Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Gast-Kommentar
Stadt St.Gallen
13.12.2025
12.12.2025 16:21 Uhr

Als Ordnung noch mit dem Lineal durchgesetzt wurde

Dieses Klassenfoto stammt aus dem Schuljahr 1946/47; zwei Klassen, die Jahrgänge 1937 und 1938, sind hier abgebildet
Dieses Klassenfoto stammt aus dem Schuljahr 1946/47; zwei Klassen, die Jahrgänge 1937 und 1938, sind hier abgebildet Bild: zVg
Der St.Galler Alt-Stadtarchivar Ernst Ziegler blickt auf seine Schulzeit in den 1940er-Jahren in St.Josefen zurück.Er einnert sich an den Alltag im Klassenzimmer, die damaligen Lehrmittel und Disziplinarmethoden sowie den Respekt vor dem «Herrn Lehrer».

Wenn ich alter Mann am Morgen am Fenster stehe und nach dem Wetter Ausschau halte, sehe ich mit Vergnügen die schweren Rucksäcke, an denen Kinder hängen, auf ihrem Weg zur Schule. Meine Enkel haben mir den Inhalt dieser vollen «Ergobags» gezeigt und erklärt.

Ich erinnere mich an meinen ersten «Schuelerthek», den ich 1945 erhalten habe. Der Deckel dieses Theks war mit einem braunen Fell überzogen – für die Buben! Die Mädchen hatten Theks ohne Fell – zum Teil noch grösseren als meiner Frau. In diesem Thek schleppten wir Schiefertafel, Tafellumpen, Schwammbüchse, Griffelschachtel, Lineal, Hefte und Bücher in die Schule.

Die Schulbänke damals waren alte, hölzerne Ungetüme, die einem ab und zu ganz anständige Spissen in den Hintern jagten, und die in einer geraden Reihe hintereinander standen. Es waren, wenn ich mich recht entsinne, drei Reihen solcher Zweier-, Dreier- oder Viererbänke, mit so genannten Klappen und Tintenfässchen, die vom Lehrer ab und zu gefüllt werden mussten.

Bei unserem Lehrer lernte man ausser den üblichen Schulfächern vor allem Ruhe und Ordnung. Jeden Montag kontrollierte er die gepflegte (nicht etwa nur geputzte) Schiefertafel, den sauberen Tafellumpen, die von Bohnen und dergleichen befreite Schwammbüchse, das frische Nastuch und die Überärmel.

Für Vergesslichkeit hatte er keine Einsicht, und wir lernten schnell, an das Inordnungbringen dieser Sachen zu denken. Wer etwas vergass, bekam eine Tatze oder gar einen Hosi.

Da die zweifelhaften Massnahmen von Tatze und Hosi vermutlich bei der heutigen Lehrerschaft nicht mehr in Gebrauch sind, sei folgende Erklärung als Beitrag zur Geschichte der Pädagogik hier angefügt:

Von den Wörtern Hosi, Hosenspanner und Tatze findet man im «Duden» nur das Wort Tatze, etwa in der Bedeutung von Pfote. Darauf wurde vom Lehrer mit einem Lineal kräftig gehauen, und zwar je nach Verfehlung in der Regel auf die Innenhand oder, zur Verstärkung der Strafe, auf den Handrücken. Beim Hosi handelte es sich schlicht und einfach um ein gehöriges Versohlen des Hosenbodens, wobei das Wort ein oder mehrere Streiche bedeuten konnte. In meiner Erfahrung lebt es in der Einzahl fort; oft andere Mitschüler waren weniger glücklich und haben es nur in der Mehrzahl erlebt.

Vielleicht werden die altmodischen und harten Disziplinarmethoden verständlicher, wenn man bedenkt, dass mein «Herr Lehrer» 1946/47 in seinen drei Klassen der Unterstufe 73 Schüler zu unterrichten hatte. Für uns Erst-, Zweit- und Drittklässler war er der «Herr Lehrer», in jeder Beziehung, und ich habe ihn trotz allem in guter Erinnerung.

Ernst Ziegler, 9012 St.Gallen
Demnächst