, sondern zu einem Prozess gehört, der sicherstellt, dass alle Teilnehmer des Bitcoin-Netzwerks weltweit dieselben Transaktionen sehen und im Schnitt 10 Minuten Zeit haben, diese Transaktionen auf ihre Rechner zu synchronisieren und sich mit anderen Netzwerkteilnehmern auszutauschen, ob diese Transaktionen korrekt sind oder nicht. Dieser Prozess dauert nur deshalb 10 Minuten, weil die Rechnung sehr komplex ist.

Da eine Belohnung winkt, konkurrierten viele Miner miteinander und rüsteten ihre Computer mit atemberaubender Geschwindigkeit auf um die Belohnung zu ergattern. Das verbraucht zwar stetig mehr Energie, hat aber so nebenbei das leistungsfähigste Computernetz der Welt erzeugt, dessen geballte Rechenleistung wiederum der Garant dafür ist, dass niemand – auch kein Geheimdienst und keine Regierung – die Bitcoin Blockchain kontrollieren kann. Ein für die meisten Mitmenschen völlig neuer Gedanke. Was ist also der praktische Wert einer Bitcoin, über den ich jederzeit ohne Hilfe Dritter verfügen kann, der mit so enormer Rechenpower geschützt ist, welche sich wiederum selbst durch neu geschaffene Bitcoins bezahlt, ohne dass ich direkt für diese Leistung zur Kasse gebeten werden kann?

Fälschungssicher um den Globus

Was mit Bitcoin übrigens sehr umständlich realisierbar ist, lässt sich mit programmierbaren Blockchains wie Ethereum sehr einfach umsetzen. Custom Tokens können ähnlich wie ein Warenbezugschein oder ein Gutschein das Recht verbriefen, eine bestimmte Menge eines Rohstoffs, eine Handelsware, einer Währung oder von Edelmetall dagegen zu erhalten. Ein nicht nur mit Vertrauen sondern mit realer Ware besicherter IOY («I owe you»). Der Nutzen eines solchen Tokens? Lässt sich wesentlich leichter, schneller und vor allem fälschungssicherer um den Globus schicken als der Sack Reis, für den der Token steht.

Die Blockchain enthält nicht nur Transaktionen wie das Senden von Tokens von einem zum anderen, sondern auch Zeitstempel hierfür. Der Hash eines Vertragswerks in der Blockchain legt unwiderruflich das Datum der Unterzeichnung fest. Eine ganz kuriose Anwendung dieser Art gab es, als ein Gerücht die Runde machte, der Erfinder der Ethereum Blockchain wäre verunfallt und gestorben. Ein Selfie der angeblich dahingeschiedenen, in Wahrheit noch quick-lebendigen Person mit einem Ausdruck des sogenannten Blockhashs des aktuellen Ethereum Blocks in der Hand beseitigte alle Zweifel.

Niemand kann in die Zukunft blicken und den Blockhash vorhersagen. Wer ihn kennt und in die Kamera halten kann und nicht grad aussieht wie eine Leiche, der ist höchstwahrscheinlich noch im Diesseits. Welchen Nutzen könnte dies für die Dokumentation von Rechten an geistigem Eigentum, wo es vielleicht darauf ankommt, wer was und wie zuerst dokumentiert hat?

Eine ganz neue Art von Werten

 Transaktionen in Blockchains sind übrigens völlig unabhängig von der Menge der zu übertragenden Tokens, Coins, Rechte et cetera. Ob ich einen Gegenwert von einer Milliarde oder nur drei Rappen übertrage, spielt technisch gesehen keine Rolle.

Diese Aufzählung liesse sich über viele Seiten fortsetzen, aber es sollte auch mit den wenigen ausgewählten Beispielen klar sein, dass wir es seit der Erfindung der Blockchain mit einer ganz neuen Art von Werten zu tun haben. Am Nutzen gemessen sind diese so vielseitig wie das berühmte Schweizer Messer. Auch wenn die meisten Coins und Tokens keinen staatlichen Garanten für irgendeine Werthaltigkeit haben und auch wenn sie im Gegensatz zu einer Goldmünze nur mit funktionierendem Internet ihren vollen Nutzen entfalten, so definiert sich ihr Wert durch die Vielseitigkeit ihrer Nutzungsmöglichkeiten. Zwar für jede Person subjektiv, aber in einer zunehmend digitalisierten Welt gewinnen digitale Werte gegenüber physischen stetig an Bedeutung. Das sollte man nie ausser Acht lassen.

Der Autor Dr. Johannes Schweifer ist Geschäftsführer und Mitbegründer von CoreLedger AG, einem Liechtensteiner Blockchain-Unternehmen in der boomenden FinTech Branche. Als Mitbegründer von Bitcoin Suisse AG zählte er zu den ersten Unternehmern im Schweizer Crypto Valley in Zug.

 

Johannes Schweifer/rheintal24
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