Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Magazin
09.11.2020
10.11.2020 08:06 Uhr

Digitalisierung im Ostschweizer Tourismus vor und nach der Krise

Stefan Keller, Bild: Marlies Thurnheer
Stefan Keller, Bild: Marlies Thurnheer Bild: FS
Die Digitalisierung trägt vielerorts dazu bei, dass Unternehmen trotz Corona- Einschränkungen weiterhin Geld verdienen können, wenn auch nicht in gewohntem Ausmass. Dazu gehört auch der Ostschweizer Tourismus. Unser Gastautor Stefan Keller, Geschäftsführer der TSO AG, erklärt, wie es um die Digitalisierung im Tourismus steht und was sie während der Krise gebracht hat.

Der Tourismus definiert sich über viele Leistungserbringer. Die Wertschöpfungskette ist vielschichtig und reicht von Hotels, Restaurants, Bergbahnen und Schifffahrtsbetrieben über Erlebnisanbieter bis hin zum Einkaufszentrum. Entsprechend unterschiedlich ist der digitale Reifegrad einzelner Akteure: Es gibt Unternehmen, welche die Reservationsprozesse komplett automatisiert haben, während bei anderen der Fax nach wie vor das bevorzugte Kommunikationsmedium ist. Wobei wir wohl schon in wenigen Jahren das Wort Digitalisierung nicht mehr benutzen werden. Weil digital das neue Normal und alltäglich sein wird.

Erfolgsentscheidende Indikatoren
Ein Indikator für die Digitalisierung im Tourismus ist die Fähigkeit, organisationsübergreifende Prozesse zu steuern. Je besser Anbieter im Kollektiv wirken, desto positiver wird das Gästeerlebnis. Dazu gibt es gute Beispiele von Applikationen, die uns beim Reisen unterstützen, solange wir eine Internetverbindung und damit Zugriff auf Daten haben. Daten per se sind essenzieller Treiber für die Digitalisierung. Wenn immer wir reisen, hinterlassen wir Informationen wie Verhaltensdaten, Transaktionsdaten oder Bewegungsdaten. Dies geschieht vor, während und nach dem Aufenthalt. Allerdings sind diese Informationen, die in der gesamten Reisephase gesammelt werden, meist bei verschiedenen Leistungsträgern verteilt und unterschiedlich strukturiert. Weil diese Daten überbetrieblich sind, können sie nur sehr schwer ausgewertet werden. Hier laufen in der Ostschweiz verschiedene innovative «Open Data»-Projekte, die darauf abzielen, touristische Informationen einfacher zugänglich zu machen. Ein Wettbewerbsvorteil ist, dass wir in der Schweiz über ein sehr gut ausgebautes Telekomund Mobilfunknetz verfügen. Ohne diese Basis wären viele Digitalisierungsprojekte gar nicht umsetzbar. Denn wie schnell ist man ohne Internetverbindung orientierungslos? Wie findet man den Weg vom Flughafen zum Hotel? Wo kann ich gut und preiswert essen? Ein weiterer Indikator, um einen Digitalisierungsgrad zu messen, ist somit die Infrastruktur – wie etwa die Netzabdeckung mit dem 5G-Standard. Hier hat die urbane Ostschweiz Vorteile im Vergleich zu Alpin-Destinationen. Aber die beste Infrastruktur oder die innovativste App nützt nichts, wenn der Anwender nicht will oder kann. Denn Prozesse lassen sich nur automatisieren, wenn die Fähigkeit zur Veränderung da ist. Der Faktor Mensch ist und bleibt deshalb der wichtigste Indikator, wenn es darum geht, die Digitalisierung voranzutreiben. Da unterscheidet sich der Tourismus kaum von anderen Branchen.

Was hat die Digitalisierung dem Tourismus während der Krise gebracht?
Wenig, abgesehen von der Erfahrung, dass Homeoffice sinnvoll für das eigene Unternehmen sein kann. Letztlich wird das touristische Angebot stationär erlebt und kann nicht wie ein Konsumgut alternativ über einen Online-Shop nach Hause bestellt werden. Ich kenne ein Unternehmen aus der Eventbranche, das digital wirklich hervorragend aufgestellt ist: Prozesse sind effizient aufgebaut und entsprechend gut dokumentiert. Tickets werden direkt auf das Smartphone versandt und können vom Zutrittssystem eingelesen werden. Nur bringt das nichts, wenn das Geschäftsmodell wegen Covid-19 nicht mehr umgesetzt werden kann, weil keine Veranstaltungen mehr durchgeführt werden dürfen. Vermutlich wäre deshalb die Formulierung «Was hat die Krise der Digitalisierung im Tourismus gebracht?» treffender. Denn die Krise hat Unternehmen dazu gedrängt, ihre etablierten Prozesse zu hinterfragen und sie gezwungen, sich aus der Komfortzone zu bewegen. Man musste sich neu erfinden und versuchen, Dienstleistungen über andere Kanäle als gewohnt an den Gast zu bringen. Entstanden sind neue Produkte wie beispielsweise virtuelle Wein-Degustationen oder Online-Rundgänge durch Museen. Zudem wurden grosse Schritte bei Kontingentierungen gemacht – etwas, was bei der Hotellerie selbstverständlich ist, findet nun bei Restaurants und Erlebnisanbietern Einzug. So kann ich beispielsweise bei vielen Freibädern nachschauen, wie hoch die Belegung ist. Oder bei stark frequentierten Plätzen wird versucht, mit Zutrittsregelungen Spitzen zu brechen. Auch die Sensibilisierung im Umgang mit Gästedaten hat zugenommen; man denke nur an die Tracing-App des Bundes und die damit verbundenen Diskussionen. Fakt ist, dass das Unternehmen mit dem Fax wohl deutlich mehr Hausaufgaben zu machen hatte als andere Betriebe, die agiler aufgestellt waren und über entsprechende EDV verfügten. Viele von den vorhin genannten Beispielen sind eher komplementäre Produkte; die Dauer dieser ausserordentlichen Lage wird entscheidend sein, was davon sich nachhaltig bei Gästen und Betrieben verankern lässt.

Wo besteht Nachholbedarf?
Digitalisierung ist eine Reise – und da gibt es immer einen Nachholbedarf, da muss man auch nicht immer zu den Ersten gehören, die auf Trends reagieren. Viel wichtiger ist es, dass man Strukturen schafft, mit denen man flexibel bleibt. Denn spätestens jetzt gibt es keine Ausreden mehr: Die Krise schafft die Notwendigkeit, aber auch die grossartige Chance, agiles Arbeiten ausprobieren zu müssen. Dazu gehört, dass man das Rollenverständnis der verschiedenen Akteure im Tourismus überdenkt. So glaube ich fest daran, dass Destinationen ihr Serviceportfolio überarbeiten müssen, um ihre Mitglieder in den Bereichen Datenmanagement (Öffnen von Datensilos), Besucherlenkung, Nachhaltigkeit oder Hygienemanagement unterstützen zu können. Das ist wichtiger als alle Marketing- und Promotionsmassnahmen! Denn im Kern sind es immer noch die Produkte, die überzeugen müssen. Alles andere – wie die Digitalisierung – ist Beilage.

Wie kann die TSO dem Tourismus dabei helfen?
Wir sind vom Tourismus und für den Tourismus. Unsere Kunden sind Destinationen, Bergbahnen, Transportgesellschaften, Verbände und Hotels. Für diese Unternehmen betreiben und unterhalten wir deren Systemlandschaften. Wir erstellen Schnittstellen zu verschiedenen Systemen, helfen mit der Verwaltung von Kontingenten und bei der Bereinigung von Daten. Mit unserer Software «Digital.Fitness» sind wir in der Lage, den Digitalisierungsgrad eines Unternehmens zu messen und basierend darauf Handlungsempfehlungen herzuleiten. Mit dieser strukturierten Vorgehensweise begleiten wir unsere Kunden seit zwölf Jahren bei organisationsübergreifenden Prozessen, bei der EDV-Infrastruktur und beim Datenmanagement.

Über den Autor:
Seit dem Management-Buy-out durch Stefan Keller hat sich die Tourismus Services Ostschweiz AG (TSO AG) von Ostschweiz Tourismus zu einer national etablierten Webagentur entwickelt. Keller ist ausgebildeter Informatiker, Marketingplaner sowie Verkaufskoordinator und verfügt über ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft. Er doziert zudem an der FH Graubünden zum Thema Prozessdigitalisierung und ist Mitgründer der auf IoT spezialisierten Traveltec GmbH.

Dieser Text ist aus dem Magazin "east#digital". Die east#digital-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch

eastdigital.ch/Stefan Keller
Demnächst